: Die unaufhaltsame Revolution
Solarenergie ist heute die billigste Stromquelle in der Geschichte der Menschheit. Wenn die Branche weiter wächst wie bisher, könnte sie bald den Strombedarf der ganzen Welt decken. Selbst die klimaleugnende Rechte kann diese Entwicklung nicht stoppen

Texte und Grafiken von Lalon Sander
Es ist ein kleiner Moment der Uneinigkeit, den die AfD-Politikerin Alice Weidel und der extrem rechte Milliardär Elon Musk bei ihrem Gespräch auf X im Januar haben: Während Weidel über die Solarenergie wettert, outet sich Musk als Fan. Dieser Augenblick, nur wenige Wochen vor der Bundestagswahl, zeigt: Selbst der klimaleugnenden globalen Rechten fällt es inzwischen teilweise schwer, den Nutzen von Solarenergie anzuzweifeln.
Denn in den vergangenen Jahren hat die Photovoltaik einen rasanten Aufstieg hingelegt. Sie ist inzwischen die billigste Stromquelle in der Geschichte der Menschheit. In Industrieländern wie Deutschland ist sie der verlässlichste Baustein der Energiewende, in ärmeren Ländern bedeutet sie für Millionen von Menschen den Weg aus der Energiearmut. Wenn ihr Wachstum anhält, könnte sie schon bald den gesamten Strombedarf der Welt abdecken und Milliarden von Menschen mit billiger, emissionsfreier Energie versorgen.
Die Internationale Energieagentur (IEA), einst von den Ölförderländern in den 1970er Jahren gegründet, galt in Bezug auf erneuerbare Energien lange als besonders pessimistisch. Seit einigen Jahren prognostiziert aber auch sie lautstark das Ende des fossilen Zeitalters. Bis 2030 werde die Solarenergie allein 30 Prozent des Stroms generieren, hieß es kürzlich in ihrem Erneuerbaren-Report. Bis dahin werde sich ihre Kapazität verdreifachen und vielleicht die 6.000 Gigawatt knacken.
Was bei der IEA bereits wie krasser Optimismus klingt, ist im Vergleich zu anderen Expert*innen eine konservative Einschätzung. Die tatsächliche Entwicklung wird von der IEA Jahr für Jahr unterschätzt. 2015, im Jahr des Pariser Klimabkommens, gab es weltweit etwa 225 Gigawatt Solaranlagen. Deren Kapazität, so der damalige Jahresbericht der IEA, würde sich bis 2024 verdoppeln. Tatsächlich vervierfachte sie sich. Wetten, dass die IEA das Wachstum auch dieses Mal unterschätzt?
Die Solarkraft wächst derzeit exponentiell. Bei exponentiellem Wachstum breitet sich eine Technologie immer schneller aus, bis sie allgegenwärtig ist – wie Fahrräder und Verbrennerautos im 20. Jahrhundert oder Mobiltelefone zur Jahrtausendwende.
Die weltweite Kapazität von Solarkraftwerken verdoppelt sich seit der Jahrtausendwende alle drei Jahre. Setzt sich diese Entwicklung fort, würde sie rechnerisch bereits Mitte der 2030er Jahre den weltweiten Strombedarf decken. Und in den 2040ern schon den gesamten Energiebedarf – also auch den Bedarf jener Sektoren, die derzeit noch keinen oder wenig Strom verwenden, wie Verkehr oder Industrie. Die Bloomberg-Analystin Jenny Chase schätzt, dass die Solarenergie bis dahin für einen Großteil des Jahres fast überall auf der Welt tagsüber kostenlos sein wird.
Grundlage für den Solarboom sind exponentielle Kurven in die andere Richtung. Seit den 1970er Jahren ist der Preis für Solarmodule um mehr als 99 Prozent gesunken. Von mehr als 100 Dollar pro Watt auf nur wenige Cent. Auch die Preise für Batteriespeicher, die Sonnenenergie auch nachts verfügbar machen, sind um mehr als 99 Prozent gesunken. Die Preise sind so niedrig, dass in Bangladesch E-Rickschas in Dörfern an Solarkiosken aufgeladen werden, Menschen in Libanon sich während der Energiekrise im Jahr 2022, als der staatliche Stromanbieter EDL kollabierte, mit Solarmodulen auf dem Hausdach aushalfen, und in Deutschland Hunderttausende Haushalte Solaranlagen auf ihre Balkons gebaut haben.
Die Preisentwicklung führt dazu, dass sich auch Klimaskeptiker wie Musk der Solarkraft nicht mehr ideologisch entziehen können – und nun andere Rechte wie Alice Weidel davon überzeugen möchten. Tatsächlich gibt es in Texas, das von dem republikanischen Fossil-Fan Greg Abbott regiert wird, inzwischen mehr Solaranlagen als im liberalen Kalifornien. Und im rechtsautoritären Ungarn machte Solarenergie im vergangenen Jahr 24 Prozent des Strommixes aus – deutlich vor den 20 Prozent im links regierten Spanien. Saudi-Arabien, das auf den Klimagipfeln stets bremst, baut das weltgrößte Solarkraftwerk und das für Kohleexporte bekannte Australien will per Kabel das 4.000 Kilometer entfernte Singapur mit Solarstrom beliefern.
Insgesamt könnte das solare Zeitalter für das Klima trotzdem zu spät kommen. Um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens einzuhalten, müssten die Emissionen schon in den kommenden Jahren auf null sinken. Und statt dabei zu helfen, könnte die Solarenergie ausgerechnet vom eigenen Erfolg blockiert werden. Vielerorts führt ein Solarstromüberschuss tagsüber dazu, dass die Preise ins Negative fallen. Die Stromproduktion rentiert sich nicht mehr. So könnte es dazu kommen, dass der Bau neuer Solaranlagen nicht mehr profitabel ist. Noch bevor die gesamte Stromproduktion auf erneuerbare Quellen umgestellt wurde.
Die niedrigen Preise sind auch Ergebnis von Ausbeutung und Umweltverschmutzung. Die Produktion in China, so berichten es verschiedene NGOs, fände oft unter ausbeuterischen Bedingungen statt, teilweise ist von Zwangsarbeit die Rede, zum Beispiel in der Region Xinjiang, wo die chinesische Führung gezielt gegen Uiguren vorgeht. Darüber hinaus zerstört der Lithiumbergbau, der für die Batteriespeicher benötigt wird, Ökosysteme und verschmutzt Wasserressourcen. Außerdem müssen die riesigen Mengen an Solarmodulen, die jetzt produziert werden, in einigen Jahren recycelt werden. Insgesamt fällt die Klima-, Umwelt- und Menschenrechtsbilanz von Solarenergie trotzdem deutlich besser aus, als die der Öl- und Kohleindustrie.
Viele Länder kommen zudem beim Umbau der Stromnetze nicht hinterher. Während diese früher auf einige wenige Kohle-, Atom- oder Wasserkraftwerke ausgerichtet waren, die kontinuierlich Strom lieferten, sind Solaranlagen klein, zahlreich und liefern nur Strom, wenn die Sonne scheint. Es braucht Batteriespeicher, die den Überschuss tagsüber aufnehmen und nachts wieder abgeben, und kleinteilig regelbare Stromnetze, die schnell reagieren können. Diese lassen sich aber nicht so schnell bauen wie Solaranlagen.
Noch ist zudem sehr ungleich verteilt, wer vom Solarboom profitiert. Nur etwa 14 Prozent der installierten Solarkapazität befindet sich in Ländern mit überdurchschnittlich hoher Sonneneinstrahlung. Während es mittlerweile kaum einen Ort in Europa ohne Solaranlagen gibt, ist nur ein Prozent der weltweiten Kapazität in Afrika zu finden. Und Japan hat deutlich mehr Solarmodule pro Person als Indien oder Ägypten, obwohl die Module dort viel mehr Strom produzieren würden. Dabei ließe sich in all diesen Orten mit Solarenergie viel erneuerbare Energie gewinnen – explizit auch für die Versorgung der lokalen Bevölkerung.
Insgesamt lässt die Entwicklung der Solarbranche von einer globalen Gesellschaft träumen, die sich mit Hilfe von billiger, verfügbarer und erneuerbarer Energie all ihre Wünsche erfüllt: Städte mit ausschließlich elektrischem Verkehr, großflächige Entsalzungs- und Aufbereitungsanlagen für Gegenden mit Wasserknappheit und vertikale Landwirtschaft. Oder die effiziente, umweltschonende CO2-Entnahme aus der Atmosphäre und Gartenzäune aus Solarpaneelen für das bisschen Solarpunk zu Hause.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen