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9. Mai-Erinnerungskultur in RusslandErinnern braucht Dialog

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Das Feindbild Stalin verdrängt den rassistischen Kern des NS-Kriegs im Osten. Eine Replik auf die Thesen der „Nowaja Gaseta“-Autorin Julia Latynina.

Stalin-Verehrer bei der Siegesparade in Moskau am 9. Mai Foto: Shamil Zhumatov/reuters

D er Überfall auf die Ukraine hat gezeigt: Der Versuch, Putin mit Handel und Diplomatie einzuhegen, ist gescheitert. Der allzu freundliche deutsche Blick auf Moskau hatte auch etwas mit einem historischen Schuldbewusstsein gegenüber Russland zu tun. Nirgends war der NS-Vernichtungskrieg so grausam wie in der Sowjetunion, deren Rechtsnachfolger Russland ist. Den national getönten Erinnerungsinszenierungen von Kiew bis Warschau schaute man im Westen indes mit einer Mischung aus Ratlosigkeit und Desinteresse zu.

Müssen wir die Geschichte, die Begriffe neu bewerten? In Teilen, ja. In Putins Russland ist „Antifaschismus“ zum Teil einer orwellschen Gehirnwäsche geworden, eines monströsen Lügengebäudes, womit das Regime neben nackter Repression das Volk bei der Stange hält. Kritik am Hitler-Stalin-Pakt 1939 ist tabuisiert. Krieg heißt jetzt Spezialoperation, Hitler war Jude. Und „Nazi“ ist zu einer beliebig verwendbaren Metapher für alles Kritische, Demokratieverdächtige geworden.

Diese manipulative Herrschaftsgeschichte erinnert an Fotografien aus der Stalinzeit, in denen von in Ungnade Gefallenen nur noch ein Schatten oder bei der Retusche vergessene Schuhe an Lenins Seite übrig blieben. Die Fake-Geschichte wurde zu einer Retro-Verlängerung der Stalin-Herrschaft. Unter Putin dient die roh umgeformte sowjetische Opfer- und Siegesgeschichte dazu, einen Angriffskrieg zu rechtfertigen.

Die russische Autorin Julia Latynina hat kürzlich in der Nowaja Gaseta geschrieben, die der taz beigelegt wurde: „Die tatsächliche Geschichte des Zweiten Weltkrieges ist, dass Stalin diesen Krieg geplant hatte, der die ganze Welt erfassen und erst enden sollte, wenn auch noch die letzte argentinische Sowjetrepublik ein Teil der UdSSR geworden sein würde. Er hatte diesen Krieg geplant – lange bevor Hitler an die Macht kam.“

Stefan Reinecke

ist Parlamentskorrespondent der taz und beschäftigt sich seit Langem mit NS-Geschichte und den Konjunkturen bundesdeutscher Vergangenheitsbewältigung. Von ihm erschien ein Essay über die Stalin’schen Prozesse der 1930er Jahre: „Nicolai Bucharin: Das letzte Wort des Verurteilten am 12. März 1938“ (EVA, 1996).

Ist das eine originelle These, die wir erwägen sollten, im Bewusstsein, dass seit dem 24. Februar gründliche Selbstüberprüfung nötig ist? Unbequem, aber bedenkenswert? Keineswegs.

Die Idee, dass Stalin Ende der Zwanziger Jahre einen Weltkrieg geplant haben soll, spiegelt eher halbdunkel Stalins Größenwahn wider. Zudem siedelt diese These nah an der Propagandalüge, dass Hitler 1941 einen Präventivkrieg gegen Stalin geführt habe. Diese von deutschen Rechtsextremisten gepflegte Lüge dient einem leicht durchschaubaren Zweck: Hitlers Verbrechen werden verkleinert, die Rolle des Menschheitsfeindes wird dem Bolschewismus übergestülpt.

Erinnerungspolitisch ist Europa gespalten. Das führt Latyninas greller Antistalinismus vor Augen

So erscheint Hitler, wie ihn die NS-Propaganda zeigte: als Verteidiger Europas abendländischer Kultur gegen den asiatischen Despotismus. Moskau wolle „Europa bolschewisieren“, schrieb Goebbels 1941 in sein Tagebuch. Dem komme man nun zuvor. Es geht hier nicht um ein Detail der Weltkriegsgeschichte, sondern um NS-Propaganda.

Die Idee, dass Stalin das Copyright auf politische Verbrechen des 20. Jahrhunderts hat, ist nicht neu. Ernst Nolte war 1986 der Ansicht, dass nicht der Nationalsozialismus, sondern der Bolschewismus eigentlicher Treiber der entgrenzten Gewalt war, die in den Zweiten Weltkrieg führte. Der Archipel Gulag sei der Vorgänger von Auschwitz gewesen, der mörderische Klassenkampf der Bolschewiki die Blaupause der NS-Rassenmorde. Der russische Publizist mit dem Pseudonym Viktor Suvorov vertritt die Präventivkriegsthese. Seine Bücher erscheinen auf Deutsch in einem Verlag, der auch Werke wie „Freiwillig in die Waffen-SS“ verlegt.

Diese drei Ideen – Stalin hat den Zweiten Weltkrieg geplant, Hitlers Krieg war ein Präventivschlag und die Nazi-Gewalt hat die der Bolschewki nur imitiert – ergeben zusammen einen ziemlich hässlichen Strauß. Sie verschleiern allesamt den Wesenskern des NS-Krieges im Osten. Die „slawischen Untermenschen“, von Polen über Ukrainer bis zu den Russen, sollten versklavt und zu Dienstvölkern der „Herrenrasse“ werden, nachdem man etliche Millionen hatte verhungern lassen. Diese rassistische Essenz des NS-Regimes wollte Nolte in der Historikerdebatte in den Hintergrund verbannen, um den Weg zu einer selbstbewussten Nation zu ebnen.

In diesem trüben Fahrwasser segelt Latynina, die eine gewisse Vorliebe für schrille Meinungen hat. Bei ihr erscheint Putin als Fusion von Hitler und Stalin. Analytisch trägt diese hyperventilierende Rhetorik nichts zur Klärung bei. Die Diktatur in Russland ist brutal – vom Gewaltniveau des Stalinschen Massenterrors, dem in den 30er Jahren willkürlich Millionen zum Opfer fielen, ist sie meilenweit entfernt.

Also Ende der Debatte? Nicht ganz. Wir müssen selbstkritisch erkennen, dass etwas versäumt wurde. Erinnerungspolitisch ist Europa in West und Ost gespalten. Das führt der grelle, atemlose Antistalinismus von Latynina vor Augen. Im Westen gilt der Holocaust als geschichtspolitischer Maßstab, in Osteuropa haben manche Länder eine enge nationale Opfererzählung entwickelt, in der Stalin und die Sowjetunion die Hauptfeinde sind. Es ist seit 1990 nicht gelungen, diese Diskurse in produktive Spannung zu versetzen. Vielmehr herrscht verbissene Opferkonkurrenz.

Die deutsche Erinnerungskultur ist auf manchmal selbstbezügliche Art auf den Holocaust zentriert. Schon Fragen nach dem Vergleich von Nationalsozialismus und Stalinismus reflexhaft als Relativierungsversuche zurückzuweisen ist eine unproduktive Haltung. Der Weg ins Offene führt über ein „dialogisches Erinnern“ (Aleida Assmann), in dem die Gewaltgeschichte der anderen nicht als zweitrangig abqualifiziert wird und andere Opfernarrative mit einem Mindestmaß an Empathie betrachtet werden. Dieses dialogische Erinnern ist anstrengend, aber die einzige Möglichkeit, abgekapselte Erinnerungskulturen durchzulüften. Das gilt nach dem Überfall auf die Ukraine mehr als zuvor.

Aber es gibt Grenzen. Revisionistische Legenden, die NS-Parolen ähneln, sprengen den offenen Dialog.

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73 Kommentare

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  • Das ,,dialogische“ (Aleyda Assmann) Erinnern kann nicht das eigentliche Ziel sein, sondern, was ,,einmal möglich war ist immer möglich‘‘ (taz.de/!5816122/), deshalb: Was tun wir für das ,,Nie wieder!“ ??

    Wenn wir uns erinnern, dann bitte mit der Zielsetzung ,,Nie wieder!“. Dazu gehört die vielschichtige Analyse ,,Wie war es möglich?“: Wie war der Nationalsozialismus möglich, wie war der Völkermord möglich, wie war der Genozid an den Juden möglich? Wie war der Stalinismus möglich? Wahrscheinlich gibt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Wie war es möglich, dass Deutsche ,,wirklich glaubten (?!)“ Jüdinnen und Juden seien ,,Untermenschen“, und ,,Scum“? Wie konnten sie dazu gemacht werden? Wie war es möglich, dass so viele ,,nicht wussten,“ dass es falsch war, wenn der jüdische Mitmensch verschwand und man nicht ,,nachhakte“ und protestierte? Wie war es möglich, dass der moralische Kompass und die Zivilcourage so sehr fehlten?

    Wie war es möglich, dass die Kommunisten und Sozialdemokraten in die KZs kamen?

    Und andere ,,andere'' (?!)?

    Wie war es möglich, dass einer wie Hitler nach seinem Putsch und ,,Mein Kampf“ nach oben kommen konnte?



    Was Nazis und Anti-Kommunisten häufig gemeinsam haben, ist die Fixierung auf die ,,eigene Volksgruppe".

    Wofür steht Stalin? Wer ,,adlig“ oder ,,bürgerlich“ war, musste weg? Und willkürlicher Weise konnte es JEDEN treffen? Gedächtnisorte wie in Perm wurden unter Putin leider zerstört, Memorial verboten.



    Die ex-kommunistischen Staaten haben unter den Folgen des 2. Weltkrieges viel länger gelitten. In Belarus bis z.B. heute. Kein Wunder, dass man dann vielleicht die Nazis für das kleinere Übel hält: ,,Immerhin haben sie gegen den Kommunismus gekämpft.“



    Hier hilft nur der Besuch von Konzentrationslagern und Gedenkstätten und die schonungslose permanente Aufarbeitung Deutschlands, wie ,,es möglich war“: Wir sind erst am Anfang! Zu wenig Interesse in Deutschland gibt es aktuell zB. für ,,Final Account“ von Luke Holland.

  • Mir scheint zunehmend, dass die sogenannte Erinnerungskultur fast nur noch missbraucht wird. Nicht nur in extremen und offensichtlich falschen Positionen wie bei Latynina. Jeder kocht sein eigenes Süppchen und die Geschichte kann sich ja nicht wehren. Putin mag uns grotesk erscheinen, aber wir sind auch nicht sauber.



    Wieso eigentlich beschäftigen wir uns gerade so gerne mit der Erinnerungskultur? Was hat die deutsche Geschichte tatsächlich mit unserem jetzigen Verhalten zu tun? Die unbedingte Solidarität mit der angegriffenen Ukraine braucht keine Hilfsargumente. In Wirklichkeit verstecken wir uns doch nur vor unserer heutigen Verantwortung, indem wir etwas von der historischen Verantwortung daherreden. Wir lieben diese Illusion. In Wirklichkeit hatte der "allzu freundliche deutsche Blick auf Moskau" nicht viel mit "einem historischen Schuldbewusstsein gegenüber Russland zu tun". Er hatte eher mit Stolz auf einen besonderen Zugang, mit dem überheblichen Glauben Russland steuern zu können, und mit einfachen Wirtschaftsinteressen zu tun. Selbst in unserem eigenen Land ist über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung von dialogischer Erinnerungskultur keine Spur. Der Osten ist ein eigenes Land. Derweil erteilen wir weiterhin gerne Nachhilfeunterricht in Geschichtsbewusstsein. Das ist unser Copyright, da wissen wir Bescheid. Der Jude Selenski kriegt dann auch schon mal zu hören, welche Worte er nicht benutzen darf und dass er sonst die Opfer des Holocaust missbrauche. Wir sollten diesen ganzen Unsinn aus den aktuellen Fragen heraus halten. Russland hat nicht "noch etwas gut bei uns", wir dürfen uns nicht drücken, so einfach ist das. Finger weg von der Geschichte, die hat besseres verdient als uns.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Na, da machen Sie sich mit Ihrem Statement aber keine Freunde unter den “Historikern” hier im Forum..



      Einigen Ihrer Argumente kann ich ja zustimmen, insbesondere der zu den deutschen Wirtschaftsinteressen … da müssen wir uns einfach ehrlich machen statt von historischer Verantwortung gegenüber Russland zu schwadronieren. Vollkommen korrekt.



      Aber Erinnerungskultur dann als “Unsinn” im Kontext der aktuellen Debatte über die Unterstützung der Ukraine und unser Verhältnis zu Russland einfach komplett wegzuwischen? Das sollten Sie noch einmal überdenken.

  • Die ganzen Netto-Todesraten der beiden Diktatoren zu vergleichen und die Diskussion noch mit deren bislang nachgewiesenen und/oder noch zu erforschenden, tatsächlichen Beweggründen zu würzen, halte ich für wenig zielführend.



    Das gereicht der Diskussion wie immer nur zum üblichen „Tit for Tat“, angereichert um tagesaktuelle Vorkommnisse.



    Ich sehe das eher so, das man in Deutschland vor Jahrzehnten erst nicht, dann zäh und dann mäßig mit der Aufarbeitung begonnen hat und noch lange nicht fertig ist.



    In Russland hat man ab 1990 gleich wie bei uns in den 70ern losgelegt, vielleicht zu heftig, fiel dann aber ab 1998 schon wieder in unsere 50er zurück und ist mittlerweile wieder in den 1930ern beider Kontrahenten. Die Nachwehen dieser beiden Diktaturen sind eben immer noch nicht ausgestanden und leider packt Russland gerade eher noch einen drauf, anstatt weg.

  • Vielleicht sollte man einmal über die Opfergruppen der stalinistischen Säuberungen sprechen, denn dann macht es absolut keinen Sinn mehr rechtes Gedankengut in Osteuropa mit dem Stalinismus zu entschuldigen.

    Die ersten Opfer waren parteiinterne Kommunisten, Trotzkisten und außerdem Anarchisten. Außerdem wurden ausländische Kommunisten die in die Sowjetunion geflüchtet waren umgebracht. 44.477 Staatsfunktionäre, Mitarbeiter der Staatsicherheit, Offiziere wurden auf den Befehl Stalins hingerichtet(wohlgemerkt Offiziere der roten Armee).

    Ansonsten natürlich ethnische Minderheiten wie Tschetschenen, Inguschen, Krimtataren und großer Zahl.

    Die zweite große Säuberungswelle 1948 betraf hauptsächlich Juden, die als Kosmopoliten bezeichnet und deshalb ermordet wurden. Ebenfalls handelte es sich hierbei um viele bekennende antifaschistische Juden, die 1941 noch mit Stalin gegen Nazideutschland zusammen kämpften.

    Natürlich gab es auch andere Opfer wie Großgrundbesitzer und Priester. Alles in allem erscheint die Auswahl der stalinistischen Opfer aber geradezu rechtsradikal, wenn man es nicht besser wüsste.

  • Von Russlands ausgehende Kriege im zweiten Weltkrieg 1939-45

    1939: Invasion und Besetzung Ostpolens



    1939–1940: Krieg gegen Finnland im Sowjetisch-Finnischen Winterkrieg



    1940: Invasion und Annexion der baltischen Staaten



    1940: Besetzung des rumänischen Bessarabien



    1941–1944: Finnisch-Sowjetischer Fortsetzungskrieg



    1941–1946: Militärische Besetzung des Nordirans

    Passierte das alles ungeplant?

    Die SU muss unabhängig vom Verursacher des zweiten Weltkriegs DE gesehen und bewertet werden. Das die braune Nazi-Sicht dabe rausgehört ist selbstverständlich.

    Das aber Russland die oben aufgeführten Kriege nicht ungeplant oder reaktiv führte ist doch auch offensichtlich.

  • Den Menschen die umkamen war es glaube ich egal ob der Mord systematisch, rassisch, ideologisch oder wie auch immer war - tot ist tot.



    Ich denke das ist halt ein blinder Fleck für Deutsche das die Sovietunion in den Augen vieler Osteuropäer genauso verbrecherisch war wie das Dritte Reich (Holodomor/Kathyn, etc. etc.). Da kommt es dann auch auf die Familiengeschichte an wessen Vorfahren von Stalin verfolgt wurden aber nicht von Hitler der sieht natürlich den Mann im Kreml emotional als das schlimmere Übel an.

    Deswegen halte ich auch die Idee des 8. Mai als Tag der Befreiung für problematisch weil es halt für viele Menschen in Osteuropa nicht die Befreiung war sondern der Tausch einer Diktatur für eine Andere und für viele viele Menschen bedeutete das den Tod. Wollen wir das Haus Europa wirklich weiterbauen wird Deutschland lernen müssen sensibler mit den Erzählungen Ost-Europas umgehen zu müssen.



    Vielleicht weniger Welzer und mehr Snyder lesen.

    • @Machiavelli:

      -?-Ach was:"Vielleicht weniger Welzer und mehr Snyder lesen."

      Siehe dazu hier unten @Anja Böttcher:



      "..hat Jürgen Zarusky zudem angemessen in seinem 35seitigen Verriss der populärwissenschaftlichen und viel gefeierten Veröffentlichung "Bloodlands" von Timothy Snyder geantwortet (in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte)."



      So geht das.

    • @Machiavelli:

      "Deswegen halte ich auch die Idee des 8. Mai als Tag der Befreiung für problematisch weil es halt für viele Menschen in Osteuropa nicht die Befreiung war sondern der Tausch einer Diktatur für eine Andere..."

      Da bin ich ganz bei Ihnen. Wie kann man den Tag der Deutschen Niederlage -ach was!- den Tag der Schande! auch noch den Osteuropäern überhelfen.

      Zumal die uns Deutsche schon viel früher los waren als am 8.Mai.

      • @Nansen:

        Nice Move.



        Aber irgendwie ziemlich daneben.

        Sie vergleichen gerade Osteuropäer, die seinerzeit unter den Nationalsozialisten in fast jeder Familie Verluste zu betrauern hatten mit ihrem Schnack mit heutigen Nazis.

        Ist das so schwer zu begreifen, dass die Menschen gegen die Nazen gekämpft und positioniert waren und! gegen die neue stalinistische Diktatur

        • @Rudolf Fissner:

          Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie das nicht verstanden haben. 😁

          • @Nansen:

            Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie das rechte Tag der Schande Gedöns nicht aus Jux und Dollerei mit jenen Osteuropäern in Verbindung bringen, die die Zeit der Besetzung durch die Sowjetunion oder gar den Gulag nicht so dolle fanden.

            Was sonst wollen Sie mit dem Placement rechter Begriffe in ihrem Statement sagen?

            • @Rudolf Fissner:

              Wenn ich ihnen Ironie erklären soll, macht's keinen Spaß. ,😁

          • @Nansen:

            Ich mir auch.



            Aber die Giesela Schlüter ist nicht zu bändigen.

    • @Machiavelli:

      Da weder Snyder noch der Sozialpsychologe Welzer die Anforderungen an solide geschichtswissenschaftliche Forschung erfüllen. wäre es ratsam, von der Verlockung nach gefälligen Narrativen abzusehen und sich den Stand der historischen Forschung anzueignen.

      Was in der Hinsicht von Timothy Snyder zu halten ist, verrät Jürgen Zaruskys gründlich nachrecherchierende Rezension in den Vierteljahresheften zur Zeitgeschichte. www.ifz-muenchen.d...ec84a02abc3768a5f0

      • @Anja Böttcher:

        Snyder ist Professor für Osteuropäische Geschichte in Yale. Generell ist man im Anglo-amerikaniscen Raum und Osteuropa anderer Ansichten was die Frage ethnischer Vernichtung durch Stalin angeht. Auch das kritisierte Konzept der Bloodöands als ein konstruierte Raum ist da wesentlich unproblematischer, jeder Raum ist konzentriert Snyeer liefert gute Geünde in seinem Buch Osteuopas Geschichte in dem 30er und 40er Jahren so zu begreifen. Letztlich war es auch nur eine salopp Bemerkung von mir weg zu kommen von der moralische Nabelschau und andere Interpretationen der Geschichte im deutschen Raum Platz einzuräumen.

    • @Machiavelli:

      Mit der eventuellen Ausnahme der Ukraine war in jedem Gebiet, das Nazi- und Stalinistische Besetzung durchlitt die Bilanz eindeutig: Überall kosteten die Jahre der Nazibesatzung mehr Menschenleben als die Jahrzehnte bolschewistischer Tyrannei.

      • @Euromeyer:

        Ja nur deswegen sprach ich von der emotionalen Ebene, viele Politiker in Osteuropa kommen teilweise aus Exilanten-Familien da war der Blutzoll durch Stalin oft größer.

      • @Euromeyer:

        "Mit der eventuellen Ausnahme der Ukraine"

        Zum einen halte ich diese Stalininismus/Nationalismus Vergleiche grundsätzlich für relativierenden Unsinn.

        Zum anderen stolpere ich über Ausdrucksweise "eventuell". Ist der Holodomor ( de.wikipedia.org/wiki/Holodomor ) mit seine geschätzt bis zu 7 Millionen Toten das "Eventuelle"?

    • @Machiavelli:

      Danke für diesen fundierten Kommentar.

  • Stefan Reinecke liegt richtig damit, dass es in Ostmitteleuropa sicherlich einen anderen Blick auf die stalinistischen Gewaltverbrechen gibt als hierzulande … das kann aus historischer Perspektive auch nicht anders sein.



    Dennoch muss deutlich widersprochen werden, wenn im Hinblick auf den NS dem Geschichtsrevisionismus der Rechten Tür und Tor geöffnet wird, wie dies Julia Latynina getan hat. Der russische Überfall auf die Ukraine ändert daran kein Jota.



    Über die unterschiedlichen Wahrnehmungen der beiden schrecklichen europäischen Diktaturen im 20. Jahrhundert müssen West- und Osteuropäer allerdings erst noch ins Gespräch kommen … und das jetzt und nicht erst, wenn der Ukraine-Krieg beendet ist.

    • @Abdurchdiemitte:

      Frau Latynina interessiert sich für den Geschichtsrevisionismus deutscher Rechter in diesem Artikel auch nicht im Ansatz.

      Die Türen und Tore sind ein deutsches Problem, nicht ihres.

  • Abgesehen von der seriösen Geschichtsforschung:



    welche Rolle spielt die Zuschreibung in der russischen politischen Öffentlichkeit? Nicht allein als Präventivkriegsthese mit Bogdan Musial und Suworow/ Resun, sondern emotional als anti-Regime-Haltung, die dieses Gerücht zur eigenen Munition in Russland braucht?

  • Ich vermute, dass die politische Kultur des russischen Gedenkens an das Kriegsende 1945 sehr problematisch ist. Der Stalin-Kult wurde nach 2010 in Russland erneuert.



    Dennoch: wie konnte es bei der taz dazu kommen, einen solchen geschichtsrevisionistischen Text wie den von Julia Latynina zu veröffentlichen? Das zerstört Vertrauen, u.a. in Novaya Gazeta. was sagte deren Redaktion dazu?



    Es erinnert mich an eine Autorin, die in der taz die Todesstrafe befürwortete. Das war ein Beitrag aus Belarus vor einigen Jahren.



    Ich deute das so, dass eben viele Menschen, die sich politisch äußern, die groben Weltbilder und Feindbilder weiter reproduzieren, inklusive Kulturpessimismus, während sie gegen das Regime protestieren.



    Das haben bereits neuere Filme russischer Filmemacher thematisiert. Grobschlächtige Zuschreibungen kombiniert mit Nihilismus, Fatalismus.



    Andererseits gibt es in Belarus und Russland eine sehr stark ethisch motivierte Opposition gegen den Autoritarismus in allen Formen.

  • Der eine mordete aus rassistischen Gründen, der andere aus ideologischen. Mir als deutscher Ausländer, wäre das Motiv Scheißegal wenn jemand vor mir steht und mein Todesurteil vollstreckt.

    • @OlafOhneWald:

      Im Prinzip haben Sie natürlich recht, nur finde ich jemanden umzubringen nur weil er anders aussieht und spricht noch schlimmer als jemanden umzubringen weil er zur vermeintlichen Bourgeoisie gehört.



      Insofern würde ich sagen, daß der Nationalsozialismus noch schlimmer war als der Stalinismus obwohl die dunklen Triebe die dies möglich machten bei beiden die gleichen sind da sie in jedem Menschen stecken.

  • "Zudem siedelt diese These nah an der Propagandalüge, dass Hitler 1941 einen Präventivkrieg gegen Stalin geführt habe."

    Die Nähe ist zweifellos da. Aber wo behauptet Julia Latynina dies? Ohne diesen Nachweis ist das ein selbstgebasteltes argumentatives Absprungbrett.

    Eine Absicht und Planung DEs Krieg zu führen, was imho außer Frage steht, kann unabhängig von sowjetischen Planungen Krieg zu führen bestanden haben.

  • Stalin hat darauf spekuliert, dass der Westen sich in einem großen Krieg gegenseitig aufreiben würde, um anschließend die Früchte zu ernten. Das Hitlers Krieg kein Präventivkrieg war, geht schlicht aus "Mein Kampf" hervor. Nachdem England unerwartet in den Krieg eingetreten war und nicht besiegt werden konnte, hatte Hitler es selbstverständlich eilig so schnell wie möglich in die aufrüstende Sowjetunion einzufallen. Das macht es aber nicht zu einem Präventivkrieg und Stalin bleibt deswegen trotzdem ebenfalls ein Massenmörder.

    • @Nachtsonne:

      "Stalin hat darauf spekuliert, dass der Westen sich in einem großen Krieg gegenseitig aufreiben würde, um anschließend die Früchte zu ernten." Für das "spekuliert" gibt es historisch keine Belege. Die SU hat sich nach dem Machtantritt Hitlers für ein System der kollektiven Sicherheit eingesetzt. Erst als 1938 das Scheitern dieser Bemühungen offenkundig wurde aufgrund der Politik Frankreichs und GB´s begann der Versuch einer Verständigung mit Deutschland ... mit dem Ziel, die SU möglichst lange aus einem Krieg herauszuhalten. Gerne können sie Stalin ab diesem Zeitpunkt auch großrussische Ziele unterstellen. Aber die Spekulation auf eine "Weltrevolution" mit den Bajonetten der Roten Armee gab es nicht.

      • @Plewka Jürgen:

        "Stalin hat darauf spekuliert, dass der Westen sich in einem großen Krieg gegenseitig aufreiben würde, um anschließend die Früchte zu ernten." Für das "spekuliert" gibt es historisch keine Belege."

        Genauer gesagt: Wenn es Belege gibt, kommt man (zur Zeit) nicht dran. Frau Böttcher fordert weiter unten (völlig zurecht), dass alle Aussagen, die Stalins Pläne betreffen, durch Quellen untermauert sein müssten. Selbst in den 1990ern waren die entsprechenden Archivbestände (Militärarchiv, FSB-Archiv, Politbüro, Stalins persönlicher Nachlass u.a.) nur teilweise und nur ausgewählten Forschern zugänglich. Und Putin hat alles wieder zugemacht. Erst wenn diese Archive uneingeschränkt offen sind, ist ein substantieller Erkenntniszuwachs über die sowjetische Führung in den unmittelbaren Vorkriegs- sowie den Kriegsjahre zu erwarten.



        In Deutschland findet so eine archivbasierte, freie Forschung seit über 70 Jahren statt. Diese extreme Asymmetrie der Quellenbasis muss man sich einfach klar machen, wenn man an beide Seiten des Diskurses den gleichen Maßstab anlegt.



        Und auch das prägt den Tonfall auf der russischen Seite, wenn von Stalin die Rede ist: Wer in Putins Russland den Stalinismus erforscht bzw. sich damit kritisch auseinandersetzt, ist selbst unmittelbar von Verfolgung bedroht. Die Gnadenlosigkeit, mit der die putinistische Justiz z.B. das Leben des Memorial-Historikers Juri Dimitriew zerstört hat, zeigt die Kontinuität zwischen Stalinismus und Putinismus deutlicher als jede Totalitarismustheorie: Die Putinisten selbst stellen sich, bewusst und stolz, in Stalins Tradition und verteidigen "ihr" Erbe, indem sie Stalins "Gegner" repressieren.



        (In der Polizeistation von Chimki bei Moskau, wo im letzten Jahr Nawalny nach seiner Rückkehr zu U-Haft verurteil wurde, hing im improvisierten "Gerichtssaal" ein Porträt von Nikolaj Jeschow (!) an der Wand:



        de.wikipedia.org/w...wanowitsch_Jeschow ).

        • @Barbara Falk:

          Das hört sich jetzt so an, als würden Sie hinsichtlich des stalinistischen Terrors noch einen substantiellen Erkenntniszuwachs erwarten, falls Moskau dereinst seine Archive öffnen sollte.



          Aus der Forschung zum Aghet, dem osmanischen Genozid an den Armeniern im ersten Weltkrieg wissen wir doch ziemlich genau, was sich damals zugetragen hat ... und können daher auf Grundlage der international akzeptierten historischen Forschungslage mit Fug und Recht sagen, dass es sich um einen Völkermord gehandelt hat. Da können der Herr Erdogan und seine Anhänger in der Türkei und hierzulande Gift und Galle spucken, so viel sie mögen.



          Der propagandistische Trick in diesem Fall besteht nur darin, dass die Türkei eine internationale Kommission zur Aufarbeitung eben dieser Geschichte fordert ... dabei hält man in Ankara selbst die Archive fest verschlossen. Aber es existieren ja ausreichend Dokumente und Zeitzeugen-Berichte aus dieser Zeit in den USA, Armenien, Frankreich, Deutschland und andernorts, die den Aghet belegen, so dass diesbezüglich eine türkische Kooperation gar nicht notwendig erscheint.



          Sollte es bezüglich der Aufarbeitung der Stalin-Aera nicht ganz ähnlich sein?

  • Es ist für sehr bedauerlich, dass Julia Latynina in ihrem Beitrag die These einbringt, Stalin habe schon vor Hitler diesen Krieg geplant. In der sich hier in der TAZ daran anschliessenden Diskussion geht es jetzt natürlich nur noch um diese absurde These. Leider gehen jetzt auch die anderen in dem Text genannten Dinge über Stalin und sein System völlig unter. Es wäre für das Verständnis der jetzigen Situation sehr wichtig, sich mit den ungeheuerlichen Verbrechen zu beschäftigen, die vor, während und auch nach dem II. Weltkrieg unter Stalin stattgefunden haben und deren Aufarbeitung in Rußland nach dem Zusammenbruch der Sowietunion eben nicht stattgefunden hat. Versuche, sich dieser Geschichte zu stellen wurden unter Putin strikt verhindert.

    • @Karl B:

      1. Diese Verbrechen sind doch längst bekannt und "diskutiert". Wenn das in Russland (und anderen Gebieten der ehemaligen SU) noch nicht geschehen ist - okay. Aber dann ist sicherlich nicht die taz der Ort, an der diese Erinnerungsarbeit für Russinnen und Russen und ... geleistet werden kann.

      2. Einer Autorin, die geschichtsrevisionistische Thesen über den 2. Weltkrieg verbreitet, höre ich nicht mehr zu. Zumindest dann nicht, wenn sie in einem Artikel der taz aus 2014 (!) schon als Antidemokratin geoutet wurde.

  • Rassismus und der Holocaust waren sicher ein spezifisches Merkmal des deutschen Faschismus, das Millionen Opfer forderte. Es war aber nicht das einzige Merkmal des Hitler-Faschismus. Hinzu kam der Glaube, dass "das Volk" alles und der Einzelne nichts bedeutete, daher Raum geschaffen werden müsse und dazu andere Völker unterjocht werden müssten. Der Logik des Faschismus, mittles Diktatur im Inneren und Vernichtung anderer Völker, folgten Hitler, Stalin und jetzt Putin. Es bringt dabei wenig, Diktatoren nach Schweregrad gegeneinander aufzurechnen. Wichtig ist, festzustellen, dass alle der gleichen skrupellosen Logik folgen und dabei von einem Großteil der Bevölkerung unterstützt wird. In sofern kann das Putin-System als faschistisch bezeichnet werden.

    • @Rinaldo:

      Nun kann man sich sicher darüber streiten, wieviel Sinn eine Hierarchie der Unterdrückung macht, allerdings sollte man die Maßstäbe nicht verlieren: Russland ist ein militaristischer Obrigkeitsstaat - aber den Unterschied zu einem System, das Millionen Menschen einzig und allein aufgrund rasstistischer Kriterien ermorden lässt, sollte man doch noch sehen. Übrigens ist das auch ein Unterschied zu Stalin.



      Ein Problem an ihrer Argumentation ist, dass Sie den Begriff "Volk" unscharf verwenden - der bedeutete nämlich bei den Nazis etwas anderes als bei Stalin oder bei Putin (der ja nicht grundlos von Russland als einer "multiethnischen Nation" spricht); die Lebensraum-Politik der Nazis zielte auf eine Ermordnung und Versklavung der Bevölkerung in den eroberten Gebieten ab; Russland hingegen will die Ukraine in ihren Herrschaftsbereich zwingen und dazu das Nationalbewusstsein dort durch ein Zugehörigkeitsgefühl zur "russischen Welt" ersetzen: die Ideologie ist also genau umgekehrt: für Hitler waren die unterworfenen slawischen Völker Untermenschen, für Putin sind sie Russen, denen vom Westen nur eine eigene Identität eingeredet wurde. Der Angriff auf die Ukraine ist illegal und kriminell, aber auch hier gilt: man muss die Maßstäbe im Auge behalten. Die gegenwärtigen Kriegsverbrechen, so schrecklich sie sein mögen, sind von der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik weit entfernt.

      • @O.F.:

        Danke, gut erklärt!

        • @thinktankgirl:

          Nur hat Rinaldo gar nicht geschrieben, wogegen O.F. argumentiert. :-)

      • @O.F.:

        Für Putin sind also die Ukrainer Russen.



        Für die Nazis waren die Niederländer auch kein eigenes Volk sondern gehörten zur sogenannten germanischen Rasse und wären gewiss nach einem Sieg der Nazis auch im Großdeutschen Reich gelandet. Ihrer These, daß die Ideologie genau umgekehrt ist, kann ich nicht zustimmen. Russland hat z.B. im Baltikum versucht gezielt Russen anzusiedeln damit diese irgendwann die Bevölkerungsmehrheit stellen.



        Sicher war die NS-Vernichtungspolitik schlimmer als der Stalinismus aber zu behaupten, daß dieser völlig ohne russischen Nationalismus und Überlegenheitsgefühl ausgekommen wäre ist nicht haltbar. Das zeigt sich doch jetzt wieder im Ukrainekrieg. Behandelt man Menschen denen von fremden Mächten nur eingeredet wurde Ukrainer zu sein und die eigentlich zum eigenen Volk gehören so wie in Butscha?

      • @O.F.:

        Das Format Ihrer Kommentare zu dem Russland/Ukraine-Thema verlangt einem Respekt ab. Das Thema ist grauenvoll, aber Ihr intensiver Umgang damit, bringt doch etwas Erleuchtung in diese Sache. Weiter so. Kontrahenten haben sich ja schon mehr als genug bei Ihnen gemeldet.

      • @O.F.:

        Danke für Ihre Antwort ... Sie ersparen mir einen Kommentar zu RInaldo.

      • @O.F.:

        Gute Antwort. Ich setzte Hitler und Putin aber nicht gleich, sondern sehe unter Putin ein faschistisches System an der Macht. Hitler ist ja nun nicht der einzige Repräsentant des Faschismus, siehe Franco und Mussolini.

  • Eine notwendige historische Korrektur der Neigung, Geschichtsbetrachtung tagesaktuell zu verbiegen. Das Beharren auf strenge Empirie und präzises kritisches Quellenstudium müssen wir beibehalten und den aufgeheizten Narrativen die schnöde nackte Wahrheit entgegenhalten.

    • @Anja Böttcher:

      Die Frage ist nur, was die schnöde, nackte Wahrheit ist.

      Ich habe nach Frau Latyninas Artikel manches gegoogelt und war überrascht, wieviel ich nicht wusste.

      Für ein präzises kritisches Quellenstudium kann ich nicht genug Russisch.

      Können Sie es?

  • Danke.

    Das war aber auch dringendst (!) nötig.

    Nochmal möchte ich so etwas nicht in der taz lesen müssen. Auch als Beilage nicht.

    • @Plewka Jürgen:

      Ist es nicht langweilig in einer Zeitung immer nur Beiträge zu lesen mit deren Tenor Sie übereinstimmen? Vielleicht liegt das an meiner DDR Sozialisation aber Zeitungen als intellektuelle Monokulturen sind mir ein Graus.

      • @Šarru-kīnu:

        Es ging um übelsten Geschichtsrevisionismus, den man in Deutschland sonst nur von ausgewiesenen Rechtsextremisten präsentiert bekommt. Solch ein "Tenor" hat keinerlei Erkenntniswert. Ich hoffe doch sehr, dass das für sie ähnlich ist.

        • @Plewka Jürgen:

          Um etwas ablehnen zu können muss ich es ja zumindest erstmal überhaupt lesen können und um die Plattformen der radikalen Rechten mache ich einen großen Bogen. Ich bervorzuge es aber mir selbst eine Meinung zu bilden, als meine Meinung vorgekaut zu konsumieren wie es heute leider in den meisten Medien üblich ist. Eine Zeitung die einen Artikel veröffentlicht, in dem Wissen dass der Großteil der Leserschaft den Inhalt vehement ablehnen wird, hat für mich einfach einen Sympathiebonus. Das hat aber wie schon gesagt wahrscheinlich etwas mit meiner Sozialisation in der DDR zu tun.

    • @Plewka Jürgen:

      Das wirst du in dieser kriegsbesoffnen Zeitung jetzt aber häufiger lesen müssen ...

      • @Tiene Wiecherts:

        Ich bin sicher, dass das nicht wieder passieren wird ... es hat ordentlich Gegenwind im Vorfeld der Replik von Stefan Reineke gegeben.



        "Kriegsbesoffen" finde ich arg daneben. Die Unterstützung in einigen Artikeln der taz für Waffenlieferungen und den Kampf der Ukrainer hat eine völlig andere Qualität als das, was im Artikel der russischen Journalistin zu lesen war.

  • Die These dass Stalin den Weltkrieg weit im Voraus geplant haben soll hab ich bisher noch in keiner seriösen Publikation gelesen und bezweifele es auch.

    Unstrittig ist jedoch dass die beiden Diktatoren Hitler und Stalin am Beginn des WK2 gemeinsame Sache gemacht haben und Polen unter sich aufgeteilt haben. Stalin hat auch kurz nach Kriegsbeginn Finnland überfallen um sich Gebiete einzuverleiben.



    Beide waren größenwahnsinnige Diktatoren, die auf Menschenleben keinerlei Rücksicht genommen haben und die auch beide millionen Menschen auf dem Gewissen haben.

    Hitler hat Menschen sortiert und ermordet je nach "Rasse" und Stalin nach "Klasse".



    Das dürfte der Hauptunterschied sein.







    Für die Ermordeten spielte es keine Rolle.

    • @Argonaut:

      In der von Ihnen vorgenommenen Formulierungen ist dies eine Neufassung der 1997 endgültig bei einer Konferenz deutscher und russischer Historiker in Berlin Karlshorst endgültig beerdigten These Ernst Noltes.

      Der Krieg um "Lebensraum im Osten" gegen die Sowetunion war bereits, wie in "Mein Kampf" bereits 1925 nachzulesen war, neben dem Antisemitismus, das fixe ideologisch zementierte Ziel Hitlers, so unverrückbar verbunden mit dem NS wie der Antisemitismus.

      Von daher war es mitnichten so, dass Hitler je mit Stalin eine 'gemeinsame Sache' vorhatte. Die Teilung Polens war für ihn ein strategischer Zwischenschritt, um weiter im Osten eine Aufmarschfläche für den Angriff gegen die Sowjetunion zu gewinnen. Das war auch Stalin klar, nur war er darauf fixiert, mehr Zeit für die Aufrüstung zu gewinnen (nachdem er durch die Säuberungen seine eigene Armeeführung enthauptet hatte), als Hitler ihm die zugestand.

      Auch gab es keinen "Klassenmord" (selbst das von der sowjetischen Propaganda geschaffene Phantasiekonstrukt der "Kulaken" ist wohl kaum als "Klasse" sinnvoll zu bezeichnen), der dem industriellen Massenmord an den europäischen Juden gleichzusetzen wäre. Hitler ging es darum, sie verschwinden zu lassen; Stalin dagegen setzte ohne Rücksicht auf menschliches Leben seine brutale Modernisierungsvorstellungen um, doch war ihm die Vernichtung millionenfachen Lebens nicht eigentlich Ziel. Deshalb waren die Überlebenschancen weit höher - auch kam es selten zur Auslöschung ganzer Großfamilien wie im Holocaust. Und ob die eigenen Kinder zumindest leben dürfen, ist sehr wohl von Belang für Menschen, auch wenn sie selbst sterben müssen.

      • @Anja Böttcher:

        Danke für die korrekte historische Einordnung … trotz der Monstrosität der stalinistischen Gewaltverbrechen müssen wir diese Unterscheidung der ideologischen Intentionen von NS und Stalinismus dennoch vornehmen. Sonst triumphiert der neurechte Geschichtsrevisionismus.



        Und auch um den verbrecherischen Charakter des Putin-Regimes in voller Klarheit zu beschreiben, benötigt es eigentlich keine Hitler/Stalin-Vergleiche … so etwas finde ich immer suspekt und ich vermute, dass diejenigen, die zu solchen Vergleichen greifen, noch ganz andere Botschaften „unterjubeln“ wollen.

        • @Abdurchdiemitte:

          Korrekt.

      • @Anja Böttcher:

        "Auch gab es keinen "Klassenmord" (selbst das von der sowjetischen Propaganda geschaffene Phantasiekonstrukt der "Kulaken" ist wohl kaum als "Klasse" sinnvoll zu bezeichnen), der dem industriellen Massenmord an den europäischen Juden gleichzusetzen wäre. "

        Bis heute gibt es eine unabgeschlossene Diskussion um den sog. "Holodomor", den millionenfachen Massenmord an den Ukrainern in den frühen 30er Jahren. Die Opferschätzungen gehen sehr weit auseinander, aber rein quantitativ werden durchaus Dimensionen erreicht, die denen der Shoah vergleichbar sind. Hier steht daher auch der Vorwurf des Genozids im Raum, u.a. bemüht sich die Ukraine um eine entsprechende Einordnung. Insofern ist Ihre Feststellung, so habe ich Sie jedenfalls verstanden, der stalinsche Terror habe sich unterschiedslos gegen alle Gegner seiner Politik gerichtet, m. E. zu einfach. Im Zusammenhang mit dem Holodomor wird durchaus die Auffassung vertreten, dieser habe sehr wohl auf die Ukraine gezielt. Die offizielle Propaganda, es gehe um die Bekämpfung des "Kulakentums", ist dagegen, wie Sie ja richtig festgestellt haben, absurd.



        Der Holodomor ist in Deutschland deutlich weniger bekannt, auch die Sowjetunion/Russland war an einer Aufarbeitung nie interessiert. Er spielt aber zum Verständnis auch des ukrainischen Nationalismus eine außerordentlich wichtige Rolle.

        Nimmt man noch Katyn hinzu sowie die Massendeportationen im Baltikum und die gezielte Russifizierung dort hinzu, so wird eine ethnisch-nationalistische Komponente der stalinischen Politik durchaus erkennbar; die Abgrenzung gegen dem deutschen Vernichtungskrieg ist dann nicht mehr ganz so trennscharf. Im übrigen sind die genannten Vorkommnisse ein wesentlicher Grund, weshalb das Verhältnis der Polen, Balten und Ukrainer zu Russland ein deutlich kritischeres ist als das deutsche.

        • @Schalamow:

          Dass die millionenfachen Hungertoten der Zwangskollektivierung und ihre Verschärfung durch die stalinische Paranoia der Verfolgung vermeintlicher "Kulaken" ein Massenverbrechen war, für das zentral Stalin verantwortlich war, bezweifelt niemand.

          Seine Einordnung als Genozid hält nach Auffassung der deutschen Geschichtswissenschaft der empirischen Erforschung des Geschehens jedoch nicht stand. Da in anderen Teilen der UDSSR prozentual vergleichbar viele (z.B. in Westsibirien) oder sogar mehr umkamen (z.B. in Kasachtan) fehlt nicht nur die ethnische Fixierung, sondern zudem spielen bei dem dynamisch sich über zwei-drei Jahre sich dramatisch entwickelnden Geschehen schwere Mängel in der Verzahnung von lokalen, regionalen und zentralen Ebenen der Sowjetadministration eine ebenso große Rolle wie auf Stalin zurückgehende zentrale Befehle wie die Konfiszierung des Saatguts der von ihm paranoid als politische Gefahr fehl eingeschätzten Bauern.

          Eine Gleichsetzung mit dem mit perfider bürokratischer Perfektion durchgeführten industriellen Massenmord an den europäischen Juden grenzt jedoch an gefällige Geschichtsklitterung.

          Intensiver zur Hungerkrise geforscht haben in Deutschland die Historiker Stephan Merl und Jürgen Zarusky vom IfZ München.

        • @Schalamow:

          Wenn Sie die Holodomor-Debatte genauer verfolgt haben - insbesondere die Beiträge seriöser Historiker (d.h. statt Applebaum, die medial gefeiert ist, aber in den Geschichtswissenschaften eher skeptisch betrachtet wird, auch zu Ganzenmüller oder Davies gegriffen haben, die beide alles andere als pro-russisch/sowjetisch sind, aber eben sauber recherchieren und argumentieren), sehen Sie, dass die These von der Hungersnot in der SU (eben nicht nur in der Ukraine) kaum aufrecht zu halten ist. Auch Katyn und ähnliche Massaker haben auf die Niederschlagung von Widerstand gezielt, nicht auf die Vernichtung als rassisch minderwertig verstandener Menschen.



          Die Trennung zum deutschen Vernichtungskrieg ist daher ziemlich klar: die sowjetische Führung hat massenhafte Gewalt zur Machtsicherung benutzt, die Nazis haben sogar kleine Kinder einzig und allein aus rassistischen Gründen ermordet. Das ist, mit aller berechtigten Verurteilung stalinistischer Säuberungen, ein kategorialer Unterschied.

          • @O.F.:

            "...dass die These von der Hungersnot in der SU (eben nicht nur in der Ukraine) kaum aufrecht zu halten ist."

            ???

            Dass es in den 30er Jahren eine Hungersnot in der SU gegeben hat, wird doch nicht ernsthaft in Abrede gestellt? Strittig ist die Einordnung als Genozid im Hinblick auf die Ukraine.

            • @Schalamow:

              Mea culpa: ich habe schnell getippt und einen Teil der Satzes vergessen - es soll "von der bewusst herbeigeführten Hungernot" heißen; dass es einen Hungersnot gab, ist in der Tat unbestritten; die Frage ist, ob diese die Folge von Mißwirtschaft war oder beabsichtigt, um Widerstand z.B. in der Ukraine zu brechen. Und für letzteres fehlen mir die überzeugenden Belege.

          • @O.F.:

            Richtig, Neben Jörg Ganzemüllers historischer Arbeit sind hier auch die empirisch gründlich auswertenden Arbeiten von Stephan Merl und Jürgen Zarusky zu berücksichtigen. Auf die unzulässige Gleichsetzung stalinistischer und nationalsozialistischer Massenverbrechen hat Jürgen Zarusky zudem angemessen in seinem 35seitigen Verriss der populärwissenschaftlichen und viel gefeierten Veröffentlichung "Bloodlands" von Timothy Snyder geantwortet (in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte).

            • @Anja Böttcher:

              Die Differenz zwischen der medialen und der akademischen Rezeption von Snyder ist leider symptomatisch - ein allzu großer Teil der Öffentlichkeit auch des deutschen Bildungsbürgertums ist nicht ernsthaft an Geschichtswissenschaften und der Herausforderung, die sie für unser Denken darstellen können, interessiert, sondern will vor allem in seinen Denk- und Feindbildern bestätigt werden. Das gilt übrigens auch für unpolitische Themen (etwa zur Altertumswissenschaft oder Mediävistik). Wir brüsten uns gerne mit unserer Aufgeklärtheit (Geschichtsfälschung und Ideologie gibt es ja angeblich nur im Osten), aber gleichzeitig ignorieren wir unsere eigenen Wissenschaftler, wenn ihre Erkenntnis stören. Man könnte sich die Haare raufen.

              • @O.F.:

                Naja, da machen sie es sich jetzt aber arg einfach. www.sueddeutsche.d...spiellos-1.1364122

                Michael Wildt mag nun auch "deutsches Bildungsbürgertum" sein, in erster Linie ist er aber einer der renommiertesten Forscher des Nationalsozialismus.

                Jörg Baberowskis Forschungen über "Gewalträume" gehen übrigens in die gleiche Richtung wie die Snyders (und nicht zufällig findet er die Arbeit Snyders gut), und Baberowski wiederum ist einer der besten Kenner des stalinistischen Terrors.

                Kontroversen sind essentieller Bestandteil historischer Forschung und hier haben wir es mit einem äußerst kontrovers beurteilen Thema zu tun. Und wir sollten vielleicht auch mal anerkennen, dass die Welt der Wisenschaft nicht ausschließlich um die deutsche Forschung kreist, sondern dass amerikanische und osteuropäische Historiker eine andere Perspektive haben. Die ist nicht notwendigerweise falsch, weil ihr aus Deutschland jemand widerspricht, sondern die setzt halt manche Akzente etwas anders und kommt daher zu anderen Schlüssen.

                • @Schalamow:

                  Naja, ein Beitrag in einem Leserforum ist kein Forschungsbericht; ich habe etwas zugespitzt, weil ich ein bestimmtes Problem betonen wollte: eine oft erstaunlich Diskrepanz zwischen akademischer Forschung (die Geschichtsbilder hinterfragt) und öffentlichen und medialen Vorlieben (die nach einer Bestätigung ihres Weltbildes suchen).



                  Natürlich: Kontroversen gehören zur Wissenschaft dazu (ich fordere ja kein Publikationsverbot für Snyder etc. - ich bezweifle lediglich die Qualität ihrer Arbeit - und solche Kritik ist ein nicht weniger legitimer Teil einer wissenschaftlichen Kontroverse).



                  Eine Vielfalt von Perspektiven begrüsse ich durchaus (obwohl es immer wieder bemerkenswert ist, wann das goutiert wird und wann nicht...), aber keine Perspektive kann sich über Quellen hinwegsetzen - wer das, was er behauptet nicht belegen kann, ergänzt keine zusätzliche Perspektive, sondern er phantasiert.

            • @Anja Böttcher:

              & @O.F.



              Wenn ich das richtig sehe, ist die Diskussion über die Einstufung des Holodomor als Genozid bis heute unabgeschlossen. Die von Ihnen genannten Historiker vertreten dezidiert die eine Position. Ich verweise hier aber mal auf einen Beitrag des Osteuropahistorikers Gerhard Simon, der eine andere Auffassung vertritt und auch die von Ihnen angeführten Argumente teilweise aufgegriffen hat osteuropa.lpb-bw.d...domor-als-voelkerm

              Ich selbst bin, um keine Missverständnisse aufkommen, nicht der Ansicht, Holodomor und Holocaust seien gleichzusetzen. Da gibt es, da bin ich mit @O.F. einer Ansicht, "kategoriale Unterschiede". Der Holodomor hat keine rassistische Komponente. Punkt.

              Wohl aber eine ethnische bzw. nationale Komponente. Denn der Holodomor ist eben nicht völlig losgelöst von der stalinschen Nationalitätenpolitik zu betrachten, die sich ja nicht nur gegen die Autonomiebewegung einzelner Sowjetrepubliken richtete, sondern auch Deportationen ethnischer Minderheiten zur Folge hatte. Nicht zufällig hat die Hungerkatastrophe daher mit der Ukraine (nebenbei bemerkt, ausgerechnet die reichste Agrarregion) und Kasachstan Gebiete mit eigenständigen Nationalbewegungen getroffen; zumal in Kasachstan folgte eine umfassende Russifizierung. Auch Katyn lässt sich nicht allein auf "die Niederschlagung von Widerstand" reduzieren; das ist eben nicht einfach eine Unterkategorie des "Großen Terrors". Mal abgesehen davon, dass es sich um die Ermordung von Kriegsgefangenen handelte, ging es Stalin dabei auch um die endgültige Zerschlagung des polnischen Staates (da hatte er wohl noch persönliche Traumata aufzuarbeiten).



              Also kurz: Ausschließlich mit politischer Repression und administrativer Unfähigkeit lässt sich der Holodomor nicht erklären.



              PS. Gerade Ganzenmüller operiert mMn mit etwas unklaren Kategorien, zögert er doch andererseits nicht, die Hungerblockade Leningrads als Genozid zu bezeichnen.

              • @Schalamow:

                Ich sehe nicht, dass Ganzenmüller mit unklaren Kriterien arbeitet: die Blockade von Leningrad war eine bewusste Entscheidung mit dem Ziel, die Bevölkerung dort durch Hunger zu ermorden.



                Im Falle der Hungersnot in der UdSSR (!) ist es bisher keinem Historiker gelungen, überzeugende Beweise dafür vorzulegen, dass diese von der sowjetischen Führung bewusst verursacht wurde (im Gegenteil). Man kann gerne darüber spekulieren, ob Inkompetenz ab einem bestimmten Punkt nicht auch kriminell wird, aber die Holodomor-These halte ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für haltbar.



                Katyn und andere Massaker dienten der Unterwerfung Polens (Zerschlagung ist vielleicht nicht ganz richtig, weil Polen ja nicht aufgelöst und annektiert wurde), aber das ist wieder ein klarer Unterschied zum deutschen Vernichtungkrieg, der eben keinem reinen Machtkalkül folgte, sondern dem (auch) rassistische Motive zugrunde lagen. Nur die deutschen haben Alte und Babys ermordet, weil sie der falschen "Rasse" angehört haben. Diese absolute Vernichtungswille fehlt auf sowjetischer Seite.

      • @Anja Böttcher:

        Tscheka/GPU/NKWD haben im Ziel Opposition und Konterrevolution zu entgegen im Schichtbetrieb Menschen hingerichtet. Bis zu 1.000 Menschen täglich. Die Genickschüsse der Opfer in durch die Wehrmacht ausgehobenen Massengräbern waren hoch präzise und routiniert. Für die Vollstrecker war es Fließbandarbeit. Es war eine gnadenlose politische Säuberung. Natürlich einem eigenen, paranoiden System folgend, welches in seiner Brutalität wohl nur durch die Rote Khmer in Kambodscha und dem Naziregime Deutschlands übertroffen wurde.



        Das System der Gulags bestand bis in die späten 80er Jahre.

        • @Required:

          Das bezweifelt niemand. Doch gibt es dennoch qualitative und quantitative Unterschiede zum nationalsozialistischen Holocaust und Vernichtungskrieg.

    • @Argonaut:

      Welche "Klasse" hat denn Stalin millionenfach ermorden lassen?

  • Wie Stefan Reinecke war auch ich - gelinde gesagt - etwas irritiert von Julia Latynina Ausführungen. Die These vom Präventivkrieg ist hinreichend widerlegt, dass es sie auch in einer russischen Variante gibt, war mir neu.



    Insofern teile ich Reineckes Replik inhaltlich völlig. Nur eine kleine, sachliche Einschränkung: "Wesenskern des NS-Krieges im Osten" war nicht die Vernichtung oder Versklavung der slawischen Bevölkerung. Slawen waren der NS-Rassenideologie nach zwar minderwertig, aber der Krieg hatte - anders als die Shoa - nicht primär deren physische Auslöschung zum Ziel. Anders war dies bei den in Polen, im Baltikum oder in der Sowjetunion lebenden Juden, die tatsächlich systematisch vernichtet werden sollten. Dieser Unterschied scheint mir doch wichtig. Ziel des Krieges im Osten war dagegen die Gewinnung von "Lebensraum", von Hitler bereits in "Mein Kampf" formuliert. Vor allem um Platz für "germanische" Neusiedler zu schaffen, musste, wie im "Generalplan Ost" ausgeführt, die dort ansässige Bevölkerung vertrieben, versklavt oder und gegebenenfalls vernichtet werden-

    • @Schalamow:

      "Vernichtung oder Versklavung" ist m. Meinung nach eine völlig korrekte Formulierung. Der von Ihnen zitierte "Generalplan Ost" sah vor:

      Vernichtung oder Vertreibung von 80–85 % der Polen;



      Vernichtung oder Vertreibung von 50–75 % der Tschechen;



      Vernichtung von 50–60 % der Russen im europäischen Teil der Sowjetunion, weitere 15–25 % waren zur Verlegung in den Osten (d. h. Umsiedlung bzw. Vertreibung hinter den Ural, nach Sibirien) vorgesehen;



      Vernichtung von 25 % der Ukrainer und Weißrussen, weitere 30–40 % der Ukrainer und weitere 30–50 % der Weißrussen sollten in den Osten „ausgewiesen“ werden.

      • @Plewka Jürgen:

        Völlig klar, würde ich auch gar nicht bestreiten.



        Der Punkt ist der von Reinecke genannte "Wesenskern". Ich formuliere es deshalb mal anders: Die Ermordung der slawischen Vorbevölkerung ergab sich aus dem übergeordneten Ziel der Gewinnung von "Lebensraum" sowie strategischen Erwägungen im Hinblick auf die Versorgung mit Lebensmitteln. Der Massenmord an Juden auf dem Gebiet Polens und der Juden war dagegen die Umsetzung eines zentralen ideologischen Elements des NS, also ein Ziel sui generis. Demgegenüber wurden partiell sogar die Bedürfnisse der Wehrmacht untergeordnet.

    • @Schalamow:

      "… Ziel des Krieges im Osten war dagegen die Gewinnung von "Lebensraum", von Hitler bereits in "Mein Kampf" formuliert …" - Die Vorstellung von einem sozusagen naturgegebenen spezifischen „deutschen Drang nach Osten“ spielt seit 1870er Jahren vor allem unter "bürgerlichen" nationalistisch eingestellten Intellektuellen eine der ersten Geigen, die deutschen Kriegsziele im Osten (WK I) stehen in dieser Tradition, also nicht erst Hitler (der knüpft an und radikalisiert mit seinen "Generalplan-Ost-Plänen, siehe Pars pro toto): de.wikipedia.org/wiki/Generalplan_Ost).

      • @Wolf Müller-Heusch:

        Klar, die NS-Ideologie war alles Mögliche, aber sicher nicht originell. Im Prinzip findet man alles Wesentliche bereits im Fundus der Völkischen, und was konkrete Umsiedlungs- und Vertreibungspläne in WK I angeht. im Umfeld der "Alldeutschen".

        Der entsprechende Wiki-Abschnitt ist jetzt nicht gerade der stärkste Teil des Artikels; vom Sybel-Ficker-Streit zum "Generalplan Ost" führt jetzt kein direkter Weg.

        Eine gute Übersicht, die auch deutlich macht, dass Praxis und Theorie der "ethnischen Säuberung" sehr viel umfassender war, findet sich bspw. in der Studie von Michael Schwartz doi.org/10.1524/9783486721423 Hier wird auch deutlich, dass auch die die sich derzeit in der Ukraine abzeichnende Politik der Russifizierung und ethnischen Säuberung schon Vorläufer im Zarenreich während des WK I hatte.

        • @Schalamow:

          Das ist jetzt aber für den geneigte Historikerin keine unbedingte Neuigkeit, dass spätestens seit dem Altertum auch Schriftlich gesichert, dass Besatzer ihre Macht mindestens durch Ersetzung der lokalen Strukturen durch als für sich besser verstandene/eigene sichern wollen, und damit auch die Positionen die diese ausfüllen besetzen - römische Statthalter in Afrika waren dabei nicht die ersten, auch die von Alexander nicht ...