Antisemitische Proteste in Deutschland: Es geht nicht um Israel
Deutschland hat ein manifestes Antisemitismusproblem. Der Nahostkonflikt dient vielen als Vorwand, um den eigenen Judenhass rauszuschreien.
I n Gelsenkirchen wird „Scheiß Juden“ vor einer Synagoge skandiert, als am Mittwoch 180 Menschen dort demonstrieren. „Chaibar, Chaibar, ihr Juden, Mohammeds Heer kommt bald wieder“, schallt es aus einer Gruppe von 550 Demonstrierenden in Hannover auf Arabisch, anknüpfend an einen Angriff von Truppen Mohammeds auf eine jüdische Ortschaft im Jahr 628. In Münster brennt am Dienstagabend eine Flagge Israels vor der örtlichen Synagoge, ebenso in Bonn, wo zudem mit Steinen der Synagogeneingang beschädigt wird.
Die viel beschworene rote Linie ist längst überschritten: Deutschland hat ein manifestes Problem mit Antisemitismus, und der kommt derzeit wieder offen zum Ausdruck. Der Nahostkonflikt dient hierbei als Anlass, vor allem aber dient er vielen als Vorwand, den eigenen Judenhass rauszuschreien – vor Synagogen, im Internet, auf den Straßen.
Auch in den sozialen Medien lässt sich Besorgniserregendes beobachten. So verbreiten etwa HipHop-Größen und Profifußballer vereinfachende Fotos und Videos des aktuellen Konflikts. Der Tenor: Wir alle müssen zusammenstehen gegen den israelischen Aggressor. Dass die Quellen auch islamistische Propagandaseiten sind? Geschenkt. Der Feind stimmt, das muss reichen.
Die Bilder aus Israel und aus Gaza wühlen viele Menschen auf. Mehr als tausend Raketen schossen islamistische Terrorgruppen wie Hamas auf israelische Städte, das israelische Militär flog daraufhin Angriffe auf Stellungen der Hamas. In Israels Städten kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen arabischen und jüdischen Israelis, die es lange Zeit so nicht gegeben hat.
Einseitige Solidaritätsbekenntnisse
In Deutschland drängt es da viele zu einseitigen Solidaritätsbekenntnissen in einem komplexen Konflikt. Nicht zuletzt wird der Raketenterror zur Widerstandshandlung verklärt. Geholfen ist palästinensischen Zivilist*innen damit sicher nicht.
Dass sich der Hass nun auch gegen jüdische Einrichtungen und Synagogen, gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland richtet, ist untragbar. Es liegt nun auch an den Sicherheitsbehörden, Hetze vor Synagogen zu verhindern und Versammlungen gegen Israel dort zu untersagen. Am Wochenende werden bundesweit zahlreiche Demonstrationen gegen Israel erwartet. Die demokratische Gesellschaft muss sich jetzt vor Jüdinnen und Juden stellen und sich zur Sicherheit Israels bekennen.
Proteste gegen konkretes staatliches Handeln, etwa vor den Botschaften, sind in einer demokratischen Gesellschaft selbstverständlich. Doch wer behauptet, sich gegen israelische Militäreinsätze zu wenden, und sich dazu vor eine Synagoge stellt, zeigt vor allem eins: ein antisemitisches Weltbild.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen