Die Linke und der Ukrainekrieg: Chance auf Glaubwürdigkeit

Die Linkspartei sollte ihren Russland-Kitsch endgültig ablegen. So würde auch ihre Kritik am Westen überzeugender.

Demonstranten von Die Linke mit Friedenstaube-Fahnen

Demonstrierende der Linken mit Friedenstaube-Fahnen in Berlin Foto: Florian Boillot

Die Partei Die Linke ist wieder auf Kurssuche. Die Partei- und Fraktionsspitze hat den Angriff Russlands auf die Ukraine klar verurteilt und damit die „Russia-Today-Fraktion“ in der Partei verprellt. Vor blau-gelben Solidaritätsbekundungen aber, erst recht vor der Unterstützung durch Waffenlieferungen, scheut die Partei weiter zurück. Sie zieht das neutrale Weiß der Friedenstaube vor. „Die Waffen nieder“ statt „Waffen für die Ukraine“ scheint die Losung zu sein.

Warum tut sich Die Linke so schwer damit, sich in der Ukraine-Krise auf die Seite der Angegriffenen und der westlichen Welt zu schlagen? Und wie sieht linke Sicherheitspolitik aus, die sich von alten Vorstellungen befreit? Wer die Haltung der Linken zu Russland und zum Westen verstehen will, muss auf die Geschichte blicken. Schon die Oktoberrevolution 1917 ließ in Teilen der deutschen Linken ein Russlandbild entstehen, das von tiefer Bewunderung geprägt war: In Moskau war der Fortschritt beheimatet – im Westen der Versuch, ihn aufzuhalten.

Ein Bild, das mit dem Zweiten Weltkrieg zur offiziellen Weltdeutung des europäischen Kommunismus wurde. Die SED und ihre Freunde in Westdeutschland sahen in der Nato ein Herrschaftsinstrument der USA zur „Versklavung der Völker Europas“. Die Sowjetunion dagegen war großer Bruder und Befreier vom Faschismus. Der Feind stand im Westen – im Osten wohnten Freunde. Auch nach 1990 wurden diese konträren Nato- und Russlandbilder in der „SED-Nachfolgepartei“ PDS wachgehalten – und dienten als Folie der Weltdeutung.

Nach dem Angriff des Irak auf Kuwait im Golfkrieg 1991 prangerten sozialistische Abgeordnete den „Bombenterror“ des Westens an. Das Eingreifen der Nato in den Kosovokrieg 1999 verurteilten sie als Angriffskrieg. Und nach den Terrorattacken vom 11. September 2001 gaben einige in der Partei den Amerikanern selbst die Schuld. Dass prominente Linke heute wieder lautstark auf die Provokationen des Westens verweisen, um die russische Aggression zu erklären, kommt daher nicht überraschend.

Von Russland-Freundschaft und Nato-Bashing

So offensichtlich die historischen Kontinuitäten sind – sie verdecken zugleich, dass die Partei auf ihrem Weg von der SED zur heutigen Partei Die Linke sicherheitspolitische Positionen entwickelt hat, die über Russland-Freundschaft und Nato-Bashing hinausgehen. Maßgebliche Vokabeln sind Verständigung, Multilateralismus und nicht zuletzt das Völkerrecht. Entsprechend begründete die PDS ihre Ablehnung des Nato-Einsatzes im Kosovo 1999 offiziell mit seinem völkerrechtswidrigen Charakter.

Die Allianz habe das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen untergraben und einen problematischen Präzedenzfall geschaffen. Ein Vorwurf, den ähnlich auch Liberale wie Burkhard Hirsch erhoben. Dass Die Linke den Westen bis heute für unehrlich hält, wenn es um das Völkerrecht geht, ist also nicht nur ideologischer Ballast des Kalten Kriegs.

Auch die anhaltende Kritik der Partei an tödlichen Drohneneinsätzen der USA passt zu ihrer Völkerrechtsdogmatik. Der Anspruch ist klar: Wo andere dazu neigen, ein Auge zuzudrücken, wenn es um westliche Verstöße gegen Völker- und Menschenrechte geht, schaut Die Linke genauer hin und hält ihnen den Spiegel vor. Was aber ist daran falsch? Das Problem ist und war schon immer die Glaubwürdigkeit. Beim russischen Imperialismus wurden linke Augen in der Vergangenheit oft trüb.

Sei es im Fall Georgien oder nach der Annexion der Krim: Häufig flüchtete sich Die Linke in Relativierungen, statt den Aggressor klar zu benennen und Konsequenzen zu ziehen. Für die Partei- und Fraktionsführung ließ sich dieser Kurs nach dem Angriff auf die Ukraine nicht mehr halten: Der aggressive Völkerrechtsbruch geht eindeutig von Russland aus; die UNO ist durch das russische Veto im Sicherheitsrat blockiert; und Putin selbst hat bisherige Friedensinitiativen ins Leere laufen lassen.

Zwar gilt mehr denn je, dass ohne Russland kein Frieden in Europa zu machen ist. Ob er aber mit Putin zu machen ist, daran zweifeln auch Mitglieder der Linken. Was also tun, wenn die zentralen Maximen linker Sicherheitspolitik – Russland-Freundschaft und völkerrechtsorientierte Friedenspolitik – so offen im Konflikt miteinander stehen? Schon länger fragt sich ein zunehmend sichtbarer Teil der Partei, warum Linke Verständnis für einen autokratischen und imperialistischen Herrscher wie Putin aufbringen – für einen Rechten also, wenn man so will.

Angst vor Identitätsverlust

Eine Linke, die nahelegt, dass sie Putin durchgehen lässt, was sie am Westen kritisiert, ist unglaubwürdig

Sie fordern einen Kurs, der den innenpolitischen Emanzipationsanspruch der Partei auch außenpolitisch einlöst. Allerdings herrscht in der Linken die Sorge vor einem weiteren Identitätsverlust – nachdem sie schon ihren Status als „Ost-Partei“ verloren hat. Auf keinen Fall soll Die Linke so werden wie die heutigen Grünen, eine Partei des transatlantischen Konsenses, die Militäreinsätze im Ausland mitträgt und die Aufrüstung der Bundeswehr unterstützt.

Das aber ist nicht die Alternative. Dass Die Linke auf absehbare Zeit zum Nato-Fanklub wird, ist nicht sehr wahrscheinlich, selbst wenn sich die Parteispitze endlich dazu durchringen sollte, mit der Pro-Putin-Fraktion zu brechen. Auch die kremlkritischen Teile der Linken fürchten einen neuen deutschen Bellizismus und warnen den Westen vor einer „Eskalationsspirale“, wie es die Parteiführung formuliert. Eine klare Positionierung gegen Putins Russland wird daher auch kaum die prowestlichen Kritikerinnen und Kritiker der Partei beschwichtigen.

Sie könnte der Partei aber helfen, ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden: Eine Linke, die nahelegt, dass sie Putin durchgehen lässt, was sie am Westen kritisiert, ist unglaubwürdig. Wenn sie aber ihren Russland-Kitsch ablegt und die Augen für den russischen Imperialismus öffnet, kann man ihre Kritik am Westen ernster nehmen, genauso wie ihre sicherheitspolitischen Konzeptionen. Ob man sie dann auch teilt, ist eine andere Frage.

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ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter der parteiunabhängigen Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus in Stuttgart. Jüngste Veröffentlichungen: „Demokratie, Nation, Belastung. Kollaboration und NS-Belastung als Nachkriegsdiskurs in Frankreich, Österreich und Westdeutschland“ (2022) und „Die ‚Nachfolgepartei‘. Die Integration der PDS in das politische System der Bundesrepublik Deutschland 1990–2005“ (2019).

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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