Streit in der Linkspartei: Kein Zeitdruck unter dieser Nummer
Die Linkspartei skandalisiert die Sozialkürzungen der Ampelkoalition und hofft auf Protest. Auch, um von ihrem Streit abzulenken.
Und eigentlich wollte die Fraktion an diesem Montag die Nachfolger:innen der beiden und einen neuen Fraktionsvorstand wählen. Doch in seltener Einigkeit beschloss die Fraktion zuletzt, die Neuwahl zu verschieben. Wann eine neue Fraktionsspitze gekürt wird, ist offen. Bartsch gibt dazu am Montag keine Auskunft: Das sei auf der Vorstandssitzung der Fraktion am Vormittag überhaupt kein Thema gewesen.
Auch Parteichef Martin Schirdewan versucht am Montag in der Linken-Zentrale in Berlin einen anderen Akzent zu setzen. „Diese Regierung fährt das Land sehenden Auges an die Wand“, tönt er und zählt einige der geplanten Kürzungen im Bundeshaushalt im Bereich Gesundheit, Bafög und Wohngeld auf. Für Panzer sei genug Geld da, für Sozialleistungen und Demokratieförderung dagegen nicht – das sei ein „Konjunkturprogramm für die extreme Rechte“.
Linke fordert Protest gegen Kürzungshammer
Dagegen bräuchte es jetzt einen breit getragenen gesellschaftlichen Protest. Schirdewan spricht von einem „Kürzungshammer, der auf das Land zurollt“. Das schiefe Bild soll deutlich machen, wozu es die Linke noch braucht: Um der Regierung zumindest rhetorisch in den Arm zu fallen und als Anwalt der „kleinen Leute“, um das Schlimmste zu verhindern.
Die eigenen Probleme bleiben derweil ungelöst. Für den Linken-Fraktionsvorsitz wagt sich bisher niemand aus der Deckung. Nur hinter vorgehaltener Hand werden Namen genannt. Parteichefin Janine Wissler sagte zuletzt, die Linke wolle bis Ende Oktober ein Ergebnis. Zunächst will die Partei die Wahlen in Hessen und Bayern im Oktober abwarten. Schirdewan erklärt am Montag, seine Partei werde sich „nicht unter Zeitdruck setzen lassen“.
Fraktion und Partei sind schon länger entfremdet über den Kurs der Partei und den Umgang mit Partei-Diva Sahra Wagenknecht, die offenbar eine Konkurrenzpartei plant. In der 39 Mitglieder zählenden Fraktion wird etwa ein Viertel dem Wagenknecht-Flügel zugeordnet – im Falle einer Neugründung würden sie wohl die Fraktion verlassen. Dann wäre die Restfraktion nur noch eine Gruppe im Bundestag.
Hohes Risiko für Wissler
Gesucht werden also zwei Personen, die alle Lager integrieren. Zu den Namen, die intern kursieren, zählt die Parteivorsitzende Janine Wissler. Doch das Risiko für Wissler ist hoch: Sollte sie durchfallen, wären auch ihre Tage als Parteichefin gezählt. Das Amt zutrauen würde sich auch der Leipziger Abgeordnete Sören Pellmann. Er kann mit Wagenknecht, ohne ihre radikalen Forderungen etwa in der Einwanderungspolitik zu teilen. Allerdings ist das Zutrauen zu Pellmann in der Fraktion nicht allzu ausgeprägt.
Immer wieder fällt auch der Name von Gesine Lötzsch. Die Haushaltspolitikerin sitzt seit zwei Jahrzehnten für die Linke im Bundestag, kennt alle Höhen und Tiefen. Doch Lötzschs Sitz wackelt: Falls das Bundesverfassungsgericht im Herbst entscheidet, dass die Bundestagswahl in Berlin wiederholt wird, würde sie ihr Direktmandat in Berlin-Lichtenberg wohl verlieren. Und ohne drei Direktmandate wäre die Fraktion insgesamt am Ende. Die Frage lautet also eher: Wer macht das Licht aus?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Greenpeace-Vorschlag
Milliardärssteuer für den Klimaschutz
Katja Wolf über die Brombeer-Koalition
„Ich musste mich nicht gegen Sahra Wagenknecht durchsetzen“
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen