piwik no script img

Mehr Grenzkontrollen wegen MigrationAbschreckung in Wort und Tat

Lukas Wallraff
Kommentar von Lukas Wallraff

Nun soll es also doch Grenzkontrollen geben, auch weil die politische Lage anders als 2015 ist. Doch flächendeckende Kontrollen sind unrealistisch – noch.

Grenzschutzpolizei in Freilassing, Bayern Foto: Sachelle Babbar/Zuma Press/imago

J etzt also doch mehr Grenzkontrollen. Nach der großen Aufregung über die vielen ankommenden Flüchtlingsboote auf Lampedusa und dem anschließenden Abschottungschor von allen Seiten lässt SPD-Innenministerin Nancy Faeser nun auch an den deutschen Grenzübergängen zu Polen und Tschechien Beamte stationieren, um die Einreise von MigrantInnen nach Deutschland zu überwachen. So, wie es die Union schon lange fordert. Faeser sieht sich zum Handeln gezwungen, weil nach den großen, erschreckenden Worten aus den eigenen Ampelreihen von der „Belastungsgrenze“ (Bundespräsident Steinmeier) bis zur „Migration, die das Land überfordert“ (FDP) Taten verlangt werden.

Grenzkontrollen also! Das soll hart, entschlossen und abwehrbereit klingen. Ist es aber nicht automatisch. Es kommt darauf an, was an den Grenzen in der Praxis wirklich geschieht. Und das ist noch nicht klar, das hängt von den weiteren Entscheidungen der Regierung ab. Auch die taz hat sich da schon getäuscht und nach der Einführung von Grenzkontrollen zu Österreich im September 2015 getitelt: „Deutschland macht dicht.“

Das Gegenteil trat ein, nie wurden mehr Asylsuchende in Deutschland aufgenommen als in den Wochen danach. An der Grenze wurden die Menschen zwar kontrolliert und registriert, aber nicht abgewiesen. Das war der entscheidende Unterschied. Aber was ist heute zu erwarten?

Leider sieht es inzwischen schlechter aus für die Geflüchteten, weil die politische Grundstimmung in ganz Europa noch feindseliger geworden ist und die deutsche Regierung keine klare Haltung zeigt, wie Angela Merkel im Herbst 2015. Sie hatte damals allerdings auch noch keine starke Opposition von rechts im Nacken wie die Ampel jetzt mit der Union und der AfD bei 22 Prozent.

Problem wird übertrieben

Olaf Scholz traut sich nicht zu sagen, dass die unbestreitbar schwierige Belastung der Kommunen nicht an der überschaubaren Zahl von Menschen liegt, die über Italien oder Polen kommen, sondern vor allem durch die Aufnahme von mehr als einer Million UkrainerInnen verursacht wurde, die zum Glück Zuflucht in Deutschland fanden. Weil daran Gott sei Dank niemand rüttelt, stürzen sich jetzt alle auf Geflüchtete aus anderen Ländern und übertreiben das Problem maßlos.

Die Ampel wird deshalb wohl versuchen, einige Asylsuchende wirklich an den Grenzen nach Polen und Tschechien zurückzuschicken. Klar ist aber auch, dass eine flächendeckende Kontrolle aller Grenzen nur mit einem riesigen Personaleinsatz und Zäunen möglich wäre. Davon sind wir zum Glück noch weit entfernt. Aber was heute unvorstellbar scheint, kann noch kommen, wenn sich die Politik weiter mutlos nach rechts treiben lässt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Dass die Belastung der Kommunen "vor allem durch die Aufnahme von mehr als einer Million UkrainerInnen verursacht wurde" ist ja vollkommen richtig. Genau das zeigt doch, dass wir hier in Europa (leider) unsere eigene große Krise haben und damit vollauf beschäftigt sind. Es ist doch kein Rassismus zu fordern, dass andere Kontinente ihre eigenen Krisen ebenfalls primär regional managen. Ukrainer sind ja auch nicht nach Asien oder Afrika geflohen, sondern eben in die direkt benachbarte EU.

    Über materielle/finanzielle Hilfe kann den Afrikanern und Asiaten ja gerne geholfen werden. Platz in Unterkünften hier in Deutschland ist viel weniger eine Frage des Geldes als der ganz konkreten Gebäude, die es einfach nicht gibt und die auch gar nicht so schnell gebaut werden können. Die Misere am Bau und die generelle Wohnungskrise in Deutschland ist ein eigenes trauriges Kapitel. Die Ampel versagt dabei auf der ganzen Linie.

  • Gleicher Meinung - anschließe mich

  • Das Problem wird maßlos übertrieben????



    Denken sich Bürgermeister und Landräte aus allen möglichen politischen Parteizugehörigkeiten dieses Problem nur aus?

    • @Andere Meinung:

      Der Umstand, dass die tatsächliche Dimension des 'Problems' maßlos übertrieben werden bedeutet ja nicht, dass es gar keines gäbe. Es knirscht halt mal etwas im Getriebe und macht etwas Mühe. Der Umstand, dass sich die derzeit Ankommenden eben nicht mal so eben locker wegverwalten lassen, darf aber kein Anlass sein Grund- und Menschenrechte außer Kraft zu setzen.

  • Vieles, was heute "unrealistisch" erscheint, ist morgen selbstverständlich. Wer hätte gedacht, dass die Grünen auf Seenotrettung verzichten, es akzeptieren, wenn Gelder an Tunesien gezahlt werden, was Geflüchtete in der Wüste verdursten lässt, Gefangenenlager an den Außengrenzen errichten lässt, weitgehend schweigt zu tödlichen Rückführungen. Was aber soll passieren, wenn wir doch wissen, dass in d20 Jahren bereits ca. 1,5 Milliarden Klima-Flüchtlingen auf dieser Welt sein werden? Da die wohlhabenden Gesellschaften keineswegs bereit sind, irgendetwas zu teilen, schotten sie sich ab und lassen die anderen sterben.

    Diese Regierung wird das Fundament legen für die Abschaffung des Asylrechts, einschließlich unsicherer Herkunftsstaaten, die zu sicheren erklärt werden.

    Als Millionen Geflüchtete kamen, war dies keine "Notlage", aber wenn 10 % dieser Anzahl Afrikaner:innen sind, ist die "Notlage" schon da. Tiefgreifend rassistische Gesellschaften mit tiefgreifend rassistischen Bevölkerungen rufen den Notstand nicht aus wegen der Anzahl der Geflüchteten, sondern weil sie sich von Afrikaner:innen durch deren bloße Existenz bedroht fühlen. Dafür diskutieren sie sogar weltweit, die Genfer Flüchtlingskonvention abzuschaffen. Dass diese Diskussion überhaupt möglich ist, zeigt den rassistischen und menschenverachtenden Charakter dieser sich selbst ständig lobenden Gesellschaften.

    Sie sehen sich als verteidigungsberechtigt gegen Menschen, deren Flucht sie verursachen. . Ihre Menschlichkeit entdecken sie nur, wenn es weiße ukrainische Geflüchtete betrifft. Die anderen müssen dann für diese angebliche Großherzigkeit leiden.

    Als die Grünen mitmachten, Maßnahmen gegen den Klimawandel wegen des Krieges aufzuschieben, haben sie eine Atmosphäre mit geschaffen, in der keine Rettung mehr vor dem Klimawandel möglich ist, Geflüchtete nicht weißer Hautfarbe Invasor:innen werden und nur noch Abschottung regiert. Es wird furchtbar.

    • @PolitDiscussion:

      Ich verstehe Ihre Empörung, allerdings erweisen Sie unserem Kampf gegen Rassismus einen Bärendienst, wenn Sie dem Gros der demokratischen Parteien jegliche Menschlichkeit absprechen.

      Siehe auch: pub.uni-bielefeld.de/record/2732975

    • @PolitDiscussion:

      Es ist furchtbar, da kann ich Ihnen nur recht geben. Allerdings frage ich mich, woher Ihre große grüne Enttäuschung kommt. Sie schießen sich ja regelrecht ein auf die Grünen! (Während Sie die Konstellation der Koalition vollkommen außer acht zu scheinen lassen.) Natürlich glänzt nicht alles, was grün ist, aber es scheint mir ganz so, als hätte Sie die ökologische Wende, die sich durchaus andeutet, nicht mitbekommen. (Siehe Link unten.)

      www.theguardian.co...global-energy-head

      Zudem finde ich es unsäglich, dass Sie immer wieder Kriegsflüchtlinge aus der direkten Nachbarschaft gegenrechnen,