Stiftungen fördern soziale Ungleichheit: Arbeiterkind bleibt Arbeiterkind
Arbeiterkinder haben weniger Chancen auf ein Stipendium als solche aus akademischen Haushalten. Die Zahlen verharren auf niedrigem Niveau.
Mit Hilfe eines Mentors bekam er einen Praktikumsplatz in einem Bundesministerium. Für sein Auslandssemester zahlte ihm die Stiftung die Fahrtkosten und einen Zuschlag auf das Grundstipendium. Ein Seminar hat er in besonderer Erinnerung: „Auf einer Tagung ging es um Zentralafrika, dort habe ich Einblicke in den Kontinent bekommen, die mir sonst wohl verschlossen geblieben wären“, sagt der Jurastudent aus dem Ruhrgebiet. Demnächst will er sich für einen berufsvorbereitenden Rhetorikkurs anmelden, den die Stiftung anbietet und bezahlt.
Timmermann ist Sohn eines gelernten Bergmanns und einer Altenpflegerin – und gehört mit seinem sozialen Hintergrund zu einer Minderheit unter den Nutznießern der Begabtenförderungswerke in Deutschland. Die haben dafür zuletzt fast 200 Millionen Euro vom Bundesbildungsministerium erhalten und aktuell rund 30.000 Studierende gefördert. Kinder aus nichtakademischem Elternhaus, also deren Eltern nicht studiert haben, sind unter den Geförderten seit Jahren deutlich unterrepräsentiert.
Nur 24 Prozent Arbeiterkinder bei der CSU-nahen Stiftung
Nach einer Studie des Hochschulinformationssystems (HIS) sind nur 33 Prozent der Stipendiaten und Stipendiatinnen Arbeiterkinder, wie Nichtakademikerkinder auch genannt werden. Das sind Zahlen von 2008, aber Recherchen der taz haben ergeben, dass die Stipendien im Schnitt unverändert sozial ungleich verteilt sind.
Die Spanne reicht von 24 Prozent bei der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung bis zu 62 Prozent bei der Linken-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung (Anm.: In der Grafik ist die Hans-Böckler-Stiftung irrtümlicherweise nicht aufgeführt). Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung, die fast drei Mal so viele Studenten fördert wie die Luxemburg-Stiftung und zu deren Stiftungszeck ausdrücklich die Förderung von Arbeiterkindern gehört, kommt auf 58 Prozent. Diese beiden Stiftungen liegen über dem Durchschnitt der Studierenden mit nicht-akademischem Hintergrund insgesamt.
Zum Vergleich: Nach Zahlen des aktuellen Bildungsberichts der Bundesregierung hat bei immerhin 47 Prozent der Studierenden an Universitäten und Fachhochschulen keiner der beiden Elternteile einen akademischen Abschluss. Aber auch damit sind Nichtakademikerkinder an den Universitäten und Fachhochschulen unterrepräsentiert: Ihr Anteil an der gesamten Altersgruppe liegt bei 72 Prozent. Die Zahlen zur sogenannten Bildungsbeteiligungsquote erklären den Unterschied: Fast 80 Prozent der Akademikerkinder studieren, Kinder mit mindestens einem Elternteil mit Abitur studieren zu 48 Prozent, und solche, deren Eltern eine Berufsausbildung haben, nur zu 24 Prozent.
Eliteschmieden des Bildungsbürgertums?
Nach den Zahlen reproduzieren die meisten Stiftungen nicht nur die soziale Ungleichheit, sondern verstärken sie unter ihren Geförderten weiter. Sind die Stiftungen, die für ihre Förderprogramme Steuergeld und damit das Geld der Allgemeinheit verteilen, weiterhin Eliteschmieden des Bildungsbürgertums?
Felix Timmermann hatte neben guten Noten das Selbstbewusstsein, um sich im zweiten Semester zu bewerben. Für eine Bewerbung brauchte er ein Gutachten eines Professors. Er sagt aber auch: „Man muss die Codes kennen.“ Bei der Ebert-Stiftung sei ein Engagement in der SPD oder bei den Jusos ein Pluspunkt. Eine nichtakademische Herkunft auch, wenn Noten und das „Persönlichkeitsbild“ des Kandidaten den Auswahlausschuss überzeugen.
Im Leitbild der Stiftung, die den Namen des gelernten Sattlers und Reichspräsidenten Friedrich Ebert trägt, heißt es unter „Was wir tun“: „Begabtenförderung unter besonderer Berücksichtigung von Studierenden und Promovierenden aus einkommensschwachen Familien […].“ Die Stiftung hat zwar eine der höchsten Quoten unter den Förderwerken. Sie ist aber nahezu deckungsgleich mit der Quote von Nichtakademikern an den Universitäten. Eine „besondere Berücksichtigung“ erschließt sich aus den reinen Zahlen nicht.
Die Stiftungen wenden drei Kriterien an: Begabung, Persönlichkeit und gesellschaftliches Engagement. In alle drei Kriterien speist sich aber indirekt die soziale Herkunft ein. Einen Abi-Schnitt von 1,9 eines Arbeiterkinds, das ohne die Hilfe der Eltern lernen musste, hat eine andere Geschichte als der gleiche Notenschnitt eines Lehrerkinds – wahrscheinlich steckt hinter der Note des Arbeiterkinds mehr Anstrengung. Auch dürfte ein Akademikerkind mehr Erfahrung darin haben, zu argumentieren und sich zu präsentieren.
Linksliberale Klassiker
Hinter vorgehaltener Hand sagen einige Vertreter der Stiftungen, dass unter „Engagement“ zu lange einseitig deren bildungsbürgerliche Variante belohnt wurde. Zugespitzt sind etwa die Klassiker im linksliberalen Bürgertum eine Mitgliedschaft bei Amnesty International, das Mitmachen in der Theater-AG der Schule und nach dem Abitur ein Jahr Entwicklungshilfe in Afrika, für die meistens sogar noch Geld bezahlt werden muss. Kinder aus Arbeiterhaushalten haben meistens gar nicht das Kapital. Der Soziologe Pierre Bourdieu unterschied zwischen kulturellem, sozialem und ökonomischem Kapital, um da mitzuhalten.
Pia Bungarten, Leiterin der Begabtenförderung der Ebert-Stiftung, sagt mit Blick darauf: „Wir weiten den Blick in Bezug auf den Begriff Engagement.“ Eine reine Mitgliedschaft bei Amnesty International zum Beispiel sei zu unspezifisch. Ehrenamtliches Engagement werde weiter gefasst: in Bürgerinitiativen, für den Klimaschutz, in der Geflüchtetenhilfe, in NGOs oder in Schulaktivitäten.
Bungarten sagt: „Wir würdigen aber auch Engagement zum Beispiel in Form eines Einsatzes als Jugendfußballtrainer, sofern das Engagement auf den Werten der sozialen Demokratie beruht und der ehrenamtliche Einsatz über die reine Mitgliedschaft hinausgeht.“ Nimmt man die Aufzählung wörtlich, tauchen dabei ausdrücklich auch Aktivitäten auf, bei der die bürgerliche Mittelschicht dominiert: NGOs, Bürgerinitiativen, Klimaschutz.
Die Studienstiftung des deutschen Volkes hatte lange Zeit den Ruf, zu den elitärsten Förderwerken zu gehören. Sie bewegt sich nach den taz-Recherchen im unteren Mittelfeld, was die Arbeiterkindquote angeht. Die Quote ist von 21 Prozent auf 29 Prozent gestiegen, seit 2013 liegt sie stabil auf diesem Wert. Weiter erhöht hat sie sich seitdem aber nicht. Für die Studienstiftung werden bereits in der Oberstufe Kandidaten und Kandidatinnen von den Lehrern vorgeschlagen.
Pia Bungarten, Friedrich-Ebert-Stiftung
Britta Voß, die Sprecherin der Stiftung, sagt dazu: „Dabei bitten wir darum, nicht unbedingt die Notenbesten vorzuschlagen, sondern gleichermaßen intellektuelle Begabung und Engagement zu berücksichtigen.“ Was das gesellschaftliche Engagement angehe, nehmen die Stiftung „keine normativen Wertungen vor“: Wenn sich ein Bewerber zum Beispiel in der Familie um jemanden kümmere, der pflegebedürftig sei, habe dies den gleichen Stellenwert, als wenn sich jemand bei Amnesty International oder auf andere Weise gesellschaftlich engagiere.
Die Studienstiftung will bei der Vorauswahl vermehrt gegensteuern. So evaluiert sie die Zugangswege zu einem Stipendium, die Auswahlkommissionen werden geschult, die Stiftung schreibt Schulen an, die zu einer Fachhochschulreife führen.
Eine Kleine Anfrage von FDP-Abgeordneten im Bundestag 2018 hatte die Debatte um soziale Ungleichheit bei den Stipendien neu beflügelt. Bemerkenswerterweise, denn die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung hat einen der niedrigsten Werte.
Handlungsbedarf beim Begabungsbegriff
Die erste Antwort der Bundesregierung war fehlerhaft: Dort war die Rede davon, dass sich bei den Neuaufnahmen der Anteil von Arbeiterkindern von „rund 29 Prozent im Jahr 2010 auf rund 36 Prozent im Jahr 2017 erhöht“ habe. In Wirklichkeit stagnieren die Zahlen mit 33,8 Prozent (2010) und 34,4 Prozent (2017) praktisch, wie es in der korrigierten Antwort heißt. Über die Quoten unter den Studierenden insgesamt stand in der Antwort nichts.
Jens Brandenburg, FDP-Bundestagsabgeordneter und Sprecher für Studium und berufliche Bildung, kritisiert die geringe Quote an Arbeiterkindern und sieht besonders beim Begabungsbegriff Handlungsbedarf. „Die Stiftungen sollten den ‚Auswahl-Bias‘ in ihren Auswahlgremien thematisieren“, sagt er.
Ein Beispiel: Natürlich gehe es bei den Auswahlgesprächen auch um die Präsentation. Da könnten sich Bewerber und Bewerberinnen aus Akademikerfamilien allein sprachlich anders darstellen als Menschen aus Arbeiterfamilien. „Die Begabtenförderungswerke sollten ihre Auswahlprozesse kritisch hinterfragen.“
Bei zwei weiteren Kriterien ist die Lage übrigens deutlich besser. Der Anteil von Studierenden mit Migrationshintergrund und der von Frauen entspricht ziemlich genau ihrem Anteil an den Hochschulen insgesamt.
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