Verschwörungstheorien in Corona-Zeiten: Erichs Rache

Rechts wie links mutmaßen Verschwörungstheoretiker, „die Medien“ schürten für Regierungen „Corona-Hysterie“. Grundwissen in Naturwissenschaften hilft.

ein Polizist und ein Passant unterhalten sich azf einer Straße

Polizist und Passant im Gespräch in Madrids Innenstadt wegen der Corona-Quarantäne Foto: AP

BERLIN taz | So bescheuert die Hufeisen-Theorie auch ist – oder erinnert sich überhaupt noch jemand an diese Debatte vor einigen Äonen wegen eines jetzt vermutlich unter Quarantäne stehenden ostdeutschen Bundeslandes? –, in einem Punkt jedenfalls nähert sich die Hufeisen-Theorie der Realität doch an: Das verschwörungstheoretische Denken in rechten und linken Kreisen weist allerhand Parallelen auf.

„Corona-Hysterie“ oder „Corona-Panik“: Von rechts wie links wird gemutmaßt, dass diese von „den Medien“ geschürt werde, im Dienste von irgendwelchen sinisteren Gruppen da oben, Regierungen und Konzernen, die den autoritären Staat wollen. Als Vorübung für den Faschismus oder zur kapitalistischen Optimierung der Gesellschaft, mutmaßen die ganz kritischen Geister von links.

Von rechts klingt es ähnlich, nur dass noch irgendwas mit Umvolkung, Rothschild und Soros reinmuss. Wobei die Angst der Faschisten vor dem autoritären Staat natürlich etwas Komisches hat. Das Tempo, mit dem nicht für möglich gehaltene Einschränkungen gerade umgesetzt werden, ist für eine freie Gesellschaft schier atemberaubend.

Als sich Ähnliches vor gerade einmal zwei Monaten in China ereignete, schauten wir staunend und kopfschüttelnd zu und murmelten, dass so etwas hierzulande undenkbar sei. Nun sitzen wir seit diesem Wochenende ratlos in unseren Wohnungen, mit Reisebeschränkungen, die Erich Honecker Tränen der Rührung in die Augen getrieben hätten, und dürfen unseren Zorn über den verblüffenden Winkelzug des Kapitals, den Kapitalismus jetzt einfach stillzulegen, nicht mal mehr beim linksautonomen Stammtisch um die Ecke kundtun, weil die Kneipen halt auch alle dicht sind.

Demokratisches Virus

Dumm nur, dass in ihren Stuben immer noch diese lästigen Wissenschaftler herumsitzen, die einmal mehr darauf beharren, dass Viren sich ebenso wie CO2-Moleküle nicht an staatliche Gesetze, sondern ausschließlich an die der Natur halten. Und die besagen ganz schlicht: Eine Infektion erfolgt, wenn Mensch A mit dem Krankheitserreger von Mensch B in Kontakt kommt, und dass eine bestimmte Zahl der A-Menschen das am Ende nicht überlebt. Das ist keine Hysterie, sondern theoretisch gut verstanden und empirisch belegt, Covid-19 ist ja nicht die erste Pandemie.

Dumm nur, dass überall diese lästigen Wissenschaftler herumsitzen

Dabei ist das verursachende Virus Sars-CoV-2 ziemlich demokratisch: Es befällt bräsige Karnevalistinnen ebenso wie hippe Clubbesucher, Hollywood-Celebritys wie altersschwache Heimbewohnerinnen, faschistische Staatenlenker wie klerikalfaschistische Ajatollahs. Es wird auch nicht haltmachen vor den Aktivistinnen linker Stadtteilfeste oder Demonstranten gegen zu hohe Mietpreise.

So ist es letztlich mit dem Virus wie mit dem Klimawandel, der Biodiversitätskrise oder der Homöopathie: Die Natur, diese hyperautoritäre Überregierung, schert sich einen Dreck um die Debatten ihrer Geschöpfe mit den lustigen Theorien.

Natürlich ist es richtig, dass bei anderen Krankheiten oder beim Straßenverkehr ebenfalls hohe Opferzahlen in Kauf genommen wurden, ohne dass vergleichbar drastisch reagiert wurde. Es deswegen bei einer neuen Pandemie ebenso zu halten, ist kein gutes Argument.

Diesmal Mathe statt Marx

Zumal ganz offensichtlich bei manchem einfache Gesetzmäßigkeiten wie fehlender Herdenschutz und exponenzielles Wachstum nicht ganz verstanden werden. Wo der Mathe-Unterricht jetzt jenseits der Schulzimmer abgehalten werden muss, böte sich da für manche Hysterie-Hysteriker die Chance zum Nachbessern via Einklinken in Online-Lerneinheiten. Auch für soziale Fragen helfen manchmal Grundkenntnisse in Naturwissenschaften mehr als in marxistischer Theorie.

Dann käme man vielleicht zu der Erkenntnis, dass die aktuellen Maßnahmen – über deren Details natürlich gestritten werden kann – nicht der überbordenden Fantasie von Autoritätsfetischisten entspringen, sondern bereits ziemlich verspätet kommen, weil eine freiheitsgewöhnte Gesellschaft und auf Wahlerfolge fixierte Politik sich schwer damit taten, das umzusetzen, was wissenschaftlich längst geboten war. Schon das hatte einen Preis – der in zwei bis drei Wochen auf den Intensivstationen des Landes bezahlt wird.

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