Klimaprotest in Großbritannien: Kleben und kleben lassen
Die britische Sparte von Extinction Rebellion will erst mal keine Straßen mehr blockieren. Deutsche Mitstreiter:innen schließen sich nicht an.

Klebt: Extinction-Rebellion-Protest 2019 in London Foto: Lisi Niesner/reuters
BERLIN taz | Die Klimabewegung Extinction Rebellion will in ihrem Ursprungsland Großbritannien nicht mehr auf „öffentliche Störung“ setzen. „Wir hören auf“, steht über einer Mitteilung der Gruppe. Vorerst soll es demnach keine Protestaktionen mehr geben, bei denen die Aktivist:innen zum Beispiel Straßen blockieren oder sich in Galerien an Bilderrahmen festkleben – die also die Öffentlichkeit im Alltag betreffen. Gerade für solche Aktionen ist die 2018 gegründete Gruppe bekannt.
Es sei notwendig, die eigene Taktik ständig weiterzuentwickeln, schreiben die Aktivist:innen. Dabei würden sie weiter „anerkennen und feiern“, dass Aktivist:innen durch Störungen Alarm schlagen können.
Jetzt wolle Extinction Rebellion aber eher das Knüpfen von „Beziehungen gegenüber dem Blockieren von Straßen priorisieren“, also als Bewegung wachsen. Die Gruppe plant für April eine Großaktion, bei der sie mit 100.000 Menschen den Westminsterpalast einkreisen will. Dort sitzen die Häuser des britischen Parlaments.
Die Aktivist:innen sprachen von einer „kontroversen Entscheidung“. Schließlich haben sich andere Gruppen gerade erst auf genau solche Aktionen eingeschossen, die Extinction Rebellion jetzt erst einmal nicht mehr durchführen will.
Reaktion auf Kriminalisierung
Beispielsweise gingen im Oktober die Fotos von Aktivist:innen der Gruppe Just Stop Oil um die Welt, die ein Gemälde aus der Sonnenblumen-Reihe von Vincent van Gogh mit Tomatensuppe beschmierten und sich am Rahmen festklebten. Das mit Glas abgedeckte Bild kam dabei nicht zu Schaden. Die Aktion fand Nachahmung, unter anderem bei der deutschen Gruppe Letzte Generation.
Den Strategiewechsel erklärt Extinction Rebellion unter anderem damit, es sei eine Zeit, „in der es kriminalisiert wird, wenn man seine Meinung sagt und aktiv wird“. Großbritannien hat im vergangenen Jahr ein neues Polizeigesetz erlassen, das eine stärkere Einschränkung von Demonstrationen sowie härtere Strafen bei illegalen Protestformen zulässt. Derzeit ist ein neues Gesetz in Arbeit, das der Polizei weitere Rechte bei der Ermittlung gegen Aktivist:innen geben soll.
Auch in Deutschland hat etwa die Konferenz der Innenminister:innen darüber diskutiert, ob es schärfere Mittel der Strafverfolgung von Klimaaktivist:innen geben sollte. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt wegen Verdachts auf Gründung einer kriminellen Vereinigung gegen Aktivist:innen der Letzten Generation. Das Problem: Die bloße Mitgliedschaft oder Werbung für die Gruppe könnte strafbar werden.
Es den britischen Extinction-Rebellion-Aktivist:innen gleichmachen will die Letzte Generation allerdings nicht. „Wir werden weiterhin die gesamte Breite der Möglichkeiten an Protestformen nutzen“, sagte Sprecherin Carla Rochel der taz auf Anfrage.
Auch Extinction Rebellion gibt es in Deutschland. Hierzulande stünden bei der Gruppe aber schon länger eher Aktionen vor Konzernzentralen oder Ministerien im Fokus, sagte Sprecher Florian Zander der taz. Es werde aber auch weiter Straßenblockaden geben.
Am Dienstag hat die Gruppe an mehreren Orten in Deutschland Straßenschilder abmontiert, die das Ende der Geschwindigkeitsbegrenzung anzeigen – sozusagen ein eigenmächtig eingeführtes Tempolimit. Die Polizei Berlin bestätigte das Fehlen von Schildern.
Leser*innenkommentare
Hefra1957
Die Briten haben verstanden, dass ohne den Rückhalt der Bevölkerung gar nix läuft. Wenn man den mit dummen Aktionen verliert, war's das. Die deutschen Kinderchen sind noch in der Trotzphase und wollen die Realität noch nicht sehen. Kommt aber auch noch.
Questor
[...] es sei eine Zeit, „in der es kriminalisiert wird, wenn man seine Meinung sagt und aktiv wird“
Das war schon immer die Zeit. Zumindest solange man mit "aktiv wird" so wunderbar beliebig bleibt, dass man da vom Bäumepflanzen bis hin zu RAF-Morden alles drin unterbringen kann.
Im Grunde ist es ziemlich einfach: Meinungen dürfen in einem weiten Spektrum gesagt werden - dieses Spektrum ist mMn kaum geschrumpft. Es darf demonstriert werden, es darf protestiert werden - innerhalb des gesetzlichen Rahmens. Man vergisst nur gerne, dass es hier um eine Meinungsäußerung geht, nicht um die Meinungsumsetzung. Wenn mich Motorräder stören, dann darf ich das sagen, denn das ist Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit berechtigt mich aber nicht mit nem Hammer abgestellte Motorräder zu zertrümmern "weil sich ja sonst nichts ändert". Wir leben in einer Demokratie und bei uns werden Dinge über die Parlamente und nicht über die Straße (oder den Hammer) geändert.
Es kann absolut frustrierend sein wenn die breite Masse nicht will wie man selbst, aber rückblickend war das System bisher sehr erfolgreich und ich habe keinen Wunsch es wieder gegen eines zu tauschen in dem jemand "der es besser weiß" die Entscheidungen trifft