piwik no script img

Putins Krieg gegen die freie PresseEs gibt noch kritische Stimmen

Kommentar von Barbara Oertel

Putin führt auch einen Krieg gegen die eigene Presse. Jour­na­lis­t*in­nen haben schon vor Jahren die Realität im Land schonungslos analysiert.

Seit Kurzem erscheint die europäische Version der kremlkritischen russischen Zeitung „Nowaja Gaseta“ Foto: Alexander Welscher / dpa

M an muss die Feste feiern, wie sie fallen. Wirklich? Auch an diesem 9. Mai wird Russlands Staatsführung den Sieg der Sowjetunion über Nazideutschland gebührend würdigen. Und doch ist alles anders. Der 9. Mai 2022 ist die schauerliche Begleitmusik zu Moskaus aktuellem Angriffskrieg gegen die Ukrai­ne, der schon jetzt Tausende Menschenleben gekostet und ganze Landstriche verheert hat.

Das erklärte Ziel dieser „Spezialoperation“, die noch dazu unter dem Label des Kampfes gegen den Faschismus firmiert, ist kein geringeres, als die Ukraine als Nation auszulöschen und den Staat von der Landkarte zu tilgen. Dass eine Mehrheit der Rus­s*in­nen den militärischen Amoklauf ihres Präsidenten Wladimir Putin immer noch unterstützt und nur einige wenige den Mut haben, dagegen aufzubegehren, ist auch der Propagandamaschine des Kreml geschuldet.

Damit einher geht ein erbarmungsloser Feldzug gegen unabhängige Medien und deren Jour­na­lis­t*in­nen – und das bereits seit Jahren. Wer unbequeme Wahrheiten öffentlich macht, wird zum Schweigen gebracht – sei es durch Einschüchterung, Sperrung von Webportalen, langjährige Haftstrafen oder tätliche Angriffe, die bisweilen auch tödlich enden. Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen nimmt Russland von 180 den Platz 155 ein – da ist noch Luft nach unten.

Aber es gibt sie, kritische Stimmen, wie die Nowaja Gaseta oder Meduza, die sich, nunmehr aus dem Ausland, ihrem journalistischen Ethos verpflichtet fühlen und mit ihren Mitteln versuchen, diesem wahnsinnigen Krieg etwas entgegenzusetzen. Gerade sie sollten ernst genommen werden, ergo Gehör finden.

Stuhlkreise gegen Putin

Das sei deutschen Po­li­ti­ke­r*in­nen gesagt, die, ob krasser Fehleinschätzungen in Bezug auf Russland, jetzt publikumswirksam ihre Wunden lecken sowie Vergangenheitsbewältigung und Besserung geloben. Aber auch all jene dürfen sich angesprochen fühlen, die einer Kapitulation der Ukraine das Wort reden und meinen, Wladimir Putin mit Stuhlkreisen und Friedensgebeten beeindrucken zu können.

Schon 2004 (!) legte die Journalistin der Nowaja Gaseta, Anna Politkowskaja, mit ihrem Buch „Putins Russland“ eine glasklare Analyse des russischen Regimes vor. Zwei Jahre später wurde sie kaltblütig vor ihrer Moskauer Wohnung erschossen. Diese Bestandsaufnahme, die zu Politkowskajas Vermächtnis geworden ist, liest sich, als sei sie gerade eben erst geschrieben worden. Wir hätten es also wissen können. Jetzt wissen wir es. Wir sollten daraus die richtigen Schlüsse ziehen und die Ukraine weiter mit Waffen beliefern. Wie viel Leid und Elend braucht es dafür noch?

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • @RINALDO

    Alle Pazifist*innen als "Stuhlkreise" zu diffamieren ist aber auch eine zu billige Art, sich um die Auseinandersetzung zu drücken.

    Egal wie mensch zu den Waffenlieferungen steht [0]: eine nachhaltige Erhöhung der Militärausgaben scheint grosser Unsinn: unser Problem ist ja nicht, dass Russland mehr und bessere (koventionelle) Waffen hat -- im Gegenteil, da ist die NATO hoffnungslos überlegen (und gibt ein obszönes Vielfaches dessen, was die russische Föderation ausgibt).

    Unser Problem ist (und deshalb "geht" die NATO da jetzt nicht "rein") die atomare Bedrohung.

    Und da helfen ein paar Panzerhaubitzen 2000 oder ein paar F-35 nicht viel. Leider.

    Da müssen wir uns was anderes einfallen lassen.

    Sowas wie Reagans SDI [1] [2], nur, dass das nicht funktioniert hat.

    Oder halt echte Friedensarbeit. Die Rüstungsindustrie zu füttern führt lediglich dazu, dass sie hungriger wird, siehe USA.

    [0] Persönlich finde ich: wenn, dann richtig. Zur Not auch mit der Bereitschaft, Risiken zu übernehmen. Das letzte, was wir wollen sind noch 10 Jahre den Konflikt am Köcheln zu haben.

    [1] Man stelle sich einen mittelmässigen Schauspieler mit einer Laserkanone vor: "Pew! Pew!"

    [2] en.wikipedia.org/w...Defense_Initiative

  • "Stuhlkreise gegen Putin" ist gut beschrieben , angesichts der Naivität und des "Wishfull thinking" großer Teile der deutschen Öffentlichkeit. Was nicht sein kann, das nicht sein darf, war auch die Maxime deutscher Aussenpolitik gegenüber Russland, während Putins Militär nach und nach die Schlinge um die Ukraine enger zog. Die prorussische Wirtschaftslobby tat ihr Übriges, in einmütiger Übereinstimmung mit CDU, SPD, LINKEN und der AFD. Nur die Grünen blieben sich mit einer relativ konsequenten menschenrechtsorientierten Aussenpolitik treu. Was derzeit nervt, ist die Unverfrorenheit mit der Politiker, wie z.B. Schwesig, von "Fehlern" reden, ohne gleichzeitig die Gründe hierfpr transparent zu machen.

  • 2004 wird "Putins Russland" veröffentlicht, 2006 die Autorin ermordet, und 2022 stellt der SPD-Generalsekretär fest, es sei ein Fehler gewesen, "eng an der Seite Russlands" stehen zu wollen. Die Lerngeschwindigkeit nicht nur dieser Partei ist bemerkenswert. Bedauerlich, dass man politische Entscheidungen auf der Basis dieser Realitätsblindheit auf den Weg gebracht hat, die jetzt vielen teuer zu stehen kommen.

  • @D-H. BECKMANN

    Die Frage ist nicht, wie Sie schreiben, "was hat die Taz seit...", sondern: "was hat @D-H. BECKMANN seit... in der Taz gelesen?"

    Mehr Treffer gefällig?

    Merke: Wahrnehmung und Realität haben zwar angeblich etwas miteinander zu tun, sind aber nicht dasselbe.

    @taz: für Eure Archivqualität könnte ich Euch jedesmal ♥ knutschen. Ehrlich!

    [1] taz.de/!1103454/



    [2] taz.de/Archiv-Suche/!1243218/



    [3] taz.de/!367833/



    [4] taz.de/!624920/



    [5] taz.de/Mordfall-Politkowskaja/!5195507/

  • „Schon 2004 (!) legte die Journalistin der Nowaja Gaseta, Anna Politkowskaja, mit ihrem Buch „Putins Russland“ eine glasklare Analyse des russischen Regimes vor. Zwei Jahre später wurde sie kaltblütig vor ihrer Moskauer Wohnung erschossen.“



    Was hat die Taz seit 2004 über Nowaja Gaseta geschrieben? ?? Wir hätten es also wissen können. Ja, in der Tat. Plötzlich wissen viele AutorInnen, was wir versäumt haben. Eine Heuchelei, kaum jemand hat den Krieg in der Ukraine vorhergesehen, wenn wir ehrlich sind.