Äußerungen über Gasprioritäten: Habecks Kommunikations-Fauxpas
Laut Robert Habeck könnte die Bevorzugung von Privathaushalten kippen. Debattenanstöße können klug sein – in diesen Zeiten funktionieren sie nicht.
D as gibt es auch nicht alle Tage: einen Kommunikationsfehler von Robert Habeck. Eigentlich punktet der Vizekanzler momentan als rhetorische Ausnahmefigur; als Politiker, der erklärt, mitnimmt, öffentlich abwägt und damit Vertrauen aufbaut. Insofern hatten seine Auftritte der vergangenen Tage Seltenheitswert: Erst im Deutschlandfunk und dann noch während einer Pressekonferenz in Wien regte er Änderungen an der geltenden Gesetzeslage an, derzufolge bei Gasknappheit erst die Industrie verzichten muss, während Krankenhäuser, Kindergärten und Wohnungen besonders geschützt sind. „Niemand sollte frieren“, sagte Habeck zwar auch noch.
Welche Regeländerungen ihm genau vorschweben, führte er aber nicht aus.
Solche Vorstöße ins Ungefähre können sinnvoll sein, um Debatten in Gang zu bringen. Die Leerstelle bietet dann Raum für kreative Gedanken. In so existenziellen Fragen wie der nach der Gasversorgung im Winter funktioniert das aber nicht; der leere Raum füllt sich dann eher mit Horrorszenarien. Im konkreten Fall mit der Sorge, in einem halben Jahr eben doch zu Hause zu bibbern, damit sich gasintensive Unternehmen nicht einschränken müssen.
Der Boden ist im Moment ja auch fruchtbar für solche Befürchtungen. Erstens besteht die reale Gefahr der Energieknappheit. Zweitens führten die verständlichen und sinnvollen Bemühungen zur Prävention nun ohnehin zum Denken in Worst-Case-Szenarien: Obwohl das Gas aus Russland nach den Wartungsarbeiten an der Nord-Stream-Pipeline wieder fließen könnte, ist die Vorstellung eines dauerhaften Lieferstopps derzeit dominant. Drittens ist angesichts der Mehrheitsverhältnisse und der Erfahrungen der vergangenen Wochen eine Politik zulasten von Konzernen (Stichwort Übergewinnsteuer!) kaum vorstellbar.
Da hilft es dann auch nicht viel, dass Habecks Ministerium bemüht war, die Äußerungen schnell wieder einzufangen: Der Chef wolle ja niemandem das Gas abdrehen. Es gehe nur darum, dass auch Privatleute und Krankenhäuser die Energie nicht zum Fenster rausheizen sollten. Da gibt es tatsächlich noch Spielraum, die gesetzlichen Mindesttemperaturen für Wohnraum, die derzeit bei 20 bis 22 Grad liegen, könnten zum Beispiel um 2 Grad abgesenkt werden.
Solche nachträglichen Richtigstellungen dringen erfahrungsgemäß aber viel seltener durch als die ersten Schlagzeilen. Das hat zum einen mit der Funktionslogik der Medien zu tun. Zum anderen gibt es in politischen Debatten ohnehin den Hang dazu, das Gegenüber mit Freude misszuverstehen.
Wer in Beliebtheitsranglisten oben steht, hat es da besonders schwer: Für Konkurrenten wird Habeck zur Gefahr. Wohlwollen hat er von ihnen nicht zu erwarten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Twitter-Ersatz Bluesky
Toxic Positivity