Tod von Queen Elizabeth II.: Beraubt, gedemütigt, gelyncht
Nach dem Tod von Queen Elizabeth II. gab es auch Menschen, die nicht trauerten. Ja, es gab sogar solche, denen ihr Tod ein Trost war.
I m unbemerkt herangekrochenen September trug es sich zu, dass die Fahnen im Königreich auf Halbmast wehten und die Menschen in eine schwere Trauer verfielen, denn die Königin war tot. Es war kein überraschendes Ende, sie hatte lange gelebt, so wie es ihr gewünscht worden war, sie hatte Kriege und Krisen überdauert und vermutlich häufiger von Balkonen gewinkt als irgendwer sonst.
Eine Monarchin als Konstante, das hatte den Menschen gut getan, eine, die blieb, während sich alles andere veränderte. Man habe sie geliebt. Ihr Ableben sei das Ende einer Ära. Und so wuchsen Schnittblumenmeere und so leuchtete ihre Landesflagge von vielen Wahrzeichen der Welt in die blaue Nacht hinein, trotz Energieknappheit und Spargebot, denn der Respekt vor ihrer Majestät verlangte nach Symbolik.
Jedoch trug es sich auch zu, dass über die Sache ebenjenes Respekts ein Konflikt ausbrach, weshalb das öffentliche Trauerspiel nicht frei von Störung blieb. Denn es gab auch Menschen, die trauerten nicht um die Königin – es gab sogar solche, denen ihr Tod Trost war. Diese Menschen verwiesen auf furchtbare Verbrechen, die während der Regentschaft der Königin und im Namen ihrer Krone verübt wurden, sie erzählten von ihren Eltern und Großeltern, die von der Monarchie beraubt, gedemütigt, gelyncht worden waren. Die Königin war dazu stets still geblieben. Sie konnte nichts tun, sagten ihre Verteidiger. Ihr war nur der Preis zu hoch, sagten ihre Kritiker.
Für ihre Geschichten war, wie so oft, kaum Platz im Trauertheater vorgesehen, und wenn doch, dann erst später, wenn eine unbefleckte Erzählung Ihrer Majestät bereits für die Geschichtsschreibung konserviert und weggeschlossen sein würde. Man müsse respektvoll an die Tote erinnern, hieß es immer wieder, und damit war gemeint, dass nichts Schlechtes über die Königin kundgetan werden sollte. Dass es respektvoll sein könnte, eine möglichst vollständige Geschichte zu erzählen, kam ihnen nicht in den Sinn. Dass Respekt nur glaubhaft fordern kann, wer ihn nicht längst verloren hat, auch nicht.
Ruf nach Pluralität
Sie trödelten, die Opfer der Monarchie zu verteidigen, aber sie eilten zur Rettung der Königin. Sie waren gewohnt, die mächtigsten Geschichtenerzähler zu sein, der Ruf nach Pluralität gefiel ihnen nicht. Seit Jahren geriet ins Wanken, was ihnen teuer war: Leben ohne Reue und Sprechen ohne Widerspruch. Und so erzählten sie sich weiter, dass sie das Bild der Königin beschützten, obwohl es ihnen längst dämmern konnte, dass es vielmehr ihr Selbstbild war, um dessen Unversehrtheit sie fürchteten.
„So nicht“, tönte es durch alle Lande, „und wenn doch, dann wann anders, jedenfalls nicht jetzt, wo gerade eine Ära zu Ende geht!“ Doch diesen Worten schallte nur Lachen entgegen. Die Königin war tot, der König bestieg den Thron und erbte nicht nur ein Amt, sondern auch ein steuerfreies Vermögen. Das allein war noch kein Ende einer Ära.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen