„Volt“ bei der Europawahl: Wenn Expatschnösel politisch werden
Es ist seltsam, dass plötzlich alle „Volt“ für eine wählbare Partei halten. Nichts könnte falscher sein, als diese Populisten zu unterstützen.
Z um Glück heißt diese Rubrik „starke Gefühle“ und nicht „schlaue Gedanken“, denn dieser Text wird sich vollkommen haltlos, oberflächlich, übertrieben, ungerecht und gemein an dieser Partei mit dem lächerlichen Automodellnamen „Volt“ abarbeiten, die bei den Europawahlen 2,6 Prozent der Stimmen bekommen hat und künftig drei Sitze im Europäischen Parlament haben wird. Vor allem geht es aber um die Frage, warum mir diese Partei so grundunsympathisch ist.
Klar – es gibt schlimmere, aber in dieser Beurteilung sind sich die vernünftigen Menschen ja auch weitestgehend einig.
Gegen „Volt“ allerdings scheint niemand so wirklich was zu haben.
Warum auch?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Nette junge Menschen sind das doch, die sich für „Europa“ einsetzen, dabei irgendwie auch „grün“ und „sozialliberal“ daherkommen und niemandem ernsthaft was Böses wollen. Und anscheinend können sie die sogenannten Jungwähler begeistern und gelten manchem bereits als das Bollwerk gegen die AfD im Wählerspektrum der 16- bis 24-Jährigen, von denen 9 Prozent „Volt“ gewählt haben.
Und es klingt ja auch alles ganz okay, was die Partei so fordert: ein vereintes Europa mit föderaler Demokratie, Umstieg auf Ökoenergie bis 2035 und bis 2040 soll die gesamte europäische Wirtschaft komplett klimaneutral sein.
Sie will außerdem die Seenotrettung legalisieren und einen Rechtsrahmen für Klima-Geflüchtete schaffen.
All diese Dinge gelten dem einen oder anderen politischen Beobachter als Beweis dafür, dass es sich bei „Volt“ um eine linke Partei handelt, aber meine Beobachtung ist das nicht.
Ich glaube, es handelt sich bei „Volt“ um eine Expats-Schnösel-Partei, die vor allem deshalb so für „Europa“ ist, damit man an den Ländergrenzen nicht mehr seinen Ausweis zeigen muss, sondern mit Papas Tesla durchbrausen kann, um pünktlich zur Semesterauftakt-Party nach Aix-en-Provence zu kommen.
Ja, ja, ich weiß – man darf nicht nur von den Namen der Vorstandsmitglieder ausgehen oder davon, was der eine oder andere im Leben vor dem politischen Engagement so getrieben hat. Aber ich hätte große Bauchscherzen, einen Mann zu wählen, der mit vollem Namen Damian Hieronymus Johannes Freiherr von Boeselager heißt und für die Unternehmensberatung McKinsey gearbeitet hat.
Und dann waren da noch diese Plakate, mit denen die Partei auf sich aufmerksam gemacht hat und die in einer seltsamen Neunziger-Jahre-Jungvonmatthaftigkeit mit flotten Werberzoten auftrumpften wie „Sei kein Arschloch“ oder „Für mehr Eis“ oder – Obacht! Revolutionssimulation! – „Power to the People“, einem Slogan also, der überhaupt nichts mit Europa, dafür aber sehr viel mit den USA zu tun hat, denn dort kam diese Forderung in den sechziger Jahren auf, skandiert von jungen Menschen, die gegen die Unterdrückung durch die Generation der Alten protestierten und gegen den Vietnamkrieg.
Man lehnt sich nicht allzu weit aus dem Fenster, wenn man behauptet, dass „Volt“ eventuell nicht so ganz in dieser Tradition steht.
Abgesehen davon wirken ihr Profil und ihre Forderungen wie ein Best-of aus den Profilen und Forderungen von Grünen, SPD und FDP, nur eben ohne dieses nervige Regierenmüssen und Kompromissefinden. Und so ist es auch kein Wunder, dass sie, wenn Jung- oder Erstwähler die Verdummungsmaschine Wahl-O-Mat ausfüllen, zuverlässig auf den vorderen Plätzen landet, denn das, was „Volt“ will, wollen doch eigentlich alle.
Und vielleicht ist es genau das, was mich so stört und wütend macht: dass es eine durch und durch populistische Partei ist, die mithilfe von Werbung aus der Mottenkiste aber so tut, als sei sie progressiv oder neu oder anders oder links.
„Volt“ ist ein Politik-Start-up von reichen Schnösel-Kids, die versuchen, die Leere in ihren Herzen mit Sinn und Inhalt zu füllen. Ist aber auch nur so ein Gefühl.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich