Umweltaktivistin über ihre Selbstanzeige: „Wir fordern ein Essen-retten-Gesetz“
Umweltaktivistin Melanie Guttmann geht containern und hat sich deswegen selbst angezeigt. Am Samstag wollen es ihr andere nachtun.
taz: Frau Guttmann, Sie haben sich am 8. Januar bei der Polizei selbst angezeigt, weil Sie Essen aus einem Müllcontainer entnommen haben. Das ist strafbar. Es gibt auch ein Video von Ihrer Selbstanzeige. Warum haben Sie das gemacht?
Melanie Guttmann: Lebensmittel werden in Deutschland immer teurer, die Menschen durch Pandemie und Inflation immer ärmer. 1,6 Millionen Menschen sind darauf angewiesen, sich Essen bei der Tafel abzuholen. Auf der anderen Seite werden in Deutschland 18 Millionen Tonnen Lebensmittel jährlich weggeworfen, vieles davon noch genießbar. Das Wegwerfen all dieser Lebensmittel ist legal. Das Ziel der Aktion war, auf diese Absurdität hinzuweisen: Es werden sehr viele Lebensmittel weggeworfen, die dringend benötigt werden.
Und warum das Mittel der Selbstanzeige?
Es gibt auch viele andere Möglichkeiten, auf das Thema aufmerksam zu machen. Doch die Selbstanzeige zeigt auf, wie absurd es ist, dass das Retten von Lebensmitteln aus dem Müll illegal ist. Es verursacht keinen Schaden. Das wollte ich durch das bewusste Brechen des Gesetzes und die Selbstanzeige aufzeigen.
Wie hat die Polizei reagiert?
Zunächst verwundert und belustigt. Es kommt anscheinend nicht häufig vor, dass sich Menschen selbst anzeigen, vor allem wegen so einer Sache. Die Polizist*innen vor Ort haben klargestellt, dass egal was sie moralisch davon halten, sie verpflichtet sind, diese Anzeige aufzunehmen.
Und dann?
Ich habe einen Brief bekommen, dass ich wegen Diebstahls angezeigt bin. Das ist in Deutschland eine Straftat. In dem Brief steht auch, dass die Schadenshöhe 0 Euro beträgt. Trotzdem wurde das Verfahren eröffnet und ich wurde gebeten, mich dazu zu äußern.
Wie wollen Sie reagieren?
Ich werde sagen, dass ich es absurd finde, dass das Retten von Lebensmitteln verboten ist. Doch werde ich mich dem Verfahren stellen und abwarten, was für eine Strafe mich erwartet.
Mit welchen Konsequenzen rechnen Sie?
Ich rechne mit Sozialstunden oder einer Geldstrafe. Es ist schon ein mulmiges Gefühl, dass mir eine Straftat vorgeworfen wird. Ich bin aber überzeugt, dass das, was ich tue, moralisch richtig ist. Die Angst vor den Repressionen ist kleiner als die Angst davor, dass wir nicht lernen, mit Lebensmitteln ordentlich umzugehen und dementsprechende Gesetze haben.
26 Jahre alt, ist Teil der Umweltaktivist*innen von „Letzte Generation“. Die Gruppe wurde durch den Hungerstreik für Klimagerechtigkeit vor den Bundestagswahlen 2021 bekannt
Warum ist Containern überhaupt verboten?
Der Inhalt der Mülltonnen, solange diese bei den Supermärkten stehen, gilt als deren Besitz. Selbst wenn offensichtlich ist, dass sie sich des Inhalts entledigen wollten. Es gab mehrere Versuche, Containern zu legalisieren. Diese sind aber gescheitert. In Frankreich gibt es ein Gesetz, das Supermärkte verpflichtet, solche Lebensmittel zu spenden oder den Menschen umsonst zur Verfügung zu stellen. Das ist der Punkt, an dem wir ansetzen müssen.
Das Gesetz in Frankreich beantwortet also die Frage, wie man es besser machen kann?
Genau. Als Gruppe „Letzte Generation“ fordern wir, ein Essen-retten-Gesetz einzuführen. Es gibt bereits einen Gesetzentwurf von „GermanZero“. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag geschrieben, dass sie etwas gegen Lebensmittelverschwendung tun möchte. Wir fordern, dass das zeitnah und konsequent geschieht.
Auch dieses Wochenende soll es wieder Selbstanzeigen geben. Dafür mobilisiert die Gruppe „Letzte Generation“. Weitere Menschen folgten dem Aufruf bereits, auch der Jesuitenpater Jörg Alt hat sich selbst angezeigt. Wollt ihr die Selbstanzeige zum Massenphänomen machen?
Die Selbstanzeige beim Containern ist ein Vorspiel. Es erzeugt Aufmerksamkeit. Die Gruppe will Ende des Monats in den Aufstand der letzten Generation starten. Dafür sind Autobahnblockaden in ganz Deutschland angekündigt. Das geschieht, weil das Mittel der Selbstanzeige bisher nicht ausreicht, um genügend politischen Druck für Veränderung zu erzeugen.
Was planen Sie konkret?
Ungefähr 30 bis 50 Menschen werden immer wieder Autobahnen blockieren. Wir fordern von der Bundesregierung, dass ein Essen-retten-Gesetz umgesetzt wird. Sobald die Regierung das Versprechen gibt, dass es dieses Gesetz geben wird, hören die Aktionen auf.
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