Plötzlich Veganer: Ist der Wahl-O-Mat kaputt?

Unser Autor wundert sich über sein Wahl-O-Mat-Ergebnis. Aber vielleicht hat es mit seinen Zweifeln in Rüstungsfragen zu tun. Dem BVB sind diese fremd.

grüner Kunstrasen vor dem Brandenburger Tor

Grüne Meile vor dem Brandenburger Tor. Fußball und Politik verkehrsberuhigt Foto: Paul Langrock

Achtung, nur noch eine Woche bis zur Europawahl – und ausgerechnet jetzt ist der Wahl-O-Mat kaputt. Wie sonst kann es sein, dass mir nach absolut ehrlichen Antworten auf alle Fragen empfohlen wird, die „V-Partei für Veränderung, Vegetarier und Veganer“ zu wählen? Dabei habe ich doch jahrelang aus echter Liebe und albernem Trotz mehr Fleischfotos gepostet als Markus Söder. Auch dem Parteiziel Veränderung stehe ich eigentlich eher zögerlich gegenüber. Schließlich bin ich seit 25 Jahren bei der taz.

Reichlich verwirrt überlege ich, wie dieses erstaunliche Ergebnis wohl zustande gekommen sein könnte, wenn der Wahl-O-Mat nicht von den in­te­res­san­ter­weise altmodisch maskulinen Vegetariern und Veganern gehackt wurde. Ja, also, räume ich im Stillen ein, es könnte vielleicht doch richtig sein … Weil ich bei den meisten Ökoforderungen „stimme zu“ gedrückt habe, teils aus Überzeugung, teils aus schlechtem Gewissen wegen meines klimaschädlichen Fleisch- und Flugkonsums.

Das Über-Ich also. Aber gegen Massentierhaltung bin ich wirklich, für Bio dito, auch wenn die Blutwurst dann teurer wird. Aber warum dann nicht die Grünen? Wahrscheinlich, weil ich nicht bei jeder Waffenexportfrage sofort bedenkenlos zugestimmt habe. Blieb also nur noch die V-Partei.

Rheinmetalldeal

Das kann schon stimmen. Denn auch das großzügige Verständnis der grünen nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerin Mona Neubaur für die „gemischten Gefühle“ zur neuen Werbepartnerschaft zwischen Borussia Dortmund und dem Rüstungskonzern Rheinmetall, die sie offenbar schon im Vorfeld gutgeheißen hatte, reicht mir nicht ganz aus. Meine Vorfreude auf das Champions-League-­Finale wurde jedenfalls getrübt. Auch wer Waffen im Notfall nötig findet, muss nicht unbedingt Werbung für sie machen und von den staatlich finanzierten Gewinnen als Sportverein profitieren. Nein, auch nicht als BVB-AG.

Aber ich war auch nicht wie Neubaur beim Spatenstich für die neue Kampfjetfabrik von Rheinmetall dabei. Und vielleicht ist das ja wirklich alles nötig, um Deutschland kriegstüchtig zu machen und die Zeitenwende zu vollenden, in die Robert Habeck den Dortmunder Deal verständnisvoll einreiht.

Weil die V-Partei für mich trotz allem nicht infrage kommt, starte ich einen neuen Wahl-O-Mat-Versuch, gehe diesmal auf Nummer sicher, gebe bei allen 38 Fragen „neutral“ ein und denke, dass dann sicher Olaf Scholz herauskommt. Doch siehe da, einfach für gar nichts einzutreten ist beim Wahl-O-Mat nicht gestattet! Wahrscheinlich, weil Scholz zur Europawahl gar nicht antritt, obwohl es auf den SPD-Plakaten so aussieht. Möglicherweise hat die offizielle Spitzenkandidatin Katarina Barley ja tatsächlich ein paar eigene Meinungen in den Wahl-O-Mat eingegeben.

Autismusvorwurf

Schon nach ein paarmal „neutral“ klicken wird man fast so streng angeschissen wie Scholz von Marie-­Agnes Strack-Zimmermann im Verteidigungsausschuss: „Bitte beantworten Sie die Thesen sorgfältig!“ Wer trotzdem unverdrossen unentschieden bleibt, erhält am Ende die Auskunft: „Leider kann der Wahl-O-Mat auf der Grundlage Ihres Antwortmusters kein individuelles und zuverlässiges Ergebnis berechnen.“ Schade, aber deutlich höflicher als Strack-Zimmermann, die dem Kanzler „autistische Züge“ vorwarf, weil er nicht ganz so schnell wie sie die Produkte aus ihrem Wahlkreis auf russisches Gebiet abfeuern wollte.

Womit wir bei dem heißen Brei wären, um den wir, wie auch ich hier, gerne herumreden, indem wir uns lieber mit der berechtigten Empörung über ekelhafte Schnösel auf Sylt, abstoßendem Geschrei in Talkshows und anderen deutschen Skandalen als mit der Weltlage beschäftigen. Insgeheim wissen wir alle, dass alles davon abhängt, wie Putin und Biden im Ukrainekrieg agieren und wie die US-Bürger auf die Verurteilung von Donald Trump reagieren. Man kann es sich da einfach machen und wie Sahra Wagenknecht auf Plakate schreiben: „Krieg oder Frieden? Sie haben jetzt die Wahl“. Aber eine dermaßen verblödend verkürzte Frage gibt es nicht einmal im Wahl-O-Mat.

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seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens

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