These zu Männlichkeit: Keine Härte, sondern Verantwortung
Nicht nur Putin, auch Männer hierzulande propagieren die Vorstellung des harten Mannes. Doch männlich sein bedeutet, Verantwortung zu übernehmen.
E s gibt derzeit so eine Lust unter deutschen Männern, andere deutsche Männer abzuhärten. Der „große Kulturwissenschaftler Helmut Lethen“, so kündigte die Welt ein Interview mit ihm an, redete am Mittwoch mit der Zeitung darüber, ob sich die „Deutschen ihren Pazifismus abgewöhnen“ ließen. Knapp zwei Wochen vorher schrieb ein Kollege im Spiegel unter der Überschrift „Zu weich für die neue Wirklichkeit“ über mit gepunkteten Socken gekleidete Großstadtmänner. Die ahnten, so der Autor, „dass es Momente gibt, in denen man gern weniger Kultur und mehr Natur wäre, weniger domestiziert, dafür instinktiver, ursprünglicher“.
Anlass für den Wunsch nach maskuliner Stählung ist natürlich der Ukrainekrieg und im Falle des Kollegen im Spiegel auch sein neues Buch, das laut Titel die „Verteidigung eines Auslaufmodells“ ist, also des härteren Mannes. Solche Texte gehören zum Buchgeschäft, auch ich rede auf Lesungen derzeit viel über Männlichkeit in Ost und West und versuche, einem vermuteten Publikumsinteresse nachzukommen.
Über das Geschäftliche hinaus sind beide Texte aber deshalb interessant, weil sie sich als Versuche lesen lassen, Antworten auf eine tatsächlich formulierte Herausforderung zu finden. Eine der Erzählungen, die Wladimir Putin und seine Berater, Deuter und Speichellecker zu einer politischen Waffe gemacht haben, ist nun einmal die vom harten Ostmann, der dem reichen, gierigen, verweichlichten, quasi zur Frau gewordenen und/oder schwulen Westmann jetzt mal zeigen müsse, wo der Hammer hängt.
Der in Russland gern und oft verwendete Begriff „Gayropa“ ist dafür ebenso ein Ausdruck wie die Predigt des Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche Kyrill, die er vor einem Monat in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale gehalten hat. Kyrill, ein Verbündeter Putins, verkündete, „Schwulenparaden“ abzuhalten und zu ertragen sei eine „einfache und entsetzliche Loyalitätsprüfung“, die der Westen abhalte, um zu sehen, ob Länder des Ostens dazugehören könnten oder nicht. Und im Donbass wolle man eben keine solchen Paraden, weshalb nun Krieg geführt werden müsse.
Die Projektion von Putin als Statthalter echter Männlichkeit hat unter deutschen Rechtsextremen und Impfgegner:innen viele Anhänger:innen; in Ostdeutschland lassen sich alte Erzählungen von westlicher Verweichlichung und Dekadenz und östlicher Härte in Äußerungen von Institutionen der DDR ebenso finden wie im Cliquengespräch von der angeblich nicht so trinkfesten „Wessi-Leber“. Aus solchen über die Jahre wiederholten und erlernten Behauptungen lassen sich, ähnlich wie in Russland, Waffen machen.
Der AfD-Politiker Björn Höcke, der von sich selbst gern so redet, als wäre er Ostdeutscher, hat das Programm der Remaskulinisierung im November 2015 in Erfurt so formuliert: „Denn nur wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft! Und nur, wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft.“
Die angebliche Verweichlichung
Billiges Manöver, oder? Den Wunsch nach deutscher Wehrhaftigkeit mit der Nazi-Keule wegzubügeln? Nun ja, erstens lesen Sie die taz, was erwarten Sie also. Und zweitens gibt es da schon gewisse Ähnlichkeiten in der Argumentation, die sich niemand ausdenken muss. Drittens aber zeigt ein Blick ins Praktische, dass ihre angebliche Verweichlichung weder ukrainische Großstadthipster noch die LGBTIQ-Szene davon abgehalten hat, Kyjiw und andere Städte zu verteidigen, als bewaffnete Kämpfer:innen und als Versorger:innen an den Frontlinien.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Vielen von ihnen geht es weniger um ukrainischen Nationalismus, sondern vielmehr um das Abwehren der „Russki Mir“, der russischen Welt, einer ideologischen Konstruktion und zumindest teilweisen innerrussischen Wirklichkeit, in der man, wenn man nicht sehr reich ist, um des Überlebens willen stahlhart sein muss und Dekadenz, sprich Abweichung und Weichheit, entsprechend lebensgefährlich sind.
Diesen Raum aus Projektion und tatsächlichen Verhältnissen wollen die Anhänger:innen des Putinismus mit finanzieller, politischer, medialer und militärischer Macht so weit nach Westen ausdehnen wie möglich. Man kann sich entscheiden, inwieweit man sich und andere glauben macht, diese Wirklichkeit im Sinne Putins mitkonstruieren zu müssen. Anders gesagt: Wenn Putin das angeblich Weiche und die Abweichung bekämpfen will, warum sollten „wir“ ihm dabei helfen?
Worüber „wir“ stattdessen reden könnten, wäre Verantwortung, auch eine mal als männlich verstandene Tugend – wem so etwas wichtig ist, der könnte sich also auch hier wiederfinden. Über Verantwortung sollten wir reden, weil sie solchen Härte-Regimen wie dem im Moskau wesensfremd ist. Das Zugeben von Fehlverhalten und entsprechende Konsequenzen würden die Machthaber in der Logik solcher Regime schwach aussehen lassen. Verantwortung wird dort bei Bedarf, also einem Versagen der tyrannischen und finanziell für jeden Fall abgesicherten Eliten, von diesen Eliten anderen zugewiesen, und zwar bevorzugt Fremden, „Verrätern“ und dem Volk, das sich als unfähig erwiesen hat, den Willen der großen Führer zu erfüllen. Verantwortung wird nach unten delegiert.
In den deutschen, mit der Ukraine verknüpften Härtediskursen gibt es eine parallele Tendenz. Auch hier wird selten und zu wenig kontinuierlich nach der Verantwortung der Mächtigen gefragt und politische Konsequenz verlangt. In den Texten bei Spiegel und Welt wird die herbeigesehnte neue Härte von „den Deutschen“ verlangt. Von „den Männern“, von wem genau, man weiß es nicht. Man ahnt nur beim Lesen, dass diese Härte im Falle eines Krieges nicht die akademisierte und ökonomisch besser gestellte Schicht beweisen müsste, aus der die Verfasser von Härteappellen meist kommen.
Fehler einzugestehen reicht nicht aus
Weil Journalist:innen und Öffentlichkeit bisher zu wenig die Verantwortung konkreter Politiker:innen benennen und einfordern, kommen etwa Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier oder Ministerpräsidentin Manuela Schwesig bisher mit der Behauptung davon, sie hätten sich mit ihrer Politik, die vor allem darauf abzielte, mit Russland Geld zu verdienen, und die Russlands Krieg gegen die Ukraine erst finanziell ermöglicht hat, „geirrt“. Sie tun so, als müssten sie sich nach Feierabend vor den Computer setzen und „Putin“ googeln, um dessen Politik des Terrors und der Vernichtung Andersdenkender seit 2001 zu verfolgen. Als hätten sie keine Berater:innen und Verwaltungen. Eine wirkliches Übernehmen von Verantwortung würde in diesen Fällen Rücktritte und Untersuchungsausschüsse bedeuten.
Verantwortung zu übernehmen hieße Sanktionen zu erlassen, die Deutschlands Anteil an diesem Krieg widerspiegeln und die Russland wirklich schaden, was bisher nicht der Fall ist. Verantwortung einzufordern hieße auch, darauf zu bestehen, dass Regierung und Bundestag jene Menschen in Deutschland vor den Folgen dieser Sanktionen schützen, die am wenigsten ökonomisch abgesichert sind und die am wenigsten für die Politik der vergangenen Jahrzehnte können.
100 Milliarden Einmalzahlung an die Bundeswehr bedeuten unter diesem Gesichtspunkt eher ein Aufzeigen von Härte als Verantwortung. Die deutsche Armee bekommt bisher jährlich 50 Milliarden Euro, eine stattliche Summe, die mit Hilfe des Beschaffungsamtes der Bundeswehr allzu oft in Schrott verwandelt wird. Verantwortung zu übernehmen bedeutet schlicht, jene Menschen so gut wie möglich für das Überleben auszustatten, die für eine Welt Krieg führen, in der nicht autoritäre Eliten regieren, die von ihren Untertanen jedwede Härte verlangen können. Krieg ist blutig, schmutzig und kein Heldenmärchen. Egal ob in Deutschland oder der Ukraine.
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