Aktivistin über Präventivgewahrsam: „Der Geist ist frei“
Lina Schinköthe ist Mitglied der Letzten Generation – und eine von elf Aktivist:innen, die Weihnachten in Haft in München verbringen mussten.
Die Begrüßung muss schnell gehen – das Gespräch, das die Gefängnisleitung nach mehreren taz-Anfragen erlaubt hat, darf nur 30 Minuten dauern. Nach einer Straßenblockade im Dezember verordnete ein Münchener Gericht für Lina Schinköthe Präventivhaft bis zum 5. Januar. Das Interview findet am Tag vor ihrer Entlassung statt.
taz: Sie sind seit dem 21. Dezember in Präventivhaft. Wie sehr freuen Sie sich auf die Entlassung?
21, ist seit Februar 2022 bei der Klimagruppe Letzte Generation. Sie hat ihr Philosophiestudium für den Aktivismus aufgegeben.
Lina Schinköthe: Ich freue mich, meine Freunde und meine Familie wiederzusehen. Es ist nicht angenehm, hier zu sein. Das Gefühl lässt sich kaum beschreiben: wenn man Gitter vor den Fenstern hat und die Zellentür ins Schloss fällt, wenn der Körper gefangen, aber der Geist frei ist – das klingt klischeehaft, ich weiß…
Wie ist es Ihnen in Haft ergangen?
Man hat sehr viel Zeit mit sich und den Menschen, mit denen man gemeinsam in einer Zelle ist. Ich habe mir die Zelle mit drei anderen Frauen der Letzten Generation geteilt. Wir haben alle unsere Familien vermisst. Ich habe ein Buch über die friedliche Revolution in Belarus gelesen. Dort haben vor allem Frauen gegen das unterdrückerische System protestiert. Das war sehr inspirierend.
Warum wird Ihr Protest so hart bekämpft?
Die Politik sperrt uns lieber weg, als sich mit der unangenehmen Wahrheit, der Klimakrise, zu beschäftigen. Ich kann oft nicht fassen, dass ich in einer Welt lebe, in der das wirklich passiert. Das macht mich traurig und manchmal auch sehr wütend.
Hat es geholfen, dass Sie mit Ihren Mitaktivist:innen in Haft darüber sprechen konnten?
Wir haben viel geredet und uns gegenseitig unterstützt. Jeden Abend haben wir das Fenster geöffnet: Mit unseren Familien und den männlichen Inhaftierten unserer Gruppe war ausgemacht, dass wir immer um acht ein paar Lieder singen, zum Beispiel „Have you been to jail for justice“.
Wie läuft ein Tag in Präventivhaft ab?
Man kriegt drei Mahlzeiten am Tag, manchmal frische Wäsche, und es gibt einen Hofgang. Ansonsten passiert nicht so viel. Ich war trotzdem sehr dankbar für alles, was wir bekommen haben. Eine warme Mahlzeit ist Luxus. Jetzt schon leiden Menschen Hunger oder sterben, weil ihre Ernten wegen der Klimakatastrophe ausfallen.
Wie fühlt es sich an, für den Klimaaktivismus kriminalisiert zu werden?
Ich bin eine ganz normale Bürgerin dieses Landes. Natürlich gelten die Gesetze auch für mich. Gleichzeitig sagt mir mein Gewissen: Das, was die Regierung macht, kann nicht richtig sein. Laut Artikel 20a im Grundgesetz ist sie dazu verpflichtet, Lebensgrundlagen zu schützen. Das tut sie ganz offensichtlich nicht. Ist das nicht vielleicht auch kriminell?
In München wurden schon vor Ihnen Menschen der Letzten Generation in Präventivhaft gesteckt. Warum haben Sie sich gerade dort den Protesten angeschlossen, mit dem Risiko, selbst inhaftiert zu werden?
Vor mir haben hier Menschen am Stachus geklebt, die ich bewundere. Zum Beispiel Winfried Lorenz, der ist 63 Jahre alt. Als er für 30 Tage in Haft kam, wollte ich seinen Platz auf der Straße einnehmen und seinen Protest weiterführen. Mir war natürlich bewusst, dass auch mir die Präventivhaft droht. Gleichzeitig habe ich Kraft daraus geschöpft: Niemand kann mir die Entscheidung nehmen, mich friedlich gegen die aktuelle Politik zu wehren. Unabhängig davon, ob ich auf der Straße klebe oder danach 30, 60 oder sogar noch mehr Tage in Haft sein werde.
Haben Sie trotzdem Angst davor, beim nächsten Protest einfach wieder inhaftiert zu werden?
Ja, natürlich. Ich bin 21, am liebsten würde ich studieren oder mit meinem kleinen Bruder auf den Spielplatz gehen anstatt die Zeit im Gefängnis zu verbringen. Die Haft zu riskieren ist eine Entscheidung, die man nicht leichtfertig trifft.
Haben Sie im Gefängnis auch schöne Erfahrungen gemacht?
Wir haben ganz viele Briefe von Menschen bekommen, die sich bei uns für unseren Mut bedanken und sich mit uns solidarisieren.
In der Gesellschaft solidarisieren sich längst nicht alle mit der Letzten Generation. Wünschen Sie sich mehr Unterstützung?
Ich weiß, dass meine Freunde und meine Familie zu mir stehen. Das gibt mir den Mut weiterzumachen. Generell geht es uns nicht darum, dass die Menschen uns mögen. Sondern darum, etwas zu verändern. Die Proteste werden weitergehen.
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