piwik no script img

Akzente und RassismusSexy, kompetent oder ungebildet

Welches Vorurteil Menschen über einen haben, hängt oft davon ab, ob man akzentfrei spricht. Und davon, woher der Akzent stammt.

Akzente sind ein normales neurologisches Phänomen Foto: Ulrike Piringer/plainpicture

Wenn ich an meine Anfangszeit in Deutschland denke, erinnere ich mich vor allem an ein Gefühl der Unterlegenheit. Es dauerte lange, bis ich mich im Alltag verständigen konnte, noch länger, bis ich sinnvolle Sätze bilden konnte. Die drängende Angst, nicht zu verstehen und nicht verstanden zu werden, ließ mit der Zeit nach, dafür kam ein subtileres und gemeineres Gefühl hinzu: die Scham, nicht so zu sprechen wie die anderen.

Ich habe einen Akzent. In den fast fünfzehn Jahren, die ich in Deutschland lebe, habe ich hartnäckig versucht, ihn loszuwerden. Inzwischen habe ich mit dem Thema Frieden geschlossen, aber jahrelang quälte mich der Gedanke, nicht akzentfrei werden zu können.

Bei Menschen wie mir, die nach der Pubertät in ein neues Land einwandern, ist die Chance extrem gering, eine Fremdsprache akzentfrei zu lernen. Das bedeutet, dass die meisten Mi­gran­t*in­nen der ersten Generation einen mehr oder wenigen starken Akzent haben. Das ist ein normales neurologisches Phänomen, problematisch wird es, wenn es – wie so oft – zu negativen Bewertungen oder unfairer Behandlung führt.

Ein fremdsprachiger Akzent ist ein Diskriminierungsmerkmal, über das selten gesprochen wird. Studien zeigen, dass Vorurteile gegenüber bestimmten Akzenten weit verbreitet sind und dass Akzente automatische Zuschreibungen in Bezug auf Bildungsniveau oder soziale Schicht auslösen. Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang von „Akzentismus“.

Identitätsmarker Sprache

Katherine D. Kinzler, Professorin für Psychologie an der Universität von Chicago, schreibt in ihrem Buch „How you say it“, dass die Art und Weise, wie man spricht, durchaus beeinflusst, ob man als Mitglied oder nicht Mitglied einer Gruppe wahrgenommen wird, und es ist unglaublich schwierig, das zu vermeiden. Denn Sprache im Allgemeinen und Akzent im Besonderen seien Identitätsmarker. „Wir haben es viel zu lange versäumt, die Auswirkungen sprachlicher Vorurteile in unserem Leben zu erfassen“, fügt Kinzler hinzu.

Solche Vorurteile können sich etwa auf dem Wohnungsmarkt oder bei der Arbeitssuche auswirken, in der Wahrnehmung der Glaubwürdigkeit und Intelligenz einer Person. Personen mit einem fremdsprachigen Akzent werden oft als weniger kompetent eingestuft. Das erklärt die Politikwissenschaftlerin Carolina Tobo Tobo. Studien belegen diese Wahrnehmung – übrigens auch bei Menschen, die sich grammatikalisch korrekt ausdrücken.

Tobo Tobo berichtet, wie sie selbst auf Fachtagungen mit abfälligen Blicken oder Bemerkungen konfrontiert worden sei und sich deshalb lange zurückgezogen habe: „Ich habe jede Gelegenheit ergriffen, um unsichtbar zu bleiben“, sagt die Politikwissenschaftlerin, die ursprünglich aus Kolumbien kommt.

Die „hörbare Grenze des Weißseins“

Wie viele andere Mi­gran­t*in­nen der ersten Generation hat Tobo Tobo versucht, ihren Akzent loszuwerden und dafür Unterricht genommen. Bis sie dem Schluss kam, dass das Problem nicht bei ihr lag: „Die Gesellschaft muss Personen mit einem Akzent akzeptieren.“

Tobo Tobo bezeichnet sich trotzdem als „privilegiert“, weil ihre Muttersprache Spanisch – wie alle westeuropäischen Sprachen – in der Hierarchie der Akzente ziemlich weit oben steht. Dennoch sagt sie, dass Spanisch eher mit Lebensfreude und Urlaubsgefühlen und weniger mit „ernsten Themen“ assoziiert wird, was zum Beispiel dazu führte, dass sie in ihrer Branche, nämlich der Demokratieförderung, Rechtsextremismusbekämpfung und Antidiskriminierung, manchmal nicht ernst genommen wurde.

Menschen aus Polen bleiben oft rassistisch unmarkiert – bis sie zu sprechen beginnen

Auch mein italienischer Akzent kommt in Deutschland vergleichsweise gut an. Denn die Wahrnehmung eines Akzentes spiegelt wider, wie eine Migrantengruppe wahrgenommen wird: Ein britischer Akzent ist zum Beispiel beliebt und wird als professionell wahrgenommen, ein amerikanischer als attraktiv, ein französischer als gebildet. Anders ist es mit einem osteuropäischen, türkischen oder arabischen Akzent.

Die Germanistin und Diversity-Aktivistin Olga Maslowska, die selbst Migrationserfahrung hat, beschäftigt sich mit sprachbezogener Diskriminierung, insbesondere im Zusammenhang mit dem polnischen Akzent im Deutschen. Ihrer Analyse nach markiert dieser Akzent eine „hörbare Grenze des Weißseins“: Menschen aus Polen, die äußerlich als weiß gelesen werden, bleiben oft rassistisch unmarkiert – bis sie zu sprechen beginnen.

Die Macht der Mikroaggressionen

Für eine Studie befragte Maslowska hochqualifizierte Polinnen mit Deutschkenntnissen auf C2-Niveau, die erst im Erwachsenenalter nach Deutschland migriert sind. Auch wenn sie sich im beruflichen Kontext nicht benachteiligt fühlen, berichteten viele von subtilen Mikroaggressionen: wiederkehrende Annahmen über ihr Herkunftsland, erstauntes Lob für ihre Sprachkompetenz oder Formen sozialer Distanz.

Solche Erfahrungen können sich nicht nur auf das soziale Miteinander auswirken, sondern beeinflussen auch das Selbstbild und das Zugehörigkeitsgefühl der Betroffenen. Manche der Befragten begannen, ihre sprachlichen Fähigkeiten infrage zu stellen, so Maslowska.

Würden solche Mikroaggressionen auch bei akzentfreiem Sprechen auftreten? Das lässt sich nicht abschließend sagen, denn Diskriminierung entsteht meist im Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Doch vieles spricht dafür, dass der Akzent eine zentrale Rolle spielt, vor allem dann, wenn er stark hörbar ist.

„Ein polnischer Akzent ist allgemein bekannt und wird als charakteristisch für ein zivilisatorisch wenig entwickeltes Land empfunden“, so die Migrationsforscherin Kamila Schöll-Mazurek. Polen und Polinnen, die in Deutschland Englisch sprechen, erleben ihrer Meinung nach paradoxerweise weniger Diskriminierung, als wenn sie Deutsch sprechen. Sie weist auch darauf hin, dass Menschen mit polnischem Akzent nicht selten von den Behörden schlechter behandelt werden.

Dass ein Akzent immer mit dessen Sprechenden assoziiert wird, zeigt am besten das Beispiel Englisch. Ein englischer Akzent gilt als beliebt, obwohl mit „Englisch“ meist die britische, amerikanische oder aus­tralische Variante gemeint ist – und das ist schon der Anfang des Problems. Die Existenz anderer Varianten wie nigerianisches oder indisches Englisch wird oft ausgeblendet, oder diese Varianten werden als seltsam, lustig oder gar falsch bezeichnet.

„Die Tatsache, dass ein bestimmter Dialekt historisch zum Standard geworden ist, hat jedoch primär mit soziopolitischen und nicht direkt mit linguistischen Eigenschaften zu tun“, sagt der Sprachwissenschaftler Philipp Meer von der Universität Münster. „Was gesellschaftlich als proper English gilt, fundiert auf einer Ideologie, einer Zuschreibung, die im Laufe der Zeit erfolgt ist.“ Seiner Meinung nach sollte auch im schulischen Kontext das Bewusstsein gestärkt werden: Abweichungen von der Standardsprache sind nicht per se schlechter, sondern linguistisch gesehen erst einmal nur anders.

Was tun? Olga Maslowska plädiert für einen bewussteren Umgang mit fremdsprachlicher Akzentvielfalt: „Die Sprache solle der Verständigung und nicht der Herstellung sozialer Hierarchien dienen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

76 Kommentare

 / 
  • We're all just people, we are all same !

  • Ob Akzent oder Dialekt - mit Rassismus hat das nichts zu tun.



    Das ist die Ablehnung alles Fremden, Abweichenden.



    Mein Vater stieß nach dem Zweiten Weltkrieg in der Lüneburger Heide auf eher nicht sonderlich positive Reaktionen, weil er "ut'n osten, achtern de sibirische grenz, keum". Daran änderte sich auch nichts, als er das damals noch als Umgangssprache auf den Dörfern übliche Plattdeutsch gelernt hatte. Das hörte sich ungefähr so an, wie wenn ein Inder Englisch spricht - übermäßig prononciert. Das reichte...

  • Image bildet sich halt nicht nur durch ein Merkmal.

    Ländlich aufgewachsende MitschülerInnen können davon ein Lied singen, wenn sie ihren Dialekt auspacken und keiner sie versteht.



    Und Länder haben eben ein Image, das auf die Menschen dieser Länder abstrahlt.



    Wir erinnern uns daran, wie sich das Image von Italienern gewandelt hat und wie gerne man das "sonnige Italo-Deutsch" beim Lieblingsitaliener hört?



    Wer will es schaffen, das negative Image von marrodierenden Terrorgruppen, Kriegsherrenländer oder Menschenrechtsverletzern nicht auf Mitmenschen aus diesen Ländern zu übertragen?



    Für Russen, Israelis u. Islamisten eher negativer Trend.



    Nazibeschimpfung im internationalen Urlaub, obwohl man dafür einfach zu spät das Licht der Welt erblickt hatte?

    Polen: "wiederkehrende Annahmen über ihr Herkunftsland, erstauntes Lob für ihre Sprachkompetenz oder Formen sozialer Distanz."



    Eine polnische Putzkraft hat mich mal davor gewarnt, nach Polen zu reisen: nie halten wg Überfall, nur Parkgarage Hotel (klauen alles), vorher buchen/bezahlen (Lug/Betrug) : -/

    Lob für Sprachkenntnisse ist doch OK? Überall Motivationsforderung, hier nicht?



    Distenz hat immer etwas mit Lebenswelten zu tun..

  • Da können die armen Sachsen ein Lied von singen.

  • Bemerkenswert ist, dass manche Menschen einen sehr persönlichen Akzent haben - meine aus Chile stammende Frau spricht deutsch mit einem deutlich anderen Akzent alle alle sonstigen Hispanohablantes, die ich kenne. Ich habe auch mal eine junge US-Amerikanerin kennengelernt, die nicht diesen typischen Akzent, ja nicht einmal den Tonfall hatte, den man von ihren Landsleuten kennt und den z. B. meine in Hamburg geborene und in Illinois aufgewachsene Cousine aus Ohio auf geradezu penetrante Weise pflegt ...

  • Über den Akzent hinaus gehören, gerade in den höchsten Registern, auch weitere Merkmale zur Beherrschung einer Sprache – bis hin zur Orthotypographie und Idiosynkrasien.



    Ob jemand Philipp oder Phillip geschrieben wird, besagt etwas über die Klasse, welcher der Namensträger entstammt: Eltern mit Graecum ist die zwote Variante ein Greuel! Das ist natürlich arrogant bis klassistisch und für einen polnischen Filip (oder so ähnlich) kann das verheerend sein.



    Wer notariell verbildet ist, hält es vielleicht mit der Grundbuchordnung und lässt Sprache gelten, „sofern Verwirrung hiervon nicht zu besorgen ist.“ (Ja, das ist Deutsch, wenn auch bannig altertümlich.)



    In anderen Zusammenhängen spielen andere Faktoren auch eine Rolle: Mein Englisch z.B. ist RP mit einem leichten Akzent, den Muttersprachler für Walisisch erachten (was auf meine ersten Lehrer zurückgeht), aber auf wissenschaftlichen Konferenzen muss ich den europäischen Kolleg:innen zuliebe mich dümmer stellen (und ggf. money statt accounting sagen).



    Im Französischen ist es wichtig, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen, wenn man nicht grobschlächtig und allemand erscheinen will.



    Ist halt alles schwierig bis vikeliensch.

  • das gleiche gilt auch für den verwendeten Schrifttyp bei wissenschaftlichen Arbeiten: der selbe Text mit unterschiedlichen Typen dargestellt, springt in der Bewertung ein bis zwei Noten nach unten. Habe leider gerade vergessen, welches jetzt die "intelligenteren Typen" sind.

    • @Fabian Lenné:

      Die Verwendung von Comic Sans oder Papyrus (PAPYRUS!!!) dürfte allerdings zurecht zu Notenabzug führen. Zudem werden über eine geschickte Typenwahl mitunter Versuche unternommen, die vorgegebene Seitenzahlbegrenzung zu unterlaufen.

      Deshalb machen viele Lehrstühle inzwischen rigorose Vorgaben, auch hinsichtlich zu verwendender Schriftart, Schriftgröße, Zeilenabstand, Kearning, Ränder...

    • @Fabian Lenné:

      Der Standard ist Arial (furchtbar grau, wenn Sie mich fragen, und als Helvetica-Abklatsch ohnehin zu konservativ) oder Times New Roman, aber bitte 11pt und mehr Zeilenabstand (mindestens 1,08), sonst werden beide zu dunkel. Im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich auch die Type, deren Name ich immer vergesse – wer solche Texte liest, weiß aber, was ich meine.



      Abweichungen davon, sollten sie nicht ohnehin durch Vorgaben ausgeschlossen sein, sind schon sehr gewagt. Vielleicht geht eine Calibri, Caslon oder sogar eine Centaur noch durch, eine Comic Sans jedoch bestimmt nicht (die ist selbst für die Einladung zu einem Kindergeburtstag nur schwer erträglich).



      Was mal ein interessanter Versuch wäre: Ein Text über Dekolonisierung in einer Schaftstiefel-Fraktur.



      Leider sind Kenntnisse im Setzen nicht sehr verbreitet, so dass die Fraktur bereits an mangelnder Sicherheit in der Verwendung des Lang-s scheitert, von Überlegungen, ob die Type ausreichend Sonderzeichen, Größen-Varianten, eine eigene gestaltete Kursive oder nur eine errechnete Schrägstellung (à la Gratis-Grotesk) hat, ganz zu schweigen.



      Das sind freilich Nischenkenntnisse, so viel sei zugestanden!

    • @Fabian Lenné:

      Eine Schriftart kann man aber leichter anpassen als sich einen Akzent abtrainieren.

    • @Fabian Lenné:

      Ich sehe keinen Bezug.

      • @Francesco:

        Die Verpackung zählt, nicht nur der Inhalt.

        Ist nicht nur bei Sprache so.

  • Interessant finde ich den Hinweis, daß beim polnischen Akzent " die Grenzen des Weißseins" erkennbar werden. Also das Polen aufgrund ihres Akzents rassistisch diskriminiert werden. Ich würde dem zustimmen, aber am Ende drängt sich dann eine ganz andere Frage auf:

    Ob der Ursprung der rassistischen Abwertung( historisch wie aktuell) nämlich nicht generell eher im Wohlstandschauvinismus und der Klassenfrage zu suchen wäre?

    Den bettelarmen Iren wurde zu Ende des 19ten Jahrhunderts ebenfalls ihr "Weißsein "von den Briten abgesprochen.



    Irland ist mittlerweile kein armes Land mehr und damit ist auch die Diskriminierung gegenüber Iren verschwunden und wurde vergessen.

    " der klauende Pole" wird als Vorurteil



    und Klischee eventuell auch bald in Vergessenheit geraten, wenn der ökonomische Aufschwung anhält

    • @R. Mc'Novgorod:

      Es gibt nunmal sehr viele weiße Menschen die rassistisch diskriminiert werden. Diese Menschen werden dann nicht durch ihre Hautfarbe sondern primär über ihren Akzent als nicht-zugehörig wahrgenommen. Nur wer Rassismus trivial als reines Hautfarbenproblem fasst kann auf die absurde Idee kommen diesen Menschen würde ihr "Weiss-Sein" abgesprochen ... Im antirassistischen Kontext der US Gesellschaft erscheint dies noch verständlich. - in der BRD ist das komplett Geschichtsvergessen hat doch der NS Staat ganz überwiegend Menschen mit weisser Haut rassistisch diskriminiert ... Allerdings verliert sich der Marker Akzent eben schon in der ersten Generation hier geborener akzentfreier hellhäutiger Kinder, während die Hautfarbe einen Generationen übergreifenden rassistischen Marker bildet. Das ist natürlich ein Unterschied der ins Gewicht fällt.



      Trotzdem erfahren Personen mit Akzent individuell dass sie dauerhaft diskriminierend gelesen werden.



      Hautfarbe als rassistischer Marker funktioniert aber unmittelbarer auf den ersten Blick ohne Worte ... bleibt aber auch offen für sprachliche rassistische Marker ob da nun wer Nigerianisches Pidging oder american english spricht ... Alles vertrackt

    • @R. Mc'Novgorod:

      Die Nazis haben die Polen während der Besetzung im 2. Weltkrieg als "Untermenschen" eingestuft und auch so behandelt; das hat in Deutschland nach dem Krieg lange Zeit nachgewirkt. Ich habe früher recht viele rassistische Äußerungen über Polen gehört (was stark nachgelassen hat), aber noch nie habe ich erlebt, dass ein Deutscher den Polen oder anderen Slawen das "Weißsein" abgesprochen hat. Der antislawische Rassismus hat mit der Abgrenzung "weiß/nichtweiß" nichts zu tun.

      Im Januar 2025 in einem Restaurant in Süddeutschland: Der Kellner sprach mit mir Deutsch mit einem für mich nicht näher bestimmbaren "ausländischen" Akzent. Am Nebentisch saß eine Gruppe weißer Gäste, die sich in einer slawisch klingenden Sprache miteinander unterhielten; ihre Kommunikation mit dem Kellner fand auf Englisch statt. Auf einmal fragte der Kellner diese Gäste, woher sie kämen, und setzte hinzu, er frage deshalb, weil sie gut Englisch sprächen. (Ihre Antwort habe ich nicht mitbekommen.) "Rassistische Mikroagression"? Wohl kaum. Der Kellner war übrigens ein Schwarzer.

    • @R. Mc'Novgorod:

      Wann muss dabei aber im Auge behalten, was im Artikel als antipolnischer Rassismus gilt:

      "subtilen Mikroaggressionen: wiederkehrende Annahmen über ihr Herkunftsland, erstauntes Lob für ihre Sprachkompetenz oder Formen sozialer Distanz."

      Mein Eindruck:



      Polnischer Akzent hat einen enormen Aufschwung an Akzeptanz erlebt.

      In der 90ern war es der Akzent der Diebe und Billigarbeiter.

      "Wohlstandschauvinismus" trifft es.

      Heute ist er der Akzent der Fachhandwerker, der Studenten und Nachbarn.

      Aber heute gilt das Lob guter Deutschkenntnisse auch als rassistische Mikroaggression.

      • @rero:

        "Aber heute gilt das Lob guter Deutschkenntnisse auch als rassistische Mikroaggression."

        Die Leute meinen es nett, aber es ist zermürbend, wenn man jeden zweiten Tag für sein gutes Deutsch gelobt wird oder spontan auf Englisch angesprochen wird oder gefragt wird, woher man kommt oder zufällig als einziger im Zug kontrolliert wird usw. – ich bin jetzt offensichtlich bei der Hautfarbe angelangt, das passt nicht zum Artikel, aber zum aufgeregten Kommentar bzgl. Mikroaggression.

  • Das Akzente laut einer Studie automatische Zuschreibungen in Bezug auf Bildungsniveau oder soziale Schicht auslösen, kann ich so nicht bestätigen.

    Der Personenkreis hierzulande der meinen norwegischen Akzent auch dem Land richtig zuordnen konnte ist überschaubar. Bestenfalls lief es auf Schweden hinaus.

    Im Gegensatz zu vielen anderen hier im Forum liebe ich deutsche Dialekte und ich selbst spreche hier in Norddeutschland auch am liebsten Plattdeutsch statt Hochdeutsch. Das liegt aber eher an der verwandten Sprachfamilie, denn wer plattdeutsch beherrscht hat nur wenig Mühe norwegisch zu verstehen.

    Auch Vorurteile gegenüber ausländischen Akzenten kann ich in der Praxis nicht bestätigen, mein Eindruck ist eher das hierzulande die einheimischen Akzente das Schubladendenken fördern. Ich hatte einmal eine Assistentin, die hatte einen wunderschönen sächsischen Akzent, der aber unter den Hanseaten für allerlei Gespöt gesorgt hat. Das war für mich völlig unverständlich.

    • @Sam Spade:

      Ein einzelner Norweger fühlt sich nicht diskriminiert, verstehe ich das richtig? Gern geschehen, aber was hat das jetzt mit dem Artikel zu tun?

    • @Sam Spade:

      Würde ich unterschreiben.

    • @Sam Spade:

      Es gibt da schon die Witzeleien, dass ein bestimmter Akzent bis Dialekt, sagen wir: Schwäbisch das unfehlbare Verhütungsmittel überhaupt sei. Und ich kenne Menschen, die als Hochdeutschsprecher genau das toll finden und (vergeblich) zu lernen versuchen.

      Norwegisch werden 08/15-Deutsche selten zu identifizieren wissen (ich wohl auch nicht, obwohl ich auch da mal kurz einen Kollegen mit formidablem Deutsch hatte), weil es selten ein Urlaubsziel ist und auch wohl weniger Norweger im Lande sind als Schweden, Dänen, Briten, Türken, was auch immer. Die Trefferwahrscheinlichkeit wäre also auch niedrig, wenn mensch dies vermutet.

  • Guter Artikel, falsche Schlussfolgerung. Lernt Fremdsprachen sprechen, nicht nur lesen. Dass man nach der Pubertät keine Fremdsprache mehr lernen kann, ist Quatsch. Man muss sich nur mehr Mühe geben als Ursula v.d. Leyen.

    • @Claude Nuage:

      Ich halte Frau v.d.Leyen politisch in allem, was sie getan hat und immer noch tut, für eine Fehlbesetzung, aber ihre Sprachkenntnisse gerade in Englisch und Französisch für außergewöhnlich gut. Sie hatte in dieser Beziehung das Glück, mehrsprachig aufgewachsen zu sein und hat dies auch später weiter gepflegt.

    • @Claude Nuage:

      Man kann schon wissen, dass von der Leyen in Brüssel aufwuchs (Papa Ernst Albrecht war da noch bei der Kommission) und entsprechend Französisch und Englisch jung mitbekam. - Politisch habe ich bei UvdL massive Fragezeichen, aber ihre Sprachen sitzen ungewöhnlich gut, auch nach sehr langen Jahren in Deutschland.

      Und wie schon andere meinten: Hauptsache, klar & verständlich. Bei Französisch legen die Einheimischen die Latte etwas hoch, stolz, doch auch hier wird die Anstrengung bereits gewertschätzt. Gilt übrigens auch für den Urlaub in Molwanien, nicht gleich auf Deutsch loslegen, doch der Babelfisch aka Translate-Apps ist auch absehbar.

    • @Claude Nuage:

      In meinen Ohren klingt ihr Englisch wesentlich besser als das vieler anderer EU-Politiker:innen.

    • @Claude Nuage:

      Selbstredend kann man auch als Erwachsene noch Fremdsprachen bis zum C1-Niveau lernen, grammatisch meist korrekter als Erstsprachler, komplette Akzentfreiheit ist dabei dennoch selten - und bevor ich falsch verstanden werde: Sie ist m.E. auch gar nicht nötig, welcher Niederbayer und welche Pfälzerin würden denn immer akzentfrei plaudern? Und weshalb sollte man deshalb russische, arabische oder koreanische Akzente abwerten?



      Mehr Freude an der Vielfalt statt herablassender Toleranz sei allen zu wünschen.

      • @hierbamala:

        👍👍 " alegria en la vida " 😉

  • Selbst wenn der Akzent akzeptiert wird, gibt es noch viele Unterscheidungen für den Bildungsgrad. Der Satzbau, beiläufige oder strukturelle Bezüge zu Literatur, Geschichte etc, die Wortwahl - und schon wird man als gebildet anerkannt oder man bekommt die kalte Schulter.



    (Für das Phänomen gibt es bestimmt auch einen schönen Fachausdruck, aber schon zeigt sich wieder der Bildungsgrad. Mist.).



    Und alles alles ohne Sexiness oder Rassimus.

  • Das fängt schon bei Akzenten an, die von Dialekten stammen. Der stärker der Akzent und je größer die sprachräumliche Entfernung, desto eher wird damit mangelnde Bildung verbunden. Das betrifft auch die Attraktivität von Personen, die durch ein paar Worte mit dem "falschen" Akzent total in den Keller gehen kann. Es dürfte also recht schwer sein, dem bei zu kommen, weil das tief im Emotionalen verwurzelt ist.

    • @noctuaNigra:

      Genau diesen Hinweis auf Akzente im eigenen Sprachbereich – und dies gilt ja nicht nur fürs Deutsche – habe ich im Artikel vermisst. Es ist mir auch unerklärlich, wie solch ein naheliegender Bereich ignoriert werden kann.

  • Tja, aus eigener Migrationserfahrung kann ich bestätigen, dass es ungemein nerven kann mit irgendwelchen Stereotypen / Vorurteilen anhand von Akzent / Dialekt / Namen behelligt zu werden. Andererseits ist das halt Bestandteil der Entscheidung in einem anderen Land zu leben. Muss man ja nicht unbedingt oder man bleibt in irgendwelchen Blasen wo man sich wohl fühlt, muss sich dann aber nicht wundern auch nicht richtig "angenommen" zu werden. Etwas mehr Gelassenheit hilft weiter, aber klar Diskriminierung aufm Amt geht gar nicht.



    Und Leute die meinen dass Polen "weniger zivilisiert" sei, stellen ihre eigene Doofheit dermaßen offensichtlich zutage, dass man doch nur drüber lachen kann! Einfach mal von Berlin (Müll, Chaos, nix geht) den Zug nach Warschau (sauber, geordnet, meist pünktlich) nehmen... Von so unbedeutenden Sachen wie digitaler Infrastruktur etc. mal ganz abgesehen. Aber wenn ich mal wieder gepflegte Zeitreise in die 70er Jahre machen will, bin ich immer wieder gerne in der deutschen Provinz, ganz ehrlich. War schon schön gemütlich damals :-)

  • „Akzentismus“, was es nicht alles gibt.



    Ich bin mir sicher, dass die Welt auf nichts mehr wartet als mehr "-musse".

    Naja gut, es ist allerdings ziemlich beschränkt, jemanden für dümmer zu halten, nur weil die Person die jeweilige Sprache nicht akzentfrei beherrscht. Insbesondere bei fremdländisch aussehenden Leuten ist damit zu rechnen. Wenn ich fremde Personen anspreche, egal wie sie aussehen, versuche ich stets freundlich und deutlich, aber sprachlich exakt (=" für mich normal") zu sprechen. Wenn ich dann signalisiert bekomme, dass mich die betreffende Person nicht versteht, versuche ich mich auf andere Weise verständlich zu machen. Ich würde von mir aus aber niemanden in einer Art Kleinkindsprache, aber auch nicht in einer Fremdsprache ansprechen, zumindest so lange ich mich in Deutschland befinde.



    Aber das Deutschkenntnisse nichts mit Intelligenz zu tun haben, ist doch klar. Merkwürdige Leute sind das, die so etwas annehmen.

    Aber ich nehme auch Leute nicht wirklich ernst, die ernsthaft meinen, Leute mit Dialekt seien weniger intelligent.

  • Gilt genauso für Dialekt, mit bayrisch (obwohl es den bayrischen Dialekt auch nicht gibt z.B. fränkisch, allgäuerisch,...), in Berlin ist man eine Lachnummer, obwohl das Geld vom Länderfinanzausgleich gerne genommen wird. Genauso geht es friesisch, sächsisch, saarländisch, thüringisch.... Meist kommt dies Verhalten bei Geisterwissenschaftlern, bei Ingenieuren oder Technikern habe ich das noch nicht erlebt und bevor jetzt jemand Schnappatmung bekommt, ich habe in beiden Disziplinen einen Universitätsabschluss.

    • @Reinero66:

      "Geisterwissenschaftler" - toll! Ansonsten nur eine Mäkelei: Friesisch ist kein Dialekt, sondern eine Sprache mit eigenen Dialekten wie Nordfriesisch, Saterfriesisch und das ausgestorbene Ostfriesisch, das durch dass Plattdeutsche (übrigens ebenfalls eine eigenständige Sprache mit vielen regionalen Varianten) verdrängt wurde...

    • @Reinero66:

      Bayern nimmt ja auch gerne den Strom aus dem Norden, die Hälfte der Infrastrukturmittel aus diversen CSU-geführten Ministerien und die Universitätsabsolvent*innen, besonders Lehramt, aber das ist ein anderes Thema. Im Norden fehlt gegenüber dem "Bayrischen" schon oft die Fähigkeit zur Unterscheidung, da haben Sie Recht, aber wieso sollte man die auch haben. Die damit verbundenen Identitätskonstruktionen, Abgrenzungen, Proporzregelungen, Konflikte und Verbrüderungen haben außerhalb Bayerns halt keine Relevanz. Genau wie der "Unterschied" zwischen Schwaben und Badensern für Menschen jenseits von BaWü Wumpe ist. "Bayrisch" steht außerhalb Bayerns oft für arrogant, besserwisserisch und reaktionär (was oft im Widerspruch zum Selbstbild, aber nicht zu Ihrem Post steht). Es steht aber z.B. nicht für reaktionär, dumm und aggressiv wie das Sächsische. Es hätte Sie also schlimmer treffen können.

      • @My Sharona:

        Zur Info, ich stamme nicht aus Bayern, sondern bin eine Mischung aus Hessen, Thüringer und Saarländer und lebe in Hessen. Ich babbele aber nicht, ich schnuddele.

      • @My Sharona:

        "Genau wie der "Unterschied" zwischen Schwaben und Badensern für Menschen jenseits von BaWü Wumpe ist."



        Und schon als Schwabe oder Zugereister geoutet. Wer in Baden Badenser sagt, wird umgehend des Landes verwiesen ;-)

    • @Reinero66:

      "mit bayrisch (obwohl es den bayrischen Dialekt auch nicht gibt z.B. fränkisch, allgäuerisch,...), in Berlin ist man eine Lachnummer, obwohl das Geld vom Länderfinanzausgleich gerne genommen wird"

      Mag sein, aber dieses permanente Hinweisen auf die Großartigkeit Bayerns (Reichtum, Bildung, Landschaft, offenbar Vielfalt, etc) ist wohl ausschlaggebender als der Akzent. ;-)

    • @Reinero66:

      Ich kenne gerade hier im altbairischen Sprachraum viele in der jüngeren Generation, die sich während eines Hochschulstudiums (v.a. Geisteswissenschaften) ihren Dialekt abtrainiert haben. Mit der Begründung, sie würden sonst nicht ernst genommen.

      Das muss ja jeder selber wissen. Meine Kritik liegt darin, dass der Dialekt ja nicht einem schönen Hochdeutsch gewichen ist, sondern diesem komischen mit willkürlichen Anglizismen durchsetzten Neusprech. Der gilt merkwürdigerweise als satisfaktionsfähig - selber nehme ich an mir nicht wahr, dass ich Menschen mehr ernst nehme, wenn sie "safe" statt "freili" oder "wild" statt "gaach" sagen.

      • @Meister Petz:

        Aber sicher, es gibt quasi nichts Satisfaktionsfähigeres als Jugendsprache. Deshalb wird die auch nie irgendwo als 'Neusprech' bezeichnet oder unernst genommen.

  • Wenn Sprache als anders artikuliert wahrgenommen wird, als man sie sich als Standard vorstellt, dann führt das oft zum sogenannten Halo-Effekt, bei dem ein Merkmal andere überstrahlt und somit die Gesamtwahrnehmung deutlich verzerrt. Klassistische oder rassistische Diskriminierung ist dann eher die Folge dieser Wahrnehmung, nicht die Ursache. Das lässt, denke ich, nicht unmittelbar auf eine solche Ideologie schließen. Gleichwohl ist ein Sensibilisieren für verschiedene Sprechweisen sehr zu begrüßen.



    Interessanter Exkurs hierzu: Ein lateinisches Wort für "Kind" ist "in-fans", also "nicht-sprechend", was wohl als nicht richtig sprechend verstanden werden muss. Auch in vielen anderen Sprachen werden "andere", die nicht der eigenen Gruppe angehören, als diejenigen markiert, die nicht über die "richtige Sprache" verfügen und damit auch nicht über das "richtige", nämlich das eigene, Wissen verfügen.

    • @Marius:

      Fun Fact: Im Polnischen heißen die Deutschen Niemcy, was "die Stummen" bedeutet. Historisch weil ihre Sprache so krass anders ist als die der osteuropäischen Nachbarn wie zum Beispiel der Tschechen und Slowaken.

      • @PeterArt:

        Nicht ganz korrekt. Der Begriff stammt aus dem Urslawischen und bedeutet Fremder. Abgeleitet wurde der Begriff dann im Laufe der Zeit in Stumm.

        Der Ursprung bezog sich auf eine fremde Sprache mit der die Slaven nicht kommunizieren konnten.

        Später wurde der Begriff auf das Deutsche eingeengt in Russisch Némez , Ungarisch Német oder Tschechisch Nemec

        • @Sam Spade:

          Sorry, aber es bedeutet wörtlich "nicht sprechend".

          "Nie" bedeutet noch immer in den meisten slawischen Sprachen " nicht".

          "Fremd" kann bestenfalls eine Weiterentwicklung der Bedeutung sein.

  • Meine Mutter hatte auch einen Akzent, sprach aber Hochdeutsch. Mein Vater sprach fast nur Dialekt.



    Bei mir hat das großes Interesse an allem Sprachlichen ausgelöst, insbesondere am Klang der Sprache. Soweit ich weiß, hängt es von der Musikalität und der Fähigkeit zum Eintauchen in eine Sprache ab, wie gut der Klang einer Fremdsprache erfasst und aufgenommen werden kann. Ich kenne viele, die Deutsch als Fremdsprache wirklich nahezu akzentfrei sprechen.



    Wenn jemand mit starkem Akzent spricht, ist das für das muttersprachliche Gegenüber übrigens auch anstrengend, weil man Wörter zum Teil nicht versteht und es zu Missverständnis kommen kann. Das ist zb im medizinischen Bereich wirklich manchmal herausfordernd. Diesen Aspekt haben Sie im Artikel erstaunlicherweise völlig weggelassen. Die „rassistische Markierung“ ist sicherlich vom Akzent beeinflusst, hängt aber doch auch vom Auftreten, Habitus und letztlich eher auch vom Einkommen ab.

  • Wie wird denn ein deutscher Akzent im Ausland wahrgenommen?

    Wie werden deutsche Dialekte von Einwanderern kategorisiert?

    • @Chris McZott:

      Die US-Comicfiguren Katzenjammer Kids sprachen deutschen Akzent - der wurde erst mit dem Weltkrieg I weitgehend ausradiert (Feind).



      Manche Länder sind perfektionistischer als andere. Beim Französischen lohnt es sich zu konzentrieren. Engländer werden vielleicht ein "You're zze spy" zischen und grinsen, aber sonst nichts sagen. Andere Länder erwarten zumeist weniger, dass mensch ihre Sprache überhaupt spricht.



      Das Deutliche des Deutsch wird zuweilen als hart und bäurisch konnotiert.

    • @Chris McZott:

      Die zweite Frage finde ich hochinteressant und wäre sicherlich einen eigenen Artikel wert.

  • Sprache ist ein wichtiges Mittel der Kommunikation. Ein Akzent ist dabei sicherlich nicht unbeachtlich, aber auch nicht letztbestimmend.

    Vorurteile sind selbsverständlich korrigierbar, basieren aber leider oft auf gewissen Lebenserfahrungen. Den französischen Akzent ("Dainä Muttèr iest ein 'amstèr und dain Vatèr stank nach Wacholdèrschnaps!") assoziiert man gemeinhin eben überwiegend nicht mit besonders negativen persönlichen Erlebnissen.

    Einen Akzent zu haben, oder bewusst einen Dialekt oder auch Soziolekt zu sprechen, ist manchmal ja auch schlicht Teil der Marke. Vico Torriani, Kurt Felix, Rudi Carell und Roberto Blanco grüßen aus der Unterhaltungs-Vorzeit. Atze Schröder und Hausmeister Krause sind ebenfalls bewusst geformte Figuren - gesichert auch sprachlich.

    Wer freilich jemanden, der mit einem bestimmten Akzent spricht, über eine ggf. viszerale anfängliche Einstufung hinaus glaubt, intellektuell abwerten zu dürfen, sollte sich vergegenwärtigen, dass auch akzentfrei hochdeutsch sprechende Menschen häufig ziemlichen Blödsinn erzählen können.

    Sobald wichtiger ist, wie jemand etwas sagt, als das _was_ man eigentlich sagt, wird's allerdings doof.

  • Es ist einfach falsch in diesem Zusammenhang von Rassismus zu sprechen.



    Gehören Spanier, Italiener, Russen und Polen einer anderen Rasse an?



    Das behauptet sicher heutzutage kein Mensch mehr.



    Und für die Weltbevölkerung gilt, wissenschaftlich unwiderlegbar bewiesen sowieso, dass wir alle zu 99% genetisch gleich sind.



    Nein, es ist kein Rassismus. Aber wenn ich Leute wie Trump sprechen höre, fällt es mir manchmal schwer, das amerikanische Englisch zu mögen. Wenn ich das äusserst unangenehme Geblöke von Erdogan höre, kann die Sympathie für seine Sprache leiden. Oder wenn in den Medien Nazis mit sächsischen Akzent "Ausländer raus" brüllen, kann sich eine, wenn auch falsche Aversion gegen diesen Dialekt bilden. Oder wenn im reinsten Schwäbisch über den "Menschenfresser" Bill Gates oder die "gefährlichen Chemtrails" geschwurbelt wird.



    Das ist erstmal menschlich. Natürlich muss man sich selbstkritisch hinterfragen, um nicht auf seine eigenen Assoziationsketten herein zu fallen. Aber mal ehrlich....



    Das passiert doch jedem.

    • @ Christoph:

      99% genetische Ähnlichkeit ist schon der Schimpanse (der Bonobo liegt bei 99.6%). Zwischen Menschen aus verschiedenen Weltregionen ist der Unterschied noch wesentlich kleiner.

  • Akzent-Dialekt-Fremdsprache...ich find lustig und krotesk das zugegognene aus anderen Bundesländern Berliner Dialekt also berlinerisch nicht lernen wollen und auch nicht können ob wohl sie Deutsch sprechen. Hier mal ein Link berliner-schnauze.wtf/

    • @HAHABerlin:

      Berlinerisch gibt es ja nur deshalb, weil Zugezogene ihre Dialekte mitgebracht haben.

    • @HAHABerlin:

      Warum sollte mensch denn in einer Großstadt plötzlich zu kieksen und granteln beginnen? Föderales Denken würde wohl mit anderem beginnen.

      Didi Hallervordern schaffte es jedoch dabei übrigens stilbildend - als ursprünglicher Dessauer.

  • Ein PS: Wenn ich, sagen wir, in den Niederlanden nach meiner Herkunft gefragt werde (die deutlich zu deutliche Aussprache, das v, das vertrackte ui), stört mich das nicht. Ich nehme da erst mal wohlwollend an, da will nur jemand aufmerksam ein mögliches Smalltalkthema finden oder ist einfach echt neugierig.



    Wenn dann jemand tatsächlich plump in die Stereotype ginge oder gar kein anderes Thema hätte, gebe ich das Fahrrad einfach nicht zurück ; )

    Gleichwohl vielen Dank für einen sensibilisierenden Artikel. Ob breiter amerikanischer Akzent so positiv konnotiert wäre, weiß ich dabei gar nicht mal, freue mich aber über jede Person, die sich da Mühe gibt, überhaupt Deutsch zu reden und jeden Tag kommunikationsfähiger wird.

    • @Janix:

      Ich spreche leider kein Niederländisch, kann aber dank Rudi Carrell Deutsch, Englisch und Spanisch mit niederländischem Akzent sprechen...

    • @Janix:

      „… freue mich aber über jede Person, die sich da Mühe gibt, überhaupt Deutsch zu reden und jeden Tag kommunikationsfähiger wird.“



      So geht es mir auch (vor allem, wenn man mit englisch nicht weiter kommt, da alle anderen „Schulsprachen“ weitestgehend verschüttet sind). Ich erfreue mich an jedem Akzent/Dialekt.

  • Funktioniert übrigens auch mit Dialekten. Sächsisch: total beschränkt. Berlinerisch: der pöbelnde Asi in der Talkshow. Norddeutsch: alle wollen ein Kind von dir.

    • @Klaus Klabuster:

      Wenn schon Vorurteil, dann aber richtig:



      Beim ersten Wort so einer Schnellschwätzer-Tante, die mich mit ihrem arroganten Hochdeutsch sowieso nur über den Tisch zieht, vergeht mir alles ;-)

    • @Klaus Klabuster:

      Polnischer Akzent bei jungen Frauen: Süß und sexy.

    • @Klaus Klabuster:

      Schön wär's ;)

    • @Klaus Klabuster:

      Sehr gute Anmerkung. Genau, mit dem falschen Dialekt hat man’s auch schwer. Da sieht man gut aus, öffnet den Mund und rauskommt einer der Deppendialekte. Aber: Haha Norddeutsch - „alle wollen ein Kind von dir!“ - nehme mal an, das ist Selbstüberschätzung als Norddeutscher:) Ehrlich gesagt hören sich für mich alle Dialekte außer gut austariertes Berlinisch unerotisch und deppenmäßig an…

      • @Karla Columna:

        "gut austariertes Berlinisch" - ich lach mich schlapp! Ansonsten: Klei mi ann Mors!

      • @Karla Columna:

        Ganz schlimm ist das praktisch dialekt- und akzentfreie Schriftdeutsch aus dem östlichen Niedersachsen. Furchtbar!

        • @Chris McZott:

          Das ist eine Legende. Die sprechen nicht akzentfrei. Die norddeutschen Akzente sind halt generell schwächer, man spricht ja auch nicht mehr Plattdeutsch. Während in Süden noch richtig Dialekt gesprochen wird, da ist der Akzent im Hochdeutschen halt auch stärker.

          • @blutorange:

            Ich bin Mecklenburger (gesprochen: Meeklenburgä) und für mich hört sich alles ab der Linie Hannover-Braunschweig und weiter südlich 0,0 nach Norddeutschland an.

            Wo ein "ä" nicht mehr als "eh" und ein "er" nicht mehr als "äh" gesprochen wird, ist Norddeutschland zu Ende ;)

        • @Chris McZott:

          Nicht ganz - mir ist aufgefallen, dass Braunschweiger sich anhören wie Berliner, die Hochdeutsch sprechen.

  • Interessanter Artikel. Meine Mutter hat einen starken russischen Akzent. Ich habe sie mal nach Diskriminierungserfahrungen gefragt. Diese hatte sie verneint. Kann natürlich auch mit der DDR-Vergangenheit Zusammenhängen. Aber ich kann mir vorstellen, dass das eine große Rolle spielen könnte.

  • "Was tun? Olga Maslowska plädiert für einen bewussteren Umgang mit fremdsprachlicher Akzentvielfalt: „Die Sprache solle der Verständigung und nicht der Herstellung sozialer Hierarchien dienen.“..."



    Vielleicht wäre auch eine häufigere Präsenz von Musik oder Redebeiträgen mit fremdsprachlicher Akzentvielfalt möglich in Programmen von Radio und Fernsehen. Beim ÖR ist es aus Gründen der angespannten Finanzen jetzt mit den sogenannten Spartensendern erstmal ein schwieriges Thema.



    Bei chip.de:



    "tiefgreifende Reformen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk beschlossen. Dazu zählt offenbar die Streichung der Hälfte der linearen Spartenprogramme. Betroffen seien unter anderem Tagesschau24, Phoenix, ZDFneo und KiKA.



    Zudem soll jeder dritte Hörfunksender wegfallen. Auch der Deutschlandfunk könnte Programme streichen. Welche spezifischen Sender betroffen sein werden, entscheiden die Rundfunkanstalten selbst."



    Ein interessantes Beispiel für Alternativen:



    www.zeit.de/kultur...osmo-ard-migration

  • Naja, genetisch haben spätestens seit 1945 viele Deutsche "polnische" Gene, und nicht nur im Osten des Landes.



    Und die ganzen anderen sind auch mehr oder minder im Genpool. So what?

    Sprache sollte dabei präzise genug und verständlich sein, nicht weniger, nicht mehr.



    Daher achte ich inzwischen weniger auf meinen Akzent in meinen Fremdsprachen als früher, solange es die Kommunikation nicht stört.

    Standardisierung so weit, dass die gemeinsam gebrauchte Sprache klarer und rascher verständlich wird (sie wird es). Aber gut denkende Niederbaiernde sind mir lieber als mäßig denkende Wolfenbüttler.

    • @Janix:

      Polnische Gene seit 1945? Quatsch, das Ruhrgebiet, Berlin und das damals noch preußische Wilhelmsburg sind bereits zur Kaiserzeit von polnisch-masurisch-oberschlesischen Zuwanderern geprägt worden. Jede deutsche Fußballweltmeister-Elf hatte ihren Turek, Grabowski oder Littbarski, nur die von 2014 hatte einen typisch deutschschlesischen Klose, der aber, anders als die Vorgenannten, gebürtiger Pole ist. Vergessen wir auch nicht, dass Angela Merkels, geb. Kasners Vater selbst ein gebürtiger Kazmierczak war...

  • In einem Land, in dem jemand mit Dialekt bereits als weniger kompetent und ungebildet wahrgenommen wird, ist nicht zu erwarten, dass ein Akzent besser akzeptiert ist.

    Ich weiß von Leuten, die ein Auswahlgespräch verloren haben, weil sie im Gespräch teilweise in Dialekt verfallen sind.

    Die Sortierung der Akzente im Artikel klingt für mich sehr nach akademischer Oberschicht, wo man gern ein Auslandsjahr in den USA oder Australien macht.

    In einer anderen Schicht muss ein amerikanischer Akzent überhaupt nicht attraktiv klingen.

  • Was gesellschaftlich als "proper English" bezeichnet wird, ist vor allem das Englisch, was man in der Schule lernt oder mit dem man im Alltag zu tun hat. Meine Elterngeneration z.B. versteht eigentlich nur britisches Englisch halbwegs, während ich aufgrund meines Medienkonsums besser US-Englisch verstehe. Das ist nicht alles nur Ausdruck von Hierarchie und Diskriminierung, sondern auch einfach von Exposition. Wenn man nie jemanden ugandisches Englisch sprechen gehört hat und indisches Englisch kann, dann klingt es eben erstmal "falsch" - und im schlimmsten Fall versteht man es dann eben nicht. Und indisches Englisch klingt für mich nicht anders witzig, als sächsisch oder "bairisch" es klingen, wobei gerade ersteres auch gerne mal zu (ganz rassismusfreier!) Diskriminierung führen kann.

  • Wichtiges Thema und schöner Artikel dazu. Die Standardideologie ist ein sehr komplexes Thema und es wäre super, wenn dazu in den Schulen zumindest in den Grundzügen etwas Sensibilität geschaffen würde. Passiert tlw. ja vielleicht auch, aber insgesamt fühlt es sich glaube ich für die meisten Laien ganz "natürlich" an, dass es in der Regel genau eine "richtige" Form einer "Sprache" gibt. Das in Frage zu stellen braucht viel Reflexion.

    Ein Linguist

    • @Outis:

      Ich war überrascht zu hören, wie viele Menschen bei einem Dialekt auf die geistige Leistungsfähigkeit schließen. Die Thematik ist ähnlich. Wahrscheinlich benötigt es einen bestimmten Intellekt, um diesem Trugschluss nicht zu erliegen. Für Rechtschreibung und Grammatik gilt ähnliches.



      Wahrscheinlich einer der Gründe, warum 90 Prozent der Bundestagsabgeordneten eine Universität von innen gesehen haben.



      Schöne Worte sind vllt einfach wichtiger als der Inhalt.

    • @Outis:

      Mir öffnete es die Augen, als ich mal die lateinische Schulgrammatik komplett durchlas, wie viele Nebenformen dieser eigentlich lebenden Sprache existieren, doch eben nicht in der Schule unterrichtet werden.