Umweltbewusst reisen: Die Bahn, der Familienschreck
Aus Klimagründen soll Fliegen teurer werden – zu Recht. Davor muss die Bahn aber günstiger werden. Und vor allem menschenfreundlicher.
Irgendwo zwischen Frankfurt am Main und Mannheim, als ich das Buch mit dem Lütten das 38. Mal durchgeblättert hatte, wurde mir klar, dass das Science-Fiction ist. Denn in Wirklichkeit sind vor allem lange Bahnfahrten gar nicht menschenfreundlich. Schon gar nicht kinderfreundlich.
Dieses Kleinkindabteil aus dem Buch ist nicht weniger als ein Mythos, den sich Eltern auf Kindergeburtstagen erzählen. Ja doch, das gibt es wirklich, aber es handelt sich hier nur um ein – einzelnes – Abteil in einem ganzen ICE. Sechs Sitzplätze. Und die sind in der Regel acht Wochen im Voraus ausgebucht. Das Leben spielt nun ja aber nicht immer geplant.
Das Einzige, was Reisenden mit Kleinkind dann noch bleibt, ist, entsprechend zusammenliegende Sitze im Familienbereich zu ergattern. Das ist gegen jede Erwartung, aber auch nur ein stinknormaler ICE-Großraumwaggon, wo an der Wand eine entsprechende Banderole klebt. Wenn der auch voll ist, gibt es noch den Handybereich – und wenn der voll ist, kommt man in die Hölle, die sich Ruhebereich nennt.
Der Wickelraum ist immer am Ende des Zuges
Der Ruhebereich, wo das stundenlange Seufzen des Hintermanns klarmachen soll, dass das bei jedem vorbeiflitzenden ICE begeistert „Zug!“ rufende Kleinkind nicht alle so süß finden wie man selbst. Doch was ist die Alternative? Sollte man sich nun wirklich von der ganzen Reise abhalten lassen, weil der Typ hinter einem nicht mit Familien klarkommt? Oder einfach fliegen?
Egal in welchem Teil des Zuges man sitzt, der größte Sport aller Kleinkindeltern ist aber immer noch, den Kinderwagen irgendwo so zu verstauen, dass man ihn wiederfindet, er keinen Notausgang blockiert und nach Möglichkeit auch keinen ahnungslos vorbeilaufenden Menschen erschlägt. Wenn man das nicht so gut erledigt, kommt nämlich eine Schaffner_in und bittet freundlich darum, dass man das sperrige Ding in Luft auslösen soll – und was soll ich sagen, die Nerven liegen da meistens schon blank. Es wird dann unschön.
Während das alles für eine Familie mit zwei Elternteilen schon anstrengend ist, ist eine lange Bahnfahrt als Einzelperson mit Kleinkind wirklich ein Kraftakt. Wenn man zum 24. Mal den ICE rauf und runter läuft, weil dem Bewegungsdrang nachgegeben werden muss, wobei stets die Priorität ist, das rennende Kind vor einer Gehirnerschütterung zu bewahren.
Wenn man zum fünften Mal den einen Wickelraum aufsuchen muss, der immer am anderen Ende des Zuges liegt. Wenn man versucht, im Restaurant mit Kind an einem Tisch zu sitzen, der viel zu hoch ist. Oder man abwägt, ob weiterhin auf einen Kaffeewagen zu hoffen die Lösung ist, oder man es noch einmal wagt, mit Kind auf dem einen Arm und Kaffee in der anderen Hand durch den ganzen Zug taumelnd das Gleichgewicht zu halten.
Oder man, sofern ein Abteil ergattert wurde, stets inständig hofft, dass nicht zu viele Leute zusteigen, damit das Kind noch ein bisschen auf dem verdreckten Boden spielen kann – wo es in Wirklichkeit weniger spielt, weil Spielzeug sofort unter den Sitzbänken verschwindet, wo es dafür mehr eine endlose Menge an Essensresten und alten Keksen findet.
Die einzigen Menschen, die als Fahrgäste vielleicht noch schlechter gestellt sind als Menschen mit Kindern unter 14 (nach 14 wird es übrigens teurer), sind Menschen mit Hunden. Die zahlen nämlich ein Kinderticket von 6-14 Jahren für den Hund, kriegen dann aber nur einen Platz für den Menschen reserviert. Wenn der Hund nicht in eine Tasche passt oder ein besonderes Talent hat auf einer Pfote auf Frauchens Kopf zu balancieren, wird das schwierig.
Arme Klimaschweine ohne Auswahlmöglichkeit
Nun soll ja zu allen Unannehmlichkeiten, die es schon so gibt, neuerdings auch noch 2050 die Welt untergehen, weil wir seit vielen Jahrzehnten Klimaschweine sind, die den Planeten zugrunde gerichtet haben. Das heißt, wir sollten spätestens jetzt aufhören zu fliegen und die Bahn nehmen. Aber wie soll das gehen?
Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat schon nicht unrecht, wenn sie sagt, dass das Fliegen teurer werden muss. Denn oft kommt man für die Kosten einer einfachen ICE-Fahrt mit dem Flugzeug hin und zurück. Das steht in keinem Verhältnis zu dem Dreck, den man da produziert. Doch die Flugpreise sind einfach attraktiver.
Da hilft auch das Argument mit der Wartezeit am Flughafen nichts. Auch nicht der Einwurf, die öffentliche An- und Abreise zum Bahnhof koste ja mit dem Ticket der Bahn nichts. Der Mensch ist eben ein gar einfaches Geschöpf. Und leider ist der Mensch immer öfter auch noch arm. Während sich gutbetuchte Menschen vielleicht aussuchen können, ob sie aus Klimagründen Bahn, Flieger, SUV oder doch den Zweimaster nehmen, ist das für ein mittleres Einkommen und Geringverdiener sicher nicht die drängendste Frage.
Verkehrs-Scheuers einzig gute Idee
Der Grünen-Politiker Dieter Janecek machte letztens im Münchner Merkur den gar nicht so schlechten Vorschlag, dass jede Bürgerin und jeder Bürger drei Flugreisen (hin und zurück) pro Jahr bekommen könne, mit denen er dann auch handeln könne. Inspirieren ließ er sich da vom Mobilitätsforscher Andreas Knie. Das mag nicht aller Probleme Lösung sein, aber dass wir weniger fliegen sollten, ist ja durchaus Konsens.
Dass es gar nicht erst richtig dazu kam, den Gedanken differenziert zu betrachten, lag wohl auch daran, dass sofort ein verbal faustschwingender Christian-„Wir arbeiten alle so lang für den Staat“-Lindner um die Ecke bog und das böse V-Wort benutzte. Das Letzte, was die Grünen auf ihrer Welle gerade brauchen können, ist, als „Verbotspartei“ zu gelten.
Die einzige ansatzweise gute Idee, die Verkehrsminister Andreas Scheuer in seiner politischen Karriere bisher hatte, ist, dass die Bahntickets günstiger werden müssen. Die Bahn solle die Fahrkartenpreise auf bestimmten Strecken senken, sagte er der Bild, und schon im April hat er angekündigt, dass er die Mehrwertsteuer auf Bahntickets von 19 auf 7 Prozent senken möchte. Vor der Verursachung von Flugscham warnte er allerdings.
Aber wenn wir ehrlich sind, ist Fliegen doch auch ohne Scham ziemlich scheiße. Klar, für Kinder ist das spannend, aber es hat doch niemand langfristig Spaß daran, 10.000 Meter über dem Boden in einer Sardinenbüchse festgeschnallt zu sein und sich vorher und nachher die Füße platt zu stehen. Menschen mit Fernbeziehung oder Leute, die beruflich fliegen müssen, haben oft keine andere Wahl. Aber alle anderen sollten sie haben.
Große Chance für die Bahn
Während also alle darüber reden, wie man das Fliegen unterbindet, kann das nicht der einzige Ansatz sein. Das Bahnfahren muss dringend attraktiver werden. Es ist ein großes Rätsel, dass die Deutsche Bahn offenbar aber gar nicht in der Lage ist, auf die aktuellen Entwicklungen zu reagieren. Dabei ist das doch die Gelegenheit: Es gibt eine junge, hartnäckige Bewegung für den Klimaschutz, die Grünen werden stärker, die Leute kapieren langsam, dass sie etwas tun müssen.
Jetzt muss die Deutsche Bahn etwas tun. Wieso gibt es keine Kinderwaggons, keinen Hundewaggon, kein Restaurant mit Hochstühlen, keine Abteile mit Mülleimern, die größer sind als eine Handtasche, keine Wickeltische, keine großen Gepäckablagen für Kinderwägen, keine Schlafabteile, in denen man mal nicht nur sitzend gegen eine Scheibe sabbernd etwas Kraft sammeln kann, keine Schließfächer für seine Wertsachen im ICE? Und wieso ist das Bahnfahren eigentlich so verdammt teuer?
Es ist alles komplizierter, als es scheint, schon klar. Ziemlich einfach wäre es aber einfach mal, die Sitze aus den Ersten Klasse zu reißen und Platz zu machen für die Menschen, die den Platz brauchen. Diese Zweiklassensache ist so 90er Jahre.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen