Steinmeier zu Migration: Präsident als Abwehrchef
Auch der Bundespräsident macht mit bei den Rufen nach mehr Abschottung. Bei ihm ist die „Belastungsgrenze“ schnell erreicht – siehe Murat Kurnaz.
J etzt wird also auch der Bundespräsident Abwehrchef. Deutschland sei bei der Aufnahme von Geflüchteten „an der Belastungsgrenze“, erklärte Frank-Walter Steinmeier auf seiner Italienreise und sprach von „lauten Hilferufen“, die er höre und ernst nehme. Und nein, Steinmeier meinte nicht Hilferufe von MigrantInnen in Seenot, sondern die „aus deutschen Städten“. Damit nimmt er am rhetorischen Abschottungswettbewerb teil, der gerade von rechts bis links geführt wird.
Vorher befand bereits FDP-General Bijan Djir-Sarai: „Die Migration, die wir derzeit in Deutschland erleben, überfordert die Menschen in unserem Land.“ Und Grünen-Chefin Ricarda Lang forderte mehr Abschiebungen. CSU-Chef Söder solle da nicht nur meckern, sondern „selbst mal anpacken“. Ja, sind denn alle verrückt geworden und plappern nur noch der AfD nach?
Die Vermutung, dass die Regierung nur aus Angst vor den Rechtsextremen restriktiver wird, liegt nahe, aber sie greift zu kurz. Tagespolitisch und historisch. Ja, der Ampel geht angesichts der Umfragen der Arsch auf Grundeis. Aber sie könnte es auch ohne AfD nicht ignorieren, wenn eigene Parteifreunde klagen, dass sie keine Plätze mehr in Unterkünften, Kitas und Schulen haben. Das sind ja keine Nazis.
Es wäre besser, wenn die Ampel mehr Geld für die Unterbringung zahlen würde, statt die Überforderung nur zu beklagen. Doch die SPD war schon immer für Grenzen der Aufnahme. Für Steinmeier war die deutsche Belastungsgrenze schon überschritten, als es darum ging, dem unschuldigen Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz die Rückkehr zu erlauben. Dem Asylverhinderungskompromiss stimmte die SPD 1993 zu, lange vor der AfD.
Der Job der Grünen wäre es jetzt, eine ähnlich krasse Abschottung zu bremsen, statt sie anzufeuern. Aber alle Begrenzungsmaßnahmen abzulehnen, ist als Regierungspartei aussichtslos. Wer das will, kann bei der Europawahl nur die linke Spitzenkandidatin Carola Rackete wählen. Dann ist es erstmals möglich, für offene Grenzen zu votieren und humanitär Druck zu machen, der derzeit nur von rechts kommt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind