Trotz des Treffens mit Rechtsextremisten: Zweifel an Machbarkeit von AfD-Verbot
Nach den „Correctiv“-Enthüllungen wird der Ruf nach dem Verbot der Partei lauter. Menschen gehen dafür auf die Straße. Juristen sehen nur geringe Erfolgsaussichten.
Das Recherche-Netzwerk „Correctiv“ hatte über ein Treffen von hochrangigen AfD-Politikern, Neonazis und spendenwilligen Unternehmern Ende November berichtet. Dem Bericht zufolge wurde dort ein Plan zur Vertreibung von Millionen Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland vorgestellt und von den Teilnehmern unterstützt. Die Enthüllung befeuert erneut die Debatte über einen Antrag für ein Verbot der AfD, den Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung stellen müssten.
Laut Lübbe-Wolff müssen die Äußerungen bei dem Treffen, bei denen zum Teil noch strittig ist, ob und wie sie gefallen sind, jedenfalls den Verfassungsschutz interessieren. Pläne einer „Remigration“, für die Bürger nach ihrer Herkunft sortiert werden sollen, seien eindeutig verfassungsfeindlich.
Aus der Beunruhigung, die solche „Remigrationsfantasien“ auslösten, entstehe ein politischer Handlungsdruck. Mit Blick auf ein AfD-Verbot handle es sich bei den Enthüllungen aber nur „um einen wichtigen Mosaikstein“. Für ein Verbot der Partei komme es darauf an, wie viel Unterstützung solche Positionen in der Partei und unter ihren Anhängern finden. Weil es so schwierig sei, für eine Partei als Ganzes festzustellen, ob sie die freiheitliche Demokratie gefährdet, hält Lübbe-Wolff Verfahren der Grundrechtsverwirkung gegen einzelne Akteure für wirksamer. Das sei nach dem Grundgesetz möglich.
Lübbe-Wolff zufolge lasse sich verfassungsfeindliches Verhalten einzelner Politiker, wie etwa des Thüringer AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke, viel leichter nachweisen. „Einzelne Personen aus dem Spiel zu nehmen, indem ihnen in einem Verfahren der Grundrechtsverwirkung die Wählbarkeit entzogen und politische Betätigung untersagt wird“, würde nach Meinung von Lübbe-Wolff auch „deutlicher machen als ein Parteiverbot, dass es wirklich um den Schutz der Verfassung und nicht darum geht, politische Konkurrenz grundsätzlich auszubooten“.
Steinmeier zurückhaltend zu Verbotsverfahren gegen AfD
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich zurückhaltend zu einem Verbotsverfahren gegen die AfD geäußert. „Ich kann die Erfolgsaussichten nicht beurteilen – ein Verfahren würde vermutlich sehr lange dauern“, sagte Steinmeier der Süddeutschen Zeitung vom Samstag. Er rate deshalb „dazu, dass wir uns auf das konzentrieren, was unmittelbar in diesem Jahr möglich und notwendig ist: Wir sollten die besseren Antworten geben, wir sollten demokratische Mehrheiten organisieren und diese stärken.“
Auf die Frage, ob die Demokratie in Gefahr sei, wenn die AfD Landtagswahlen im September in Ostdeutschland gewinne, sagte der Bundespräsident, er hoffe, „dass jeder, der wählt, das nicht nur in einer Stimmung von Wut oder Frust tut – sondern auch im Bewusstsein über die Folgen“.
Die gerade veröffentlichten Recherchen zu dem Treffen rechtsextremer Aktivisten in Potsdam würden zeigen, dass Politik und Gesellschaft „sehr wachsam“ sein müssten, betonte Steinmeier.
„Wenn wir in die Geschichte zurückschauen, stellen wir fest: Extremisten waren immer das Unglück unseres Landes“, sagte Steinmeier. „Die Demokratie ist nicht vom Himmel gefallen, die Demokratie ist nie auf Ewigkeit garantiert – sie lebt nicht nur vom Grundgesetz, sondern auch vom Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger.“
Er sei „deshalb erschüttert über die Beschimpfungen und die tätlichen Angriffe, die es sogar schon auf der kommunalen Ebene gibt“, sagte der Bundespräsident. „Wenn sich deshalb Verantwortungsträger zurückziehen oder sich Menschen erst gar nicht entschließen, Verantwortung zu übernehmen, dann trocknet die Demokratie von unten aus.“
Der Respekt vor demokratischen Institutionen und ihren Repräsentanten schwinde, beklagte der Bundespräsident. „Immer mehr Menschen nehmen ihr eigenes Interesse für das Ganze und leiten daraus das Recht ab, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.“ Dabei denke er „nicht nur an den Umgang mit Vizekanzler Robert Habeck, der am Fähranleger in Schlüttsiel von Demonstranten bedrängt wurde, sondern auch an manche Aktivisten der Letzten Generation“.
Hans-Jürgen Papier rät von AfD-Verbotsverfahren ab
Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hält einen Verbotsantrag gegen die AfD derzeit für falsch. „Das würde der AfD nur in die Hände spielen“, sagte er dem in Berlin erscheinenden Tagesspiegel. Der Grundgesetzartikel, der das Parteiverbot regelt, setze hohe Hürden.
Für ein Parteiverbot müssten die grundlegenden Prinzipien des Rechtsstaates und der Demokratie angegriffen werden, und zwar in einer aggressiv-kämpferischen Art, etwa in Form eines mehr oder weniger gewaltsamen Umsturzes, erläuterte Papier. Zudem müsste die Partei von ihrem Gewicht her in der Lage sein, die grundlegende Werteentscheidung der Verfassung zu beseitigen.
Auch wenn die AfD nach Einschätzung Papiers im Gegensatz zur NPD dieses Gewicht hätte, sieht er einen Verbotsantrag kritisch. Man sollte ihn nur dann stellen, „wenn man hinreichende Informationen hat, um alle die genannten Punkte wirklich zu belegen und man mit großer Wahrscheinlichkeit von einem Erfolg ausgehen kann“, sagte der Staatsrechtler.
Statt eines Verbotsverfahrens sieht Papier die gemäßigten Volksparteien der demokratischen Mitte in der Pflicht. Sie müssten Wähler zurückgewinnen. „Die AfD hat Anhänger aus dem rechtsextremen Spektrum, aber viele ihrer Wähler sind keine Rechtsextremisten“, gab der Jurist zu bedenken. Sie hätten ihre politische Heimat verloren und früher etwa Union gewählt oder sogar die Linke. „Die schleichende Erosion unserer Demokratie beruht auf dem eklatanten Versagen der Volksparteien als Mittler zwischen Bürgerschaft und politischer Führung“, sagte Papier.
CDU-Ministerpräsident Günther für AfD-Verbotsverfahren
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sieht in der AfD eine Gefahr für die Demokratie und plädiert für ein Verbotsverfahren. Die Partei werde „in drei Bundesländern als gesichert rechtsextrem eingestuft“, sagte Günther der Welt am Sonntag. In zwei dieser Länder habe sie bei den Landtagswahlen im Herbst gute Aussichten, stärkste Kraft zu werden. Hier müsse „eine wehrhafte Demokratie die Instrumente, die ihr zu ihrem eigenen Schutz zur Verfügung stehen, auch nutzen“, forderte Günther.
Ein solches Verfahren müsse aber „sehr gut vorbereitet werden“, da es am Ende auch erfolgreich sein müsse, sagte Günther. Er verstehe deshalb, dass zum Beispiel CDU-Parteichef Friedrich Merz dem Versuch, die AfD zu verbieten, mit Skepsis begegne. „Ein Parteiverbot ist ein scharfes Schwert, mit dem man nicht leichtfertig hantieren soll“, sagte Günther. „Dennoch komme ich angesichts der Gefahr, die von der AfD ganz offenkundig ausgeht, zu einem anderen Schluss.“
Die AfD sei „schlicht eine echte Bedrohung für unsere Demokratie“, betonte der CDU-Politiker. „Weggucken und achselzuckend zur Kenntnis nehmen, dass so viele Menschen sich einer solchen Partei zuwenden, ist für eine Demokratin oder einen Demokraten nicht akzeptabel.“
Verein Deutsche Sprache berät über Konsequenzen
Der Verein Deutsche Sprache (VDS) will kommende Woche über den Ausschluss eines Vorstandsmitglieds befinden, das an dem Potsdamer Treffen radikal rechter Aktivisten teilgenommen haben soll. Der Vorsitzende Walter Krämer teilte der Deutschen Presse-Agentur am Samstag auf Anfrage mit: „Wir haben nächste Woche eine Vorstandssitzung, wo auch über den Ausschlussantrag entschieden wird.“ Er bestätigte außerdem, dass der Philosoph Peter Sloterdijk den Verein verlassen hat. Zuvor hatte ein Redakteur des Deutschlandfunks Sloterdijks Kündigungsschreiben auf der Plattform X verbreitet.
Der Verein widmet sich der Bewahrung der deutschen Sprache in ihrer alterhergebrachten Form und wendet sich dabei besonders gegen die übermäßige Verwendung von Anglizismen und gegen das Gendern. Er hatte sich bereits nach Bekanntwerden des Potsdamer Treffens durch eine Correctiv-Recherche in einer Stellungnahme vom Mittwoch „von den privaten Tätigkeiten seines Vorstandsmitglieds“ distanziert. „Insbesondere war die aktuell kritisierte Aktion von Silke Schröder weder mit dem VDS abgesprochen noch gar von diesem initiiert oder autorisiert.“ Weiter hieß es: „Der VDS unterstützt keine Aktionen, die nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind und lehnt Diskriminierungen jeder Form ab.“
Dem Kabarettisten und Berliner Theaterintendanten Dieter Hallervorden, der dem Verein angehört, war das nicht genug. Nach den Berichten über das Potsdamer Treffen sagte er dem Deutschlandfunk: „Ich bin entsetzt. Und die Frau muss diesen Verein schnellstens verlassen.“
Demonstranten vor Kanzleramt fordern AfD-Verbotsverfahren
Vor dem Bundeskanzleramt in Berlin haben Demonstranten am Freitagabend die Prüfung eines AfD-Verbots gefordert. Nach Angaben der Polizei lag die Teilnehmerzahl im „unteren dreistelligen“ Bereich. Die Veranstalter teilten mit, sie forderten von der Bundesregierung, von Bundestag und Bundesrat, die Prüfung eines Verbots der AfD zu veranlassen.
Auch Klimaaktivistin Luisa Neubauer war bei der Demonstration dabei. Auf Transparenten war unter anderem „Demokratie in Gefahr“ und „Nie wieder“ zu lesen.
Veranstalter der Demo am Kanzleramt ist nach eigenen Angaben eine Gruppe demokratischer Bürger aus der Zivilgesellschaft, die sich nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche spontan über die sozialen Medien kennengelernt hätten.
Bisher ist die AfD in drei ostdeutschen Länder vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. Für ein Verbot muss ihr aber nachgewiesen werden, dass sie aggressiv-kämpferisch gegen die demokratische Grundordnung vorgeht, also einen Umsturz anstrebt. Einen Verbotsantrag können Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat stellen. Darüber entscheiden würde das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld