Wahlniederlage der Grünen in Brandenburg: Ab nach Island
Die Grünen fliegen aus dem Landtag und geben der SPD die Schuld daran. Auf der Wahlparty scherzen die ersten schon übers Auswandern.
Keine zwei Stunden später, draußen vor der Halle neben einem Imbiss-Stand, sitzt eine Gruppe Parteimitglieder aus dem Süden Brandenburgs. Auf den Smartphones verfolgen sie den Auszählungsstand aus ihrem Wahlkreis. Bei den Zweitstimmen liegen sie bei 0,8 Prozent. Ihr Direktkandidat hat bei den Erststimmen immerhin 0,9 Prozent. Die Direktkandidatin der AfD liegt zu diesem Zeitpunkt über 50 Prozent. „Wir haben kürzlich schon geschaut, was uns ein Haus in Island kosten würde“, scherzt eine der Grünen. „Und?“, fragt ihr Sitznachbar. „Können wir uns nicht leisten.“
Und das Schlimmste kommt erst noch. Am Ende des Abends wird feststehen: Auch landesweit sind die Grünen unter 5 Prozent der Stimmen gerutscht. Ein Direktmandat in Potsdam, auf das die Partei gehofft hatte und das ihr den Wiedereinzug ins Parlament garantiert hätte, verfehlen sie ebenfalls klar. „Wir müssen konstatieren, dass wir raus sind“, sagt Spitzenkandidatin Töpfer, als sie um 21:11 Uhr noch mal auf die Bühne tritt. „Aber wir sind eine starke Partei und wir werden wie Phoenix aus der Asche wieder aufsteigen“, fügt sie noch hinzu, und die wenigen im Saal verbliebenen Grünen jubeln dann zumindest noch mal kurz.
Und trotzdem: Die Resultate der Grünen in Brandenburg lesen sich über die letzten Jahre wie eine Chronik des Niedergangs: 17 Prozent neun Wochen vor der Wahl 2019, knapp 11 Prozent am Wahltag selbst, immerhin noch 8 Prozent in diesem Frühling – und nun gerade mal noch die Hälfte. Auffällig ist, wie lange führende Grüne im Wahlkampf die sinkenden Umfragewerte jedenfalls offiziell nicht hatten wahrhaben wollen. „Nahe am Wahlergebnis von 2019 zu landen“, gab Co-Spitzenkandidat Benjamin Raschke noch Ende Juni gegenüber der taz als Ziel aus.
Das Ergebnis zeigt überdeutlich, dass die Partei in Brandenburg keine feste Basis etablieren konnte, die sie sicher über die 5-Prozent-Hürde bringt. Das überrascht angesichts zahlreicher Zuzüge aus Berlin, von wo Pendler ins Umland oder Rentner in die Idylle der Uckermark ziehen. In ländlichen Gegenden gab es schon bei der Kommunalwahl im Juni Wahllokale, in denen es noch nicht mal eine einzige Stimme für die Grünen gab. Der Speckgürtel um Berlin aber hatte die Partei in den letzten Jahren eigentlich getragen. Jetzt rettete auch er sie nicht.
„Er hat es hingekriegt“
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Fragt man am Wahlabend unter Grünen nach den Ursachen für das Debakel, sind sie sich über die Schuldigen einig: die SPD und ihr Ministerpräsident Dietmar Woidke. „Er hat es hingekriegt und er hat es auf Kosten der demokratischen Mitte gemacht. Es ist unverantwortlich“, sagt Töpfer, als sie auf der Bühne ihre Niederlage eingesteht. Laut Daten von Infratest haben die Grünen leicht an AfD, BSW und CDU verloren – und massiv an die Sozialdemokraten.
Die AfD dürfe nicht stärkste Kraft werden, hatte Woidke im Wahlkampf gesagt. Und angekündigt: Falls doch, macht er nicht weiter. Durch diese Zuspitzung konnte er offenbar vor allem den Grünen Wähler abnehmen. Auf der anderen Seite hat das Kopf-an-Kopf-Rennen möglicherweise auch AfD-Wähler stark mobilisiert – und somit das relative Ergebnis aller anderen weiter verschlechtert.
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Allerdings hatten die Grünen vor allem gegen Ende des Wahlkampfs massiv dagegengehalten. Sie hatten ihrerseits dazu aufgerufen, taktisch zu wählen: Nur mit den Grünen im Landtag gäbe es die Chance, eine Sperrminorität der AfD im Parlament zu verhindern, die zum Beispiel Verfassungsänderungen unmöglich macht. Durchgedrungen sind sie damit offensichtlich nicht. Und dass es auch für das erhoffte Direktmandat in Potsdam nicht gereicht hat, zeigt: Es muss noch mehr im Argen liegen.
„Wir haben es im Wahlkampf vor allem mit Bundesthemen zu tun gehabt“, sagt Töpfer auf der Bühne auch noch. Und auch das stimmt natürlich. Die Verschärfungen in der Migrationspolitik, derzeit bundesweit das bestimmende Thema, bereiten den Grünen besondere Schwierigkeiten. Ihre Wählerschaft ist in Fragen der Zuwanderung gespalten – manche haben sich möglicherweise abgewendet, weil die Grünen zu viele Restriktionen mittragen, und andere, weil sie zu sehr bremsen.
Die eindeutige Solidarität der Grünen mit der Ukraine schadet bei Wahlen in Ostdeutschland wohl mehr, als dass sie nutzt. Dass laut Infratest für viele Wähler die soziale Sicherheit das entscheidende Thema waren, dürfte der Partei auch nicht geholfen haben: Als sozial gilt sie nun mal nicht, so sehr sie sich auch bemüht. Die Klimapolitik, vor fünf Jahren noch im Trend, hat dagegen keine Konjunktur mehr: Nur für 9 Prozent der Wähler war sie das wichtigste Thema, trotz Dürre und Hochwasser in Brandenburg.
Nicht nur der Bund
Und neben den Bundesthemen? Eine weitere Begründung für den Negativtrend lieferte schon kurz vor der Wahl die Frau, die eineinhalb Jahrzehnte die Politik ihres Landesverbandes geprägt hatte. Die Grünen könnten schwer Emotionen bedienen, analysierte Ursula Nonnemacher, als Sozialministerin eins von zwei grünen Kabinettsmitgliedern in der seit 2019 amtierenden Kenia-Koalition. „Die Grünen haben das Problem, nicht nur in Brandenburg, dass sie sehr intellektuell, kopflastig und in vielem zu kompliziert sind“, sagte Nonnemacher der Märkischen Allgemeinen. Sie gehörte zu denen, die ihre Partei 2009 nach 15 Jahren erstmals wieder in den Landtag brachten.
Nonnemachers Befund von der Kopflastigkeit ihrer Partei ließe sich auch als Beschreibung dessen auffassen, was seit Ende Juni vielerorts in Brandenburg zu begutachten ist. Die grüne Plakat-Kampagne mit dem Slogan „Mehr Muteinander“ ist im wörtlichen Sinn um die Ecke gedacht: Ein Teil des Slogans läuft senkrecht links am Rand, der zweite quer am oberen Plakatrand. Wo fast alle anderen Parteien einfache und griffige Botschaften präsentieren, mehr dies und weniger da versprechen, haben die Grünen auf ein Wortspiel mit nötigem Kopfdrehen gesetzt.
Es gibt langjährige Beobachter in der Landeshauptstadt Potsdam, die den Niedergang auch als Folge verfehlter Personalpolitik werten. Vor allem, Antje Töpfer zur Co-Spitzenkandidatin zu machen – sie wurde erst Ende 2022 Staatssekretärin, war zuvor Referentin im Bundeslandwirtschaftsministerium und zwangsläufig kaum bekannt.
Eine mögliche Alternative war den Brandenburger Grünen vor eineinhalb Jahren verloren gegangen: Da trennten sich Partei und die Co-Landesvorsitzende Julia Schmidt, die einige beeindruckende Auftritte hingelegt hatte und manchem schon als mögliche Spitzenkandidatin galt. Als Grund gab der Landesvorstand in einer Erklärung „wiederholte Fälle untragbaren Fehlverhaltens“ an.
Unterm Strich bleibt: Für die 5 Prozent hat es nicht mehr gereicht und in nächster Zeit haben die Brandenburger Grünen erst mal ganz andere Probleme zu bewältigen. Sie verlieren nicht nur ihre Landtagsfraktion und ihre Regierungsbeteiligung, sondern verbunden damit auch Aufmerksamkeit, Personal und Geld. Immerhin, betonen sie am Wahlabend in der Schinkelhalle immer wieder: Sie hatten auch dieses Jahr wieder ein enormes Mitgliederwachstum und sind nun so viele wie nie zuvor. „Wir werden eine richtig starke außerparlamentarische Opposition machen, und zwar ab morgen“, ruft von der Bühne noch Co-Spitzenkandidat Benjamin Raschke, und ein letztes Mal gibt es etwas Jubel im Saal.
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