Streitgespräch Prostitution: „Nicht mal genügend Bettwäsche“
Die SPDlerin Leni Breymaier will den Kauf von Sex verbieten, die CDUlerin Sylvia Pantel die Rechte von Sexarbeiterinnen verbessern. Ein Streitgespräch.
taz am wochenende: Frau Pantel, Frau Breymaier, die Coronapandemie führt dazu, dass viele Bordelle Pleite machen. Gut oder schlecht?
Sylvia Pantel: Ich finde das schlecht. Bordelle sind Orte, an denen Frauen auch geschützt werden können. Prostitution findet weiter statt, auch während Corona. Sie findet nur unkontrolliert statt, in der Wohnung zum Beispiel, auf der Straße oder im Wald. Das ist für die Frauen ein viel höheres Risiko.
Leni Breymaier: Ich finde es gut, wenn Bordelle pleitegehen.
Was finden Sie gut daran, wenn Frauen ihre Jobs verlieren?
Breymaier: Davon, was Frauen in der Prostitution machen, profitieren in aller Regel nicht sie selbst, sondern Zuhälter, Immobilienbesitzer und Menschenhändler.
In Nachbarländern durften Sexarbeiter:innen nach dem ersten Shutdown viel schneller wieder arbeiten als in Deutschland. Frau Pantel, wie sollten wir mit Sexarbeit während Corona umgehen?
Pantel: Genau wie in Restaurants oder Physiotherapiestudios hat sich auch diese Branche Hygieneregeln gegeben, um den Körperkontakt und Austausch von Körperflüssigkeiten zu regulieren. Wenn die stimmig sind, sehe ich keinen Anlass, eine Prostituierte anders zu behandeln als eine Heilmasseurin oder Kosmetikerin. Wenn man feststellen würde, dass ein Bordell zum Infektionsherd geworden ist, weil das Konzept nicht greift, müssten wir noch mal neu überlegen. Aber dafür gibt es keine Hinweise.
Breymaier: Liebe Frau Pantel, wovon träumen Sie nachts? Schauen Sie sich mal die Einträge in den Freierforen an. Die Freier halten sich nicht an Hygienekonzepte. Es findet Oralsex statt, es findet Analsex statt, es findet alles statt. Diese Konzepte sind eine Farce. Es gibt sie nicht. Es gibt nicht einmal genügend Bettwäsche.
Frau Breymaier, Sie haben Prostituierte in einem offenen Brief sogar als „Superspreader“ bezeichnet. Aber es gibt keinen einzigen bestätigten Ausbruch in der Branche. Worauf stützen Sie diese Aussage?
Breymaier: Es gibt auch wenig bestätigte Fälle aus Gaststätten, und trotzdem sind alle dicht. Dieses Virus wird über Aerosole und Speichel übertragen …
… die Hygienekonzepte sehen Masken vor.
Breymaier: Die Freier tragen doch keine Masken! Und die Frauen auch nicht. Die Freier beömmeln sich doch nur über diese Hygienekonzepte. Wenn der infizierte Freier zur Frau geht, diese Frau ansteckt, und danach bedient sie noch 20, 30 Freier pro Tag – dann kann ich natürlich von Superspreadern sprechen. Da brauche ich nicht Epidemiologie studiert zu haben, das sagt mir mein gesunder Menschenverstand.
Pantel: Sie betrachten einen verengten Bereich der Prostitution: den der Ausbeutung. Ich habe in den vergangenen Jahren viel gelernt, ich habe mir den Straßenstrich, Wohnungen und sehr viele Bordelle angeschaut. Es wird so sein, dass es auf der Straße keine Hygienekonzepte gibt. Zwangsprostitution ist verboten, auch dort gibt es keine. Aber in Dominastudios oder bei Prostituierten, die sich auch selbst schützen wollen, werden die Konzepte angenommen. Es gibt auch durchaus Sexualpraktiken, die das möglich machen. Wir haben versucht, die Bandbreite, die es in der Prostitution gibt, im Prostituiertenschutzgesetz abzubilden, um Missbrauch einen Riegel vorzuschieben.
Breymaier: Das ist doch an Naivität kaum zu überbieten. Wir haben es hier mit einem hochkriminellen Milieu zu tun. Die Frauen werden aus den Ländern Osteuropas, Afrika oder China eingeschleust. Sie werden gekauft, mit Tattoos gebrandmarkt, sind Eigentum von irgendwelchen Typen …
Pantel: … all das, was Sie beschreiben, ist hochgradig illegal.
Breymaier: Aber das ist die Mehrheit.
Pantel: Dafür gibt es weder Zahlen noch Belege.
Dass es hier Differenzen gibt, kann man schon daran sehen, dass Sie, Frau Pantel, sich Berichterstatterin für Prostitution nennen. Frau Breymaier, Sie sind Berichterstatterin für Zwangsprostitution. Berichten Sie überhaupt über dasselbe Feld?
Breymaier: Seit 20 Jahren behaupten alle möglichen Menschen, es gäbe eine freie und selbstbestimmte Prostitution, auch die taz. Aber fast alle Frauen in der Prostitution kommen aus dem Ausland. Sie sind nicht freiwillig hier. Wenn Sie mit Sozialarbeitern sprechen oder der Kripo und sich das hochrechnen lassen, wissen Sie, dass wir in Deutschland mit dem Prostituiertenschutzgesetz ein Gesetz für eine absolute Minderheit gemacht haben.
Zur Frage, ob Prostitution nur von Gewalt geprägt ist, schreibt das Deutsche Institut für Menschenrechte: „Eine Verallgemeinerung dieser Perspektive ist empirisch falsch.“ Auch Beratungsstellen gehen von einem großen Bereich in der Prostitution aus, in dem Frauen selbst entschieden haben, diesen Beruf auszuüben.
Breymaier: Plappern Sie das doch nicht einfach nach. Ich und andere haben dem Deutschen Institut für Menschenrechte geantwortet, dass das so nicht stimmt, das schicke ich Ihnen gern.
Pantel: Was Sie beschreiben, Frau Breymaier, ist kriminell. Aber es ist Fakt, dass es einen großen Bereich in der Prostitution gibt, der legal ist. Es mag Praktiken geben, die ich persönlich nicht befürworte – aber das muss ich auch nicht. Wenn zwei sich treffen, die dieselbe Neigung haben, und das findet im kontrollierbaren und legalen Bereich statt, dann mische ich mich doch als Staat nicht ein. Es gibt Frauen mit abgeschlossenem Studium, die in der Prostitution tätig sind und mir erzählt haben, dass sie das gern machen. Das muss ich akzeptieren. Für den illegalen Bereich, von dem Sie sprechen, gibt es Gesetze.
Breymaier: Aber sie funktionieren nicht! Ein Gesetz, das nicht umgesetzt wird, taugt nichts.
Pantel: Das stimmt nicht. In einigen Bundesländern funktioniert das Gesetz sehr gut, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. Wenn die Kontrollen mancherorts nicht funktionieren, nachts in Berlin zum Beispiel, müssen wir nachbessern. Zum Teil liegt das natürlich an fehlenden finanziellen Ressourcen. Die Gesundheitsämter müssen aufrüsten, um die Beratungen machen zu können. Aber ich kann doch deshalb nicht sagen, ich bestrafe die gesamte Branche und verbiete gleich alles.
Breymaier: Wir können jetzt vom Redaktionshaus hier zum Straßenstrich in der Kurfürstenstraße laufen, da stehen die Frauen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Die machen das nicht freiwillig.
Wir können von hier aus auch zu frauengeführten Wohnungen, Escortstudios oder Dominas gehen. Die machen das freiwillig. Das kann man doch nicht alles über einen Kamm scheren.
Breymaier: Das schere ich über einen Kamm. Dort ist auch nichts besser.
Zwei Erwachsene haben einvernehmlich Sex. Eine Person bezahlt dafür. Das ist nicht in Ordnung?
Pantel: Doch. Das hat kein Staat zu bewerten oder zu bestrafen.
Breymaier: Ich bin für die Einführung eines Sexkaufverbots in Deutschland, des sogenannten Nordischen Modells. Nach diesem Modell werden nicht die Frauen bestraft, sondern die Freier. Es gibt Aufklärung, und den Menschen in der Prostitution werden Ausstiegshilfen gegeben. Mit Ihrer Argumentation – wenn zwei Erwachsene Sex miteinander haben, hat sich der Staat nicht einzumischen – ist vor 20 Jahren Prostitution in Deutschland liberalisiert worden, das heute das Bordell Europas ist. Da frage ich Sie: Wollen Sie das?
Pantel: Das ist doch schade, wenn Sie Gutachten von Organisationen wie dem Deutschen Institut für Menschenrechte nicht zur Kenntnis nehmen und so tun, als wenn nur Sie allein recht hätten. Das ist doch unfair.
Breymaier: Dieses Papier war total einseitig!
Es war eine Analyse von Metastudien.
Pantel: In Ländern mit Sexkaufverbot ist die Gefahr, dass Frauen Opfer von Infektionskrankheiten werden, ungemein höher – wir wissen das zum Beispiel sicher bei Tuberkulose und HIV. Natürlich gibt die schwedische Regierung nicht zu, dass das Sexkaufverbot nicht funktioniert. Die reden ja nicht ihre eigenen Gesetze schlecht. Unabhängige Beobachter sagen aber sehr wohl, dass sich die gesamte Sexarbeit dort in den Untergrund verlagert hat. Und genau das möchte ich nicht, das gefährdet die Frauen. Ich finde es enorm wichtig zu wissen, wer in der Sexarbeit tätig ist …
Breymaier: … das wissen wir in Deutschland aber nicht!
Pantel: Wie können Sie denn dann behaupten, dass das niemand freiwillig macht? Das machen Sie doch die ganze Zeit!
Breymaier: Sie tun so, als ob sich Prostitution in Deutschland ausschließlich im Hellfeld bewegt. Und da sage ich: Das ist ein einziger Witz. Wie viele Strafen gibt es, weil der Freier Sex hatte, obwohl die Frau es nicht wollte?
Pantel: Wie viele Strafen gibt es für Vergewaltigungen? Sie können nur bestrafen, wenn jemand anzeigt. Das heißt, wir müssen schauen, dass wir den Graubereich ins Hellfeld holen und nicht andersherum.
Breymaier: Unter deutschen Freiern ist die Haltung üblich: Ich habe dich bezahlt, also hast du zu machen, was ich sage. Da ist so viel Gewalt im Spiel, so viel Trauma, so viel Entwürdigung. In Stuttgart gab es das Bordell Paradise. Der Besitzer hat sich jahrelang bundesweit als Saubermann des Gewerbes dargestellt. Der sitzt heute im Knast wegen Beihilfe zu schwerem Menschenhandel.
Pantel: Ja wunderbar, weil unser Gesetz greift!
Breymaier: Nein, weil auch in den Saubermannbordellen die Rockerbanden regieren. Die Polizei, die diese Ermittlungen geführt hat, hat nie und nimmer die Kapazitäten, so etwas noch mal zu machen. Da steckt die Arbeit von Jahren drin.
Pantel: Sehen Sie: Wenn man die Kapazitäten aufstockt, wirkt das Gesetz. Sie können doch nicht kritisieren, dass die schwarzen Schafe gefunden werden! Es ist doch gut, dass sich da was tut.
Breymaier: Dann sitzen drei Leute im Knast, und die nächsten machen weiter.
Wir sind uns einig, dass Ausbeutung und Zwang verfolgt werden müssen. Muss zudem nicht vor allem die Situation von Prostituierten verbessert werden?
Breymaier: Die ganze Nation regt sich momentan zu Recht darüber auf, dass es in der Fleischindustrie schlechte Wohnverhältnisse, schlechte Hygienebedingungen und schlechte Bezahlung gibt. Niemand würde über die Fleischindustrie sagen, das ist egal, die machen das ja freiwillig.
Sollte es genau deshalb nicht darum gehen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern – in der Fleischindustrie wie in der Prostitution?
Breymaier: Ich versuche, den Frauen zu helfen. Wir können doch mal einen kleinen Perspektivwechsel vornehmen. Wollen wir in einem Land leben, in dem jeder Typ in seiner Mittagspause für 20 Euro eine Frau benutzen und mit ihr machen kann, was er will? Wie kommt der denn anschließend zurück zu Ihnen ins Büro? Wie schaut der Sie an? Prostitution macht etwas mit allen Frauen in dieser Gesellschaft.
Die Frage ist doch, ob man das Stigma, das auf diesem Bereich liegt, nicht eher auflöst, indem genau nicht so abwertend über Frauen in der Prostitution gesprochen wird.
Breymaier: Rede ich abwertend über Prostitution?
Pantel: Ja.
Ich versuche es noch mal: Wir alle hier sind uns einig, Zwang zu verurteilen. Könnten wir von diesem doch sehr speziellen Bereich wegkommen und über Sexarbeit sprechen, die legal ist?
Breymaier: Nein, nein, nein! Das sind Frauen im Promillebereich, die das gern machen!
Dazwischen gibt es doch mehr. Frauen machen das, um Geld zu verdienen. Oder weil es unter den gegebenen Umständen die beste Wahl für sie ist.
Breymaier: Das ist die Überheblichkeit der Schreibtischtäterin! Die Frau soll die Beine breit machen, 30-mal am Tag! Aber die taz bleibt seit 20 Jahren in ihrem Bunker. Sie sind so was von unfeministisch, das ist überhaupt nicht auszuhalten.
An dieser Stelle würden Ihnen viele Feministinnen widersprechen.
Breymaier: In Deutschland vielleicht, aber nicht in Schweden, Frankreich oder Norwegen, wo ein Sexkaufverbot gilt.
Pantel: Doch, auch da. Ich habe mich nicht nur in Deutschland informiert. Ich habe mit Frauen gesprochen, die haben Sozialarbeit studiert, manche hatten Kinder, viele reisen für ihren Job, damit sie an ihrem Heimatort nicht stigmatisiert werden.
Breymaier: Sie sind von der Lobby bearbeitet worden.
Pantel: Das ist eine Unverschämtheit, das nehmen Sie zurück!
Breymaier: Nein.
Pantel: Ich habe nur nicht Ihren eingeschränkten Blick. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass ich sehr früh gelernt habe, bestimmte Phänomene differenziert zu betrachten. Als Gesetzgeber kann ich doch nicht allen unterstellen, fremdbestimmt zu sein.
Breymaier: Was sagen Sie denn Ihrer Tochter, wenn sie kommt und sagt, ich will Prostituierte werden?
Pantel: Der sage ich: Das und das sind Alternativen – willst du das wirklich? Ich bin der Ansicht, dass Prostitution mit bestimmten Risiken behaftet ist, auch im High-End-Bereich. Nein, ich würde mich nicht freuen, wenn das die Wahl meiner Tochter wäre. Aber ich würde ihr auch auf keinen Fall sagen, du kannst nicht mehr nach Hause kommen. Was wäre das denn für eine Selbstbestimmung, wenn ich die Moralkeule schwinge und sage, du bist erwachsen, aber das darfst du nicht?
Breymaier: Mein Ansatz ist nicht moralisch, mir geht es schlicht um Menschenrechte.
Pantel: Andersherum wird ein Schuh draus.
Frau Breymaier, sprechen Sie denn überhaupt mit Frauen in der Sexarbeit?
Breymaier: Ich rede mit denen, die aussteigen wollen. Bei den anderen weiß ich sowieso, dass sie mir vorgeführt werden.
Pantel: Vorgeführt!
Es gibt ganze Berufsverbände von Sexarbeiterinnen, mit denen Sie sprechen könnten.
Breymaier: Haben Sie mal gefragt, wie viele Mitglieder diese Verbände haben? Die machen Lobbyarbeit! Auf dem Rücken der geknechteten Frauen. Wir werden uns einmal schämen, dass wir das zugelassen haben.
Pantel: Ich finde das sehr anmaßend. Ich würde mich schämen, wenn ein Staat Frauen, die ein bestimmtes Leben führen wollen, die eine bestimmte Arbeit machen wollen, vorschreiben würde, was verwerflich ist und was nicht. Es gibt sehr viele unterschiedliche Neigungen, die ich nicht verurteile. Sie könnten auch mal mit Sexualtherapeutinnen sprechen.
Breymaier: Ich rede mit Traumatherapeutinnen.
Pantel: Ich auch, aber nicht wie Sie immer nur mit derselben. Und auch ich spreche mit Polizisten. Die berichten mir was ganz anderes als das, was Sie beschreiben.
Was sagen Sie: Warum sind die Fronten so verhärtet, warum kocht ausgerechnet dieses Thema emotional so hoch? Das ist in der Frauenbewegung ja nicht anders als bei unserem Gespräch.
Pantel: Ich finde es gut, dass wir so hart streiten. Aber ich sehe Frauen nicht generell in der Opferrolle. Viele Frauen wissen, was sie tun.
Breymaier: Die allermeisten Frauen in der Prostitution sind Opfer. Ich finde nicht, dass wir das dulden dürfen.
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