Steigende Coronazahlen in Deutschland: Todesrisiko nette Pflegerin
Alte Menschen sterben an Covid – infiziert von Pflegekräften. Deshalb muss endlich eine Impfpflicht für diesen Personenkreis her.
In einem Seniorenheim in Brandenburg sind in diesen Tagen nach einem Corona-Ausbruch 14 Menschen verstorben. 44 weitere Bewohner und 15 Mitarbeitende sind zudem erkrankt. Es spricht einiges dafür, dass die Infektionen von Pflegekräften in das Heim gebracht worden sind. Die Impfquote aller Mitarbeitenden in der Einrichtung liegt bei etwa 50 Prozent.
In einem Altenheim in Norderstedt bei Hamburg sind gerade sechs alte Menschen an einer Covid-Infektion verstorben. 68 Bewohner wurden bisher positiv getestet, zudem 22 Mitarbeiter. Mehr als die Hälfte der Pflegekräfte war nicht geimpft.
Tausende alte Menschen sind in den vergangenen anderthalb Jahren in Deutschland der Pandemie zum Opfer gefallen, weil sie sich bei denjenigen angesteckt haben, die ihnen doch eigentlich ein lebenswertes Leben ermöglichen sollten: den Pflegerinnen und Pflegern. Im ersten Jahr der Seuche, als noch kein Impfstoff zur Verfügung stand, mussten Angehörige hilflos zusehen, wie ihre Mütter und Väter, Großmütter und Großväter isoliert von jedweden Besuchen dennoch erkrankten und sterben mussten. Nach Schätzungen lebten 2020 rund ein Drittel der an Corona Verstorbenen zuvor in Pflege- oder Altenheimen.
Ein Ding der Unmöglichkeit
Im laufenden Jahr traf es auch das Pflegeheim, in dem meine damals 90-Jährige Mutter lebte. Eine Pflegerin hatte sich nicht impfen lassen, die Mutter war wegen eines Krankenhausaufenthalts zu diesem Zeitpunkt noch nicht geimpft. Wir bangten um ihr Leben. Das Heim war für Besuche gesperrt. Eine alter Mann starb an Covid. Ich weiß nicht, wie es der ungeimpften Pflegerin heute geht. Aber ich wünsche ihr alles Gute.
2020 gelang es nicht, die Alten in den Heimen so zu isolieren, dass das Virus nicht übersprang. Es ist leicht, da von einem Versagen von Politik und Verwaltung zu sprechen. Aber vielleicht war der Schutz der Senioren auch ein Ding der Unmöglichkeit, angesichts von Besuchern, Reinigungsdiensten, Köchen, eigenen Mitarbeitern und Transportdiensten. Schon so litten viele Menschen unter der erzwungenen Isolation, weil Besuche nur eingeschränkt bis unmöglich waren. Aber jeder Covid-Tote war einer zu viel.
2021 sind nahezu alle Heimbewohner geimpft, viele von ihnen haben schon eine Auffrischungsspritze erhalten. Doch die Gefahr einer Infektion ist nicht gebannt, weil manche von ihnen aufgrund einer Schwächung ihres Immunsystems eben sehr anfällig für das Virus sind.
Besucher wie ich haben sich monatelang Schnelltests unterzogen, bevor sie ihre Angehörigen besucht haben. Das war kein Problem. Inzwischen reicht es, die Corona-App auf dem Mobiltelefon vorzuweisen.
Inakzeptables Verhalten
Es könnte also alles etwas entspannter zugehen – wenn diese ungeimpften Pflegekräfte nicht wären. Es sind Menschen, denen wir eigentlich unsere Dankbarkeit schulden. Sie, die wirklichen Führungskräfte, arbeiten in aller Regel großartig, obwohl ihre Bezahlung immer noch zu wünschen übrig lässt.
Aber die Angst ist nicht nur bei mir nicht ganz verschwunden – weil sich mehr als nur eine kleine Minderheit unter den Pflegerinnen und Pflegern bis heute einer Impfung verweigert. Dabei verringert diese nachweislich die Virenlast selbst bei einer eigenen Erkrankung und kann dadurch das Leben anderer Menschen schützen.
Dieses Verhalten ist nicht akzeptabel. Es nimmt Tote in Kauf. In einem Pflegeheim mit sehr alten Menschen zu arbeiten und diese zugleich einer erhöhten Gefahr auszusetzen, grenzt an fahrlässige Tötung.
Anderswo müssen sich Personen, die im medizinischen Bereich tätig sind, gegen Corona impfen lassen, andernfalls sind sie ihren Job los. Das gilt zum Beispiel in Italien, Griechenland oder Frankreich. Aber auch in Deutschland bedingt eine Arbeit im Pflegeheim eine vorherige Impfung – gegen die Masern. Warum um alles in der Welt ist es dann weiterhin möglich, ohne eine Corona-Impfung pflegebedürfte Menschen zu betreuen? Ich verstehe es nicht.
Deshalb führt kein Weg an einer Impfpflicht für diesen Personenkreis vorbei. Dieser – nennen wir es beim Namen – Zwang muss kommen, und zwar angesichts steigender Inzidenzen möglichst rasch. Alles andere wäre dann wirklich ein Versagen der Politik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei