Letzte-Generation-Aktivistin: „Da ist in mir etwas gekippt“
Bis die Regierung genug tut, will Jana Mestmäcker für das Klima auf die Straße gehen. Dafür hat die Göttingerin ihren Job als Psychologin aufgegeben.
taz: Jana Mestmäcker, sind Sie kriminell?
Jana Mestmäcker: Ich mache das, was ich bei der Letzten Generation mache, weil ich davon überzeugt bin, dass es das Richtige ist. Wir hatten bisher mehr Verurteilungen, aber es gab auch einzelne Freisprüche. Wir sollten den Richter*innen so viele Gelegenheiten wie möglich geben, diese Entscheidung zu treffen und sich zu positionieren. Der Schutz von Leben wird gerade nicht priorisiert. Das sollte aber passieren.
Wie erklären Sie sich, dass Sie inzwischen kriminalisiert werden?
Ich glaube, das ist eine Strategie, uns einzuschüchtern oder einfach von unserem Protest abzuhalten.
Haben Sie bei den Aktionen Angst?
Vor den Blockaden ist die Angst auf jeden Fall am größten, weil ja auch die Vorstellung, was alles passieren könnte, aktiv wird. Wenn ich da sitze, fühle ich mich sicher und ruhig.
Bereiten Sie sich psychisch auf die Aktionen vor?
Das ist ein großer Teil der Vorbereitung. Da geht es um Strategien, wie ich mich in dem Moment beruhigen kann. Das Wichtigste ist, dass von unserer Seite aus keinerlei Eskalation ausgeht, weil wir diese Stresssituation ja bewusst kreiert haben und nicht dazu beitragen wollen, dass es unschöner wird, als es sowieso ist.
30, ist Psychologin und Klimaaktivistin. 2022 hat die Göttingerin ihren Job als Dozentin aufgegeben, um sich bei der Letzten Generation zu engagieren.
Waren Sie vor der Letzten Generation schon politisch aktiv?
Ich war im Studium bei Amnesty International, weil mich Menschenrechte immer mehr interessiert haben. Ich hatte immer ein starkes Gerechtigkeitsempfinden. Die Umwelt hat mich nicht so interessiert. Wir haben uns damals das Büro mit Greenpeace geteilt und ich dachte: „Ja gut, dass das auch wer macht.“ Ich hatte das Ausmaß der Klimakrise nicht annähernd begriffen und nicht verstanden, dass die Klimakrise Auswirkungen auf die Menschenrechtssituation hat.
Wie sah Ihr Leben aus, bevor Sie zur Letzten Generation gestoßen sind?
Ich habe ziemlich angepasst gelebt, habe Psychologie studiert, in einem Verlag im Lektorat und dann als Psychologiedozentin gearbeitet. Ich habe aber nicht so viel Sinn daraus ziehen können, dass mein Leben unterm Strich einfach nur dafür da ist, um Geld zu verdienen, und habe dann die Arbeitszeit immer mehr reduziert. Ich habe viel gelesen und habe, nachdem ich mich mehr mit der Klimakrise beschäftigt habe, beschlossen, nicht mehr zu fliegen. Als Ausgleich, wenn ich schon nicht mehr so viel rumkomme, habe ich mehr internationale Presse gelesen. Im Guardian habe ich einen Artikel gelesen, wie die Vier-Grad-Welt aussehen wird. Da ist in mir was gekippt.
Können Sie mir von dem Tag erzählen, als Sie entschieden haben, Ihren Job aufzugeben?
Ich bin zu meiner Chefin gegangen und bin dabei auch ziemlich emotional geworden. Ich hab gesagt: „Ich muss das jetzt machen.“ Das war Anfang des Jahres. Wir haben diese Autobahnblockaden begonnen und ich konnte noch gar nicht sagen, was daraus wird. Sie hat gesagt: „Ja, wenn du das machen musst, dann kann ich das verstehen.“ Und dann bin ich nach Berlin gefahren, habe Straßen blockiert. Währenddessen habe ich sie dann noch mal kontaktiert und gekündigt.
Können oder wollen Sie irgendwann zurück in den Job?
Die komplette Zukunft ist für mich eine leere Fläche. Weil es natürlich einerseits nicht sein kann, dass ich den Rest meines Lebens im Widerstand verbringe. Gleichzeitig kann ich mir auch nicht vorstellen, eine Normalität zu leben, solange die Entscheidungen weiter so getroffen werden und unsere Zukunftsaussichten zerstört werden.
Was wird mit der Welt passieren, wenn die Bundesregierung jetzt so weitermacht wie bisher?
Das, was die Regierung plant, reicht nicht aus. Wir werden nicht mehr genug für alle haben. Das wird erst mal andere Länder viel stärker betreffen, von wo die Menschen dann fliehen müssen. Ich finde es jetzt schon katastrophal, dass wir keine sicheren Fluchtwege haben. Ich weiß einfach nicht, wie das weitergehen soll. Es ist überhaupt nicht auszuschließen, dass unser Rechtsstaat und unsere Demokratie nicht zusammenbrechen. Das sind für mich alles Aussichten, die ich einfach nicht hinnehmen kann.
Woher haben Sie dieses Wissen?
Ich habe Dinge gelesen und Menschen zugehört, die dazu forschen. Diese ganzen Dinge verstehe ich so, wie eine fachfremde Person die eben versteht. Mein Bereich ist die Psychologie. Und was ich da sehe, ist, dass die Tragweite dieser Information nicht dazu passt, wie wir uns verhalten. Das ist auch total normal bei sehr schmerzlichen Realitäten. Man muss die Leute damit konfrontieren.
Wie haben Sie persönlich es geschafft, diese schmerzlichen Realitäten an sich heranzulassen?
Für mich hat das in der Zeit ganz gut dazu gepasst, was ich sowieso schon vermutet habe. Ich war gerade für ein paar Jahre im Arbeitsleben angekommen und hatte mich gefragt, wie sinnvoll das ist, was wir hier machen. Dann habe ich gemerkt: „Hier läuft etwas ganz massiv schief und es ist total normal, dass ich mich damit total schrecklich fühle.“ Mir geht es auch nicht schlechter, seitdem ich diesen Schritt gegangen bin, dass ich meinen Job aufgegeben habe und mit der Letzten Generation auf die Straße gehe. Natürlich ist es super anstrengend. Es ist schrecklich, eingesperrt zu sein. Es ist gruselig, dass ich nach und nach all mein Geld verliere. Es ist beängstigend. Aber gleichzeitig habe ich jetzt eben dieses Sinnempfinden, dass ich zumindest nach meinen Werten und Prinzipien lebe und mich dafür einsetze, was ich für richtig halte. Und auf eine Weise geht es mir damit sehr viel besser.
Im Moment wehrt sich der Staat mit harten Mitteln gegen den Protest und geht nicht auf Ihre Forderungen ein. Haben Sie Hoffnung, dass sich das noch ändert?
Ich hoffe, dass die Menschen, die aktuell in der Regierung sind, sich noch für das Richtige entscheiden. Wenn letztendlich alles, was hierbei rauskommt, ist, dass wir es versucht haben, dann habe ich für mich immer noch das Richtige gemacht, weil ich nach meinem Gewissen und meiner Vernunft gehandelt habe. Was ist denn mit den Leuten, die in 50, 60 oder 70 Jahren zurückschauen werden? Wenn alles, was wir erreichen, ist, dass es denen ein bisschen leichter fällt, noch an die Menschheit zu glauben, dann finde ich das auch schon ein Gewinn. Aber natürlich hoffe ich auch, dass wir das jetzt noch rumreißen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“