Unterschriften gegen Aufrüstungspläne: Nieder mit der Hochrüstung
Zehntausende haben einen Appell gegen die Hochrüstungspläne unterschrieben. Der Krieg sollte nicht innenpolitisch instrumentalisiert werden.
Die Resonanz ist bemerkenswert: Mehrere Zehntausend haben bislang den Appell gegen die Hochrüstungspläne der Bundesregierung unterschrieben, den ein Kreis von rund 600 Menschen aus Wissenschaft, Politik, Kunst, Kultur und Gewerkschaften am vergangenen Dienstag veröffentlicht hat. Offenkundig gibt es etliche in diesem Land, deren Ohnmachtsgefühle angesichts von Putins Kriegsgräuel nicht zu kapitalen Fehlschlüssen führen.
Der Überfall Russlands verlangt zwingend Solidarität mit den Menschen in der Ukraine, die sich verzweifelt dem Aggressor widersetzen. Aber er rechtfertigt nicht das von Kanzler Olaf Scholz dekretierte 100-Milliarden-Euro-„Sondervermögen“ und seine Ankündigung, dauerhaft mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für das deutsche Militär auszugeben.
Statt im Hauruckverfahren die höchste Steigerung der deutschen Militärausgaben seit dem Zweiten Weltkrieg durchzupeitschen, fordern die Verfasser:innen des Appells eine „breite demokratische Diskussion über ein umfassendes Sicherheitskonzept, das die Sicherheit vor militärischen Angriffen genauso einschließt wie pandemische und ökologische Aspekte“. Das ist ein berechtigtes Anliegen. Und dazu gehört eine nüchterne Bestandsaufnahme.
Dass die Bundeswehr „kaputtgespart“ worden sei, ist ein weitverbreiteter Mythos. Was stimmt: Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Auflösung des Warschauer Paktes 1991 bedeutete das Ende der alten Blockkonfrontation, was eine grundlegende Umorientierung der Verteidigungspolitik in den europäischen Nato-Staaten zur Folge hatte. Das galt insbesondere für Deutschland, durch das einst die hochgerüstete Systemgrenze verlief.
Vor der Wiedervereinigung standen mehr als 495.000 Soldaten der Bundeswehr rund 180.000 Soldaten der Nationalen Volksarmee gegenüber. Daraus entstand eine gemeinsame Armee, die über mehrere Etappen auf aktuell knapp 184.000 Menschen systematisch verkleinert wurde. Das umfangreiche DDR-Kriegsgerätearsenal wurde verkauft oder verschenkt, etliches auch verschrottet oder eingelagert, wie jene Strela-Luftabwehrraketen, die jetzt an die Ukraine geliefert werden.
Seit Anfang der 90er Jahre steuerten die jeweiligen Bundesregierungen die Bundeswehr weg von der Landes- und Bündnisverteidigung hin zu Out-of-area-Einsätzen außerhalb des Nato-Gebiets. Die Umstellung von der Wehrpflichtigen- zu einer reinen Berufssoldat:innenarmee 2011 war eine späte Konsequenz daraus. Mit dieser Umorientierung verbunden war, dass mehr als ein Jahrzehnt die deutschen Militärausgaben sanken. „Friedensdividende“ nannte sich das – ein euphemistischer Begriff angesichts der deutschen Kriegsbeteiligungen 1999 in Ex-Jugoslawien und von 2001 an in Afghanistan.
Milliarden an Euro versickern Jahr für Jahr
Dass sich die Bundeswehr in keinem guten Zustand befindet, lässt sich jedoch mit der Reduzierung des Verteidigungsetats nicht befriedigend erklären. Denn zum einen bekam die Truppe auch in den „mageren“ Jahren immer noch viele Milliarden Euro, die für eine zufriedenstellende Grundausstattung beispielsweise an warmen Unterhosen mehr als ausgereicht hätten. Zum anderen aber gibt es schon längst eine ökonomische Trendwende, ausgelöst durch die russische Annexion der Krim und die von Putin initiierte Sezession der „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk von der Ukraine.
Seit dem Nato-Gipfel 2014 in Wales steigen die Militärausgaben der Bündnisstaaten wieder deutlich. In Deutschland wuchs der Verteidigungsetat kontinuierlich von 32,44 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf 46,9 Milliarden Euro im vergangenen Jahr an – wobei die tatsächlichen Militärausgaben noch höher waren, da sie sich auch noch in anderen Haushaltsposten verstecken. Wenn Verteidigungsministerin Christine Lambrecht am Mittwoch im Bundestag behauptet, „viel zu lange“ sei „gespart und gekürzt worden“, ist das schlicht unwahr.
Schon vor der jetzt angekündigten massiven Steigerung des Wehretats gab Deutschland mehr Geld für das Militär aus als die Atommacht Frankreich. Es ist absurd zu glauben, mit einer solchen Summe sei es nicht möglich, die Bundeswehr angemessen auszustatten. Das große Problem: Es ist der Normalfall, dass Rüstungsprojekte den ursprünglichen Plänen weit hinterherhinken, sich um das Zigfache verteuern und das schließlich gelieferte Material nur begrenzt einsatzfähig ist.
Was auch daran liegt, dass die beteiligten Waffenschmieden kaum oder gar nicht in Haftung genommen werden. Milliarden an Euro versickern so Jahr für Jahr. Warnungen des Bundesrechnungshofs werden regelmäßig in den Wind geschlagen. Ein Beschaffungsdesaster jagt das nächste. Was übrigens seit den Skandalen des Verteidigungsministers Franz Josef Strauß um den Schützenpanzer HS-30 und den Starfighter F-104 eine lange Tradition hat.
An diesem Missstand werden die zusätzlichen 100 Milliarden Euro ebenso wenig ändern wie die Ankündigung von Scholz, Deutschland werde „von nun an“ jährlich mehr als 2 Prozent des BIPs in die Verteidigung investieren. Beides orientiert sich nicht an einem realen Bedarf und beendet auch nicht das Missmanagement, sondern weckt nur zusätzliche Begehrlichkeiten, möglichst viel vom stark vergrößerten Kuchen abzubekommen.
Rheinmetall hat bereits ein 42 Milliarden Euro schweres Produktpaket angeboten, von Panzern bis zu Flugabwehrtürmen, was den Aktienkurs der Düsseldorfer Rüstungsschmiede beflügelt hat.
Kürzungen im sozialen Bereich sind möglich
Allerdings ist eine isolierte Diskussion über die Bundeswehr ohnehin wenig sinnvoll, denn Deutschland ist eben Teil der Nato. Und es besteht kein Zweifel daran, dass die Nato konventionell Russland, das jetzt schon große Probleme in der Ukraine hat, klar überlegen ist. Das würde selbst noch gelten, wenn man nur die militärischen Fähigkeiten der europäischen Nato-Mitglieder in Betracht zieht. Es besteht keine ernsthafte Gefahr, dass Putins Truppen über Polen nach Deutschland marschieren könnten.
Dieses Szenario ist noch aus einem anderen Grund kein realistisches: Damit würde Putin einen Atomkrieg riskieren. Dass auch die Ampelkoalition auf die Logik der atomaren Abschreckung setzt, hat sie gerade erst mit ihrer ersten großen Rüstungsentscheidung demonstriert: der Anschaffung von 35 F-35-Tarnkappenjets, die künftig anstelle der alten Tornados „die Aufgabe der nuklearen Teilhabe“ erfüllen sollen, wie es Lambrecht formuliert hat.
Der Krieg in der Ukraine ist furchtbar. Gerade deswegen aber darf er in Deutschland nicht innenpolitisch instrumentalisiert werden. „Die auf Jahrzehnte geplante Hochrüstung beendet das Sterben in der Ukraine nicht, macht unsere Welt nicht friedlicher und nicht sicherer“, heißt es in dem Appell.
Und zu Recht verweisen die Verfasser:innen auf die Folgen: Eine massive Steigerung der deutschen Militärausgaben in Kombination mit der Ankündigung der Bundesregierung, an der Schuldenbremse festzuhalten, berge „die Gefahr massiver Kürzungen im sozialen, im kulturellen, im öffentlichen Bereich“. Dieser Erfolg sollte Putin nicht gegönnt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär