Über Politik und Protest: Passt diese Zeit noch zu uns?

Alle wollen das Klima retten – und verschwenden dabei viel Energie. Hier Protestfolklore, dort grüne Realpolitik. Und dazwischen: eine Menge Zank.

Eine Person häl am Hermannplatz bei einem Protest von Fridays For Future und weiteren Initiativen gegen die Räumung des Dorfes Lützerath ein gelbes Kreuz des Widerstands.

Gegen die Räumung von Lützerath ein gelbes Kreuz des Widerstands Foto: Christoph Soeder/dpa

Wenn Grüne über die aktuellen Klimapolitik-Proteste sprechen, dann sagen sie: Ja gut, man habe das gleiche Ziel, nur eben unterschiedliche Rollen. Es wird gern so getan, als seien die Partei und die Klimabewegung letztlich zwei Flügel einer gemeinsamen Sache. Mit Flügeln kennen die Grünen sich aus, vergessen aber gern, dass die interne Hü-hott-Flügelei die Partei mitnichten zum Fliegen gebracht, sondern dafür gesorgt hat, dass sie im Bund bis 2018 nicht richtig abheben konnte.

Wollte man in dem traditionell etwas pietistischen Duktus der Grünen sprechen, dann bestünde die „Sünde“ nicht darin, dass sie nun in der fossilen Realität eine politische und gesellschaftliche Transformationstechnik suchen, sondern darin, dass sie sechzehn Oppositionsjahre lang besserwissend zusahen, wie Union und SPD die Energiewende einfach ausgesessen haben. Oder – was heißt eigentlich „ausgesessen“: Die Ex-Volksparteien haben die Energiewende schlichtweg boykottiert und damit auch das Paris-Abkommen.

Union und SPD fehlt das Transformationstalent

Dafür hatten sie ihre Gründe. Christ- und Sozialdemokraten haben so eine Transformation technisch und kulturell nicht drauf, es passt nicht zu ihnen, und deshalb passen sie eben nicht mehr zur Notwendigkeit der Zeit. Jedenfalls nicht in führender Position.

Aber vielleicht passt diese Zeit ja auch nicht zu uns? Weil uns Heutigen das Heute immer wichtiger ist als das Morgen, weil wir alle auf billig stehen (müssen), weil wir letztlich diese Transformation nicht wollen, auch wenn wir das Gegenteil behaupten. Jedenfalls nicht, wenn es ernst wird.

Ohne Unterstützung durch die breite Mehrheit geht in einer Demokratie so gut wie nichts

Vielleicht ist es ausnahmsweise nötig, sich ehrlich zu machen und sich selbst zu fragen: Will ich wirklich ernsthafte Klimapolitik, welche konkreten Vor- und Nachteile habe ich davon und nehme ich in Kauf? Und was tue ich dafür, außer immer noch die Grünen als Verräter an den „Idealen“ eines „Schöner wär’s, wenn’s schöner wär“ auszuschimpfen?

Dass Leute sich neuerdings auf Straßen kleben, um den Alltag zu stören, in dem wir nun mal leben, aber auch eingelullt sind, das ist Öffentlichkeitserzeugung für das Problem – und zwar eine, die ganz offenbar funktioniert. Genauso wie wenn andere in Lützerath mit traditioneller Protestfolklore darauf hinweisen, dass Kohleverbrennung schleunigst aufhören muss.

Milieukonflikte bringen nichts

Was aber nicht mehr funktioniert: das Problem zur Begeisterung aller Energiewende-Verhinderer auf einen milieuinternen Konflikt zwischen „Aktivisten“ und Grünen zu reduzieren und Letzteren von der Seitenlinie fehlende Moral zu diagnostizieren.

It’s the Mehrheit, Leute. So funktioniert liberale Demokratie.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Wir haben eine 14-Prozent-Partei im Zentrum der Regierung, die explizit für neue Wirtschafts- und Klimapolitik gewählt wurde, aber zwei Koalitionspartner, die sie bremsen, plus eine Opposition, die in Sachen Wirtschaftstransformation bisher ein Komplettausfall ist. Und deshalb ist der einzige Weg eben nicht die Wiederverengung, sondern die Weiterverbreiterung des Neuen in der Gesellschaft.

Die Grünen und die Klimabewegung sind eben nicht mehr zwei Flügel eines Gemeinsamen – wie der Publizist Udo Knapp als Erster ausgeführt hat. Die Bewegung fordert das Maximale, das ist ihr Job. Die Partei regiert, um möglichst viel möglich zu machen. Sie kann das aber nicht in Vertretung eines linken Ökomilieus schaffen. Sie muss es im Namen unserer Wirtschaft und einer Mehrheit aus diversen Schichten, Milieus und Gruppen der Gesellschaft hinkriegen, über Märkte, Produktion und so weiter.

Deshalb brauchen wir nicht nur eine spitze und laute Protestbewegung. Wir brauchen eine breite und konstruktive Volksbewegung.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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