Aktivistin als EU-Spitzenkandidatin: Linke zündet Rackete
Mit Carola Rackete nominiert die Linke eine Aktivistin der Seenotrettung als Spitzenkandidatin zur Europawahl. Es ist nicht die einzige Überraschung.
„Die Linke öffnet sich für Engagierte, für Aktive aus den sozialen Bewegungen und der Zivilgesellschaft“, sagte Wissler bei der Präsentation der beiden Parteilosen. Die Kandidatur von Rackete und Trabert sei „ein Zeichen dafür, dass wir soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit verbinden, dass wir die Verteididung der Menschenrechte gegen die extreme Rechte und eine aktive Sozialpolitik für gute Arbeit zusammenbringen“. Wenn die Zeiten rauer werden, dann müssten linke Kräfte näher zusammenrücken. Die Partei wolle zeigen, dass sie „Teil eines linken Pols der Hoffnung“ sei, „der größer ist als sie selbst“.
Rackete kommt nach Klärung des „Richtungsstreits“
Die 35-jährige Carola Rackete wurde international bekannt, als sie 2019 als Kapitänin des Seenotrettungsboots „Sea-Watch 3“ mit 53 aus Libyen stammenden Flüchtlingen gegen den Willen der italienischen Behörden den Hafen von Lampedusa anlief. Dafür wurde sie kurzzeitig festgenommen und unter Hausarrest gestellt, sämtliche Ermittlungsverfahren gegen sie wurden letztlich jedoch eingestellt. Auch bei zahlreichen Aktionen der Klimabewegung war sie dabei. Zuletzt war die Naturschutzökologin mit einem Forschungsprojekt über Finnwale in der Antarktis unterwegs. Bei ihrer Vorstellung bezeichnete sie die Klimakrise als „Ergebnis kapitalistischer Misswirtschaft und Ausbeutung“ und als größte Gerechtigkeitskrise der Welt.
Sie sehe ihre Kandidatur für den Linken-Landesverband Sachsen als Chance, die sozialen und ökologischen Bewegungen zu befördern, sagte Rackete weiter. Grundlage für ihre Entscheidung sei dabei auch gewesen, dass der Parteivorstand der Linken begonnen habe, „den wichtigsten Richtungsstreit zu klären“ und die Partei neu aufstellen wolle – womit sie auf die Beschlüsse für eine Zeit ohne Sahra Wagenknecht und ihre Anhänger:innenschaft anspielte.
Der 67-jährige Gerhard Trabert ist Professor für Sozialmedizin der Hochschule Rhein-Main. Mit seinem ganz praktischen Einsatz für sozial Benachteiligte hat er sich einen Namen gemacht. Seit Jahrzehnten kümmert er sich um die Gesundheitsversorgung von Obdachlosen und Geflüchteten. Trabert versteht sich als Fürsprecher der Menschen, die zu wenig gehört werden. 2022 nominierte ihn die Linkspartei für das Bundespräsidentenamt. Bei der Wahl kam er in der Bundesversammlung auf 96 Stimmen, obwohl die Linke nur 71 Delegierte stellte. Trabert nannte vor allem die große Zahl von Armen und Obdachlosen in der Europäischen Union als Motivation zur Kandidatur. Er wolle denen etwas entgegensetzen, „die einfach so weit weg von der Lebensrealität vieler Menschen sind“.
„Adresse für alle“
Rackete soll auf Platz 2 und Trabert auf Platz 4 der Europawahlliste der Linkspartei kandidieren. Spitzenkandidat soll der Parteivorsitzende Martin Schirdewan werden, der bereits als Linken-Fraktionschef im EU-Parlament sitzt. Für den Platz 3 schlägt der Parteivorstand die Europaabgeordnete Özlem Demirel vor. Das Spitzenquartett muss allerdings noch offiziell im September vom Bundesausschuss nominiert und auf dem Parteitag im November gewählt werden.
Die ersten Reaktionen aus der Linken sprechen allerdings dafür, dass der Quartett-Vorschlag gute Aussichten auf eine breite Mehrheit haben dürfte. Seine Partei würde „mit einem starken Team“ zur Europawahl antreten, twitterte Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch zustimmend. Und der sächsische Landtagsfraktionschef Rico Gebhardt schrieb, die Linke wäre mit dem „Klammerbeutel gepudert“, wenn sie das Angebot von Rackete und Trabert nicht annehmen würde. Er freue sich jedenfalls persönlich darüber.
Die kommende Europawahl wird die zehnte direkte Wahl zum Europäischen Parlament sein. Sie findet laut einem europäischen Beschluss vom 6. bis 9. Juni 2024 in den Mitgliedsstaaten statt. Die Linkspartei ist derzeit mit 5 Abgeordneten im EU-Parlament vertreten. Bei der Wahl 2019 landete sie bei 5,5 Prozent. In den Umfragen steht sie bundesweit konstant zwischen 4 und 5 Prozent.
Mit ihrem Kandidat:innenvorschlag wolle die Linke zeigen, dass sie „die Adresse für alle“ sei, „die eine gerechtere EU wollen, die sich wünschen, dass soziale Gerechtigkeit, Demokratie, Menschenrechte und Klima im Vorwärtsgang verteidigt werden“, sagte Parteichefin Wissler.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos