Richter:innenwahl: Vereint im Kampf gegen Brosius-Gersdorf
Die konzertierte Kampagne gegen die Juristin erinnert stark an einen Fall in den USA und zeigt: Die Neue Rechte folgt synchronisierten Strategien.

A m Anfang war die Hetze. Eine „Ultralinke und Abtreibungsaktivistin“ müsse verhindert werden, machte angesichts der Nominierung der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin ein Portal aus der sogenannten Lebensschutzszene Stimmung. „Katastrophal“ wäre ihre Wahl, warnt ein anderes, „radikale Lebensfeindin“ nennt sie ein drittes. Katholische Bischöfe zeichnen ein Szenario der Relativierung der Menschenwürde und eines „radikalen Angriffs auf unsere Verfassung“. Und das rechte Portal Nius des ehemaligen Bild-Chefs Julian Reichelt stachelt nahezu täglich in Texten und Videos neu gegen die „Richterin des Grauens“ auf.
All das ist nur ein kleiner Ausschnitt der konzertierten Kampagne, die seit Anfang Juli gegen Brosius-Gersdorf gefahren wird. Nominiert hatte sie die SPD, die Entscheidung war gefallen, auf den letzten Metern stellte sich jedoch die Unions-Fraktion quer. 50 bis 60 Abgeordnete, heißt es, wichen am vergangenen Freitag von der Fraktionslinie ab und erklärten, der Juristin ihre Stimme verweigern zu wollen. Sie alle dürften Unmengen von Mails, Petitionen und Briefen bekommen haben: von christlich-fundamentalistischen Lebensschutzportalen, auch von international aktiven Mobilisierungsplattformen wie CitizenGo. Allein deren Petition gegen Brosius-Gersdorf sammelte innerhalb weniger Tage über 120.000 Unterschriften. Was passierte, hat System. Und es stammt eins zu eins aus dem Playbook der Neuen Rechten.
Dabei gehen verschiedene AkteurInnen Hand in Hand. In der Lebensschutzszene etwa sind zahlreiche Organisationen und Vereine aktiv, die nicht ganz klein sind, gesellschaftlich aber eine radikale Minderheit repräsentieren. Schwangerschaftsabbruch, Ehe für alle, Scheidung, Verhütung, Aufklärung – all das sind ihnen Werke des Teufels. Angriffe auf diese Errungenschaften sind zugleich zentrale Elemente rechter und rechtsextremer Ideologie: Ein vermeintlich homogener Volkskörper wäre ohne den Zugriff auf weibliche Körper kaum herstellbar. Teils also machen die AkteurInnen gemeinsame Sache, teils sind sie personell eng verflochten, auch mit der AfD. In jedem Fall sind sie gegenseitige Verstärker in einer Diskursarena, die hin zur extremen Rechten weit offen steht. Diese Player wollen einen autoritären, teils klerikalen, teils rechtsextremen Staat.

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Beeinflussung per Trigger
Dafür versuchen sie, gesellschaftliche Entscheidungen zu beeinflussen – aber nicht über Debatten, sondern, wie im Fall Brosius-Gersdorf, über bewusst triggernde Falschinformationen. Schwangerschaftsabbruch ist so ein Trigger, Impfpflicht, Gendern und ein AfD-Verbot. Das Beratungsnetzwerk Polisphere zeichnete über eine Analyse von mehr als 40.000 Posts auf der Plattform X seit Anfang Juli nach, wie flexibel die Kampagne reagierte: Wo das größte Mobilisierungspotenzial ist, darauf schießt man sich ein. So wiederum wird der Diskurs bis in die konservative Mitte gebracht. Und das ist, was zählt.
Die Parallele zu den USA, zwischen Bundesverfassungsgericht und Supreme Court, ist an dieser Stelle leider nicht zu weit hergeholt. In seiner ersten Amtszeit hat US-Präsident Donald Trump den Supreme Court mit ultrakonservativen RichterInnen besetzt, 2022 hat dieser das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gekippt. Eine große Rolle dabei spielte wiederum die strategische Prozessführung einer international aktiven Organisation namens Alliance Defending Freedom (ADF), die auch vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof bereits mehr als 30 Fälle gegen sexuelle und reproduktive Rechte gewonnen hat.
Der rechte Kreis schließt sich
Der Kreis schließt sich: Die ADF steht in enger Verbindung zur Mobilisierungsplattform CitizenGo, die gegen Brosius-Gersdorf mobilmacht. Die Neue Rechte ist global aktiv und vernetzt, und sie folgt synchronisierten Strategien. Zwar war das, was hierzulande gerade auf höchster Ebene passierte, bislang einzigartig. Aber es wird sich wiederholen, an anderer Stelle, mit neuem Personal.
Diskutiert wird nun, was der Fall Brosius-Gersdorf für die Koalition bedeutet. Zentraler aber ist die Frage: Was heißt er für die Demokratie? Eine Unionsfraktion, die mindestens offen ist zum extrem rechten Resonanzraum, in der die interne Brandmauer so in sich zusammengefallen ist, wie es sich gerade zeigt, ist das Einfallstor für die Neue Rechte. Nach der Abstimmung zur Asylpolitik wäre es das zweite Mal in dieser Legislaturperiode, dass die Union gemeinsame Sache mit rechts außen macht. Die Konservativen kippen entweder, weil sie wollen, was da passiert – oder weil sie der Rolle als Erfüllungsgehilfin nichts entgegenzusetzen haben. Beides ist fatal. Die Union wird zeigen, wo sie steht. Auf der Seite der Demokratie. Oder gegen sie.
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