Demos gegen rechts: Alle auf die Straße

Nach gespenstischer Ruhe scheint ein Knoten geplatzt: Allerorten wird gegen die AfD mobilisiert. Wie gelingt es, dass das kein Strohfeuer bleibt?

Menschen demonstrieren gegen die AfD, sie halten Schilder in die Höhe

Bundesweit wird gegen die AfD demonstriert, wie hier in Köln am Dienstagabend Foto: Roland Geisheimer/attenzione/Agentur Focus

Mitten in dem Bundesland, das sich womöglich bald einen Rechtsextremen zum Ministerpräsidenten wählt, liegt Jena. Und mitten in Jena liegt das Schillergässchen, das genauso romantisch aussieht, wie es klingt: Ein schmaler Kopfsteinpflasterweg führt an Schillers einstigem Gartenhaus vorbei auf einen bewachsenen Hügel.

Die alte Sternwarte liegt hier und ganz am Ende, im Dachgeschoss einer alten Stadtvilla, das Büro des Voice Refugee Forums. Es ist die Keimzelle der deutschen Flüchtlingsbewegung, die in den 1990er Jahren nicht von ungefähr in Thüringen ihren Anfang nahm. Das Land machte Asylsuchenden das Leben damals besonders schwer. Und der Voice-Gründer, der Nigerianer Osaren Igbinoba, sagte immer wieder eines: „Wenn sich keiner wehrt, machen sie am Ende dasselbe mit den Deutschen.“

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Es scheint, dass dieser Tage immer mehr weißen Deutschen ein ähnlicher Gedanke kommt: dass die AfD, die angetreten ist, Mi­gran­t:in­nen aus dem Land zu drängen, auch vieles anderes bedroht – ihre Rechte, ihre Art zu leben, ihr Gemeinwesen, ihre Demokratie, vielleicht ihre Freiheit.

Vom „deutschen Ernstfall“ schrieb der FAZ-Journalist Justus Bender kürzlich angesichts der Umfragewerte für die AfD. Er berichtet seit vielen Jahren über die AfD. Bender klagte über eine „gespenstische Ruhe im Land“. Der Spiegel warf den übrigen Parteien vor, „resigniert“ zu haben. Und tatsächlich lag angesichts dessen, dass die AfD von vielen Politikern anderer Parteien schon 2019 als „parlamentarischer Arm des Rechtsterrorismus“ bezeichnet wurde, eine irritierende, stoische Tatenlosigkeit über dem Land.

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Gesellschaftliche Gegenwehr

Der Bericht von Correctiv über ein Treffen von AfD-Politikern, Identitären und Unternehmern bei Potsdam, auf dem ein „Masterplan“ für die Deportation von Millionen Menschen besprochen wurde, brachte dann einen Knoten zum Platzen. Vielen war angesichts des AfD-Hochs zunehmend mulmig geworden, das Bedürfnis, etwas zu tun, lag in der Luft. Was fehlte, war eine Zündung, und wie es aussieht, war diese Recherche genau das.

Zehntausende kamen zu Kundgebungen in verschiedenen Städten, etwa jener des Bündnisses namens Köln stellt sich quer aus Gewerkschaften, Parteien und Initiativen. Der „Aufstand der Mitte“ sei nun im Gang, berichtete die Tagesschau. Zum „Jahr des Kampfes“ blies der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil. „Runter vom Sofa gegen rechts!“, forderten Regionalzeitungen. Plötzlich gehen die Menschen auf die Straße, und die Bereitschaft ist groß, darin kein Strohfeuer, sondern den Beginn großer gesellschaftlicher Gegenwehr zu sehen.

Mobilisierungsmäßig soll es weitergehen: „Nach XXL-Demo Sonntag noch voller in Köln?“, fragt der Express erwartungsfroh. Fridays for Future haben das Thema aufgegriffen. Das 2022 aufgelöste Unteilbar-Bündnis geht im Hand-in-Hand-Bündnis auf. Am 3. Februar will es mit einer Menschenkette um das Bundestagsgebäude protestieren. Am 17./18. Februar lädt das Netzwerk Couragiert zum Kongress in der rechtsextremen Hochburg Plauen. Vom 26. bis zum 28. April lädt das Flücht­lingsgruppenbündnis We’ll Come United zur Konferenz nach Frankfurt. Große antirassistische NGOs haben sich in einer neuen Antifaschistischen Plattform zusammengeschlossen. Diese Liste ließe sich fortsetzen. Alle suchen Wege für Interventionen, die nicht verpuffen, sondern entscheidende Prozente verschieben können.

Die Reaktion auf die rechten Ausschreitungen im August 2018 in Chemnitz etwa war so eine Intervention. „Wir sind mehr“, hieß es damals, immerhin, das war noch gewiss. Direkt im Anschluss vermochten die Unteilbar-Demos linke und bürgerliche Kreise auf eine Weise zusammenzuführen, dass sie eine Zeit lang echte gesellschaftliche Strahlkraft entwickelten.

Was machen die Konservativen?

Oder 2019 in Italien, als die Sardinen-Bewegung Flashmobs mit teils vielen Tausend Menschen immer da organisierte, wo der rechtsextreme Innenminister Matteo Salvini auftauchte, und so maßgeblich die Popularität der Lega drückte. Salvini verlor letztlich sein Amt, wenn auch nur vorübergehend. Damals gab es das, was man so gerne „Momentum“ nennt. Lässt sich das wiederholen?

Thüringen jedenfalls scheint eine gewisse Schicksalsträchtigkeit zuzukommen: Björn Höcke zog kaum nur hierher, weil es aus Hessen so nah ist, sondern weil wohl absehbar war, dass für ihn hier viel zu holen wäre. Die Eisenacher Wartburg ist für viele Deutschnationale wichtiger Bezugspunkt, obwohl die Hambacher Feste eine anti-reaktionäre Angelegenheit waren. Der rechte Terror des NSU hat hier genauso seine Wurzeln wie der Flüchtlingswiderstand. Es gibt das freundlich klingende, aber rechtsextreme Bündnis Miteinanderstadt in Gera, aber auch die demokratische Zivilgesellschaft oder auch das Bündnis Weltoffenes Thüringen und die #BleibOffen-Kampagne von Jenoptik, die die Wirtschaft im Blick haben. Dieser Tage etwa versucht die Initiative namens Dorfliebe für alle im Saale-Orla-Kreis den Sieg des AfD-Kandidaten bei der Landratsstichwahl am 28. Januar zu verhindern.

Es wird letztlich vor allem auf die Konservativen ankommen. Ohne sie wird sich die AfD nicht von der Macht fernhalten lassen. Aber die Union ist in einem schwierigen Zustand. Die AfD zerrt an ihrem moralischen Zentrum. Klarer als etwa der NRW-Ministerpräsident Henrik Wüst („Nazipartei“, „Mit denen geht gar nichts“) kann man sich kaum distanzieren. Im Osten klingt das an der Basis bekanntlich anders. Parteichef Merz hat seine 2021 ausgesprochene „glasklare Ansage“ („Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an“) nicht eingehalten.

Merz und andere Vertreter der Bundes-CDU rüsten derzeit in einer Weise rhetorisch auf, die zu Merkels Zeiten nicht vorstellbar gewesen wäre. Vielleicht klären sich die Verhältnisse, wenn sich die Werteunion tatsächlich mit einer eigenen Partei abspaltet. Für den Moment aber ist offen, wer sich durchsetzt und ob die moralische Substanz der Union zerfällt wie jene der US-Republikaner. Und was dann?

Akute Gefährdung

2019, kurz vor der letzten Landtagswahl in Sachsen, schlug die taz in Dresden ein Quartier auf, um von vor Ort zu berichten. Damals stand die AfD in den Umfragen bei knapp 25 Prozent, und man traf Linke, die erzählten, sie machten sich Gedanken, wo sie hinziehen könnten, sollte die CDU umfallen und mit der AfD koalieren. Bei der Wahl bekam die AfD dann 27,5 Prozent.

Heute sehen die Umfragen sie in Ostländern bei weit über 30 Prozent. Im Sommer 2023 gaben bei einer Umfrage der Bild am Sonntag 15 Prozent der Befragten an, im Fall eines AfD-Kanzlers auswandern zu wollen. Vielleicht zeigt das ganz gut, dass die Dinge hier manchmal zu schnell heißlaufen.

2023 gaben bei einer Umfrage 15 Prozent der Befragten an, im Fall eines AfD-Kanzlers auswandern zu wollen

Kürzlich erzählte ich österreichischen Kolleginnen davon. „Das war hier genauso, als die FPÖ an die Regierung kam“, meinten sie. 1983, 1986, 2000, 2003 und 2017 gab es FPÖ-Minister. Am Ende hätten dann alle eben geschaut, wie sie irgendwie mit der Lage umgehen. „Bleibe im Lande, und wehre dich täglich“, hieß es bei den Dissidenten in der DDR, und auch im Westen konnten viele Spontis mit dem Spruch etwas anfangen. Vielleicht muss bald wieder darüber nachgedacht werden, wie man das am besten anstellt.

Jenen, die der weißen Norm entsprechen, wird dies zweifellos eher leichtfallen als anderen. Die postmi­gran­ti­schen Neuen Deutschen Organisationen fürchten „ethnische Säuberungen nach rassistischen Kriterien“. Migrant:innen, Roma, Muslime, Jü­d:in­nen seien „akut gefährdet“. Viele erinnerten daran, dass die Kolumnistin Mely Kiyak schon 2018 die Frage aufwarf, ob „sie uns mit FlixBus deportieren werden“.

Solidarität und Mobilisierung

Keiner weiß, was eine AfD-Regierung wirklich tun würde. In Italien etwa, wo die Fratelli d’Italia 2022 mit einer bis zum Anschlag rechtsextrem aufgedrehten Rhetorik gewählt wurden, kam vieles anders als befürchtet, bisher jedenfalls. Ein Grund dafür dürfte sein, dass Meloni auf ein EU-Gefüge traf, das mit viel Geld und einer demokratischen politischen Kultur einhegend auf sie wirkte.

Vielleicht ist dieser Effekt stabil, vielleicht schleift er sich ab, wenn an immer mehr EU-Regierungen Rechtsextreme beteiligt sind und sie die EU als solche nach ihren Vorstellungen umzumodeln vermögen. Einem solchen rechten Europaprojekt steht allerdings entgegen, dass die Differenzen zwischen den europäischen Rechtsextremen teils enorm sind.

Gewiss aber ist: Kommen Rechtsextreme an die Macht, wird es für die einen gefährlicher als für die anderen. Die Antwort heißt Solidarität – und breite, demokratische, politische Mobilisierung. Denn auch darauf wies der Voice-Gründer und Flüchtlingsaktivist Igbinoba hellsichtig in den 1990ern hin: Jeder versuche, mit seinen Problemen alleine fertig zu werden, in dem Glauben, man werde in Ruhe gelassen, wenn man sich ruhig verhalte. „Am Ende aber sind die Probleme nur noch größer, weil wir Angst gehabt haben, uns selbst als machtvoll zu begreifen.“

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