Rassismus der CDU: Merz will Doppelstaatler ausbürgern
Menschen mit zwei Pässen sollen den deutschen verlieren, wenn sie straffällig werden. Davon träumt der CDU-Chef. Doch SPD, Grüne und FDP lehnen das ab.
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Die Welt am Sonntag veröffentlichte am Wochenende ein langes Interview mit Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Darin fordert er eine Ausweisung von Ausländern, die straffällig wurden. Auf den Vorhalt, dass eine Ausweisung von deutschen Staatsbürgern nicht möglich sei, kritisierte Merz die Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes durch die Ampel-Koalition.
Die grundsätzliche Hinnahme einer doppelten Staatsbürgerschaft führe dazu, dass dies zum Regelfall werde. Unter Bezugnahme auf die vorläufige Einbürgerungsbilanz des Jahres 2024 monierte Merz: „Von den mehr als 200.000 Antragstellern wollen rund 80 Prozent ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit behalten.“ Das schaffe „zusätzliche Probleme“ in Deutschland.
Merz schlägt dann vor: „Es müsste wenigstens auf der gleichen Ebene eine Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft möglich sein, wenn wir erkennen, dass wir bei straffällig werdenden Personen einen Fehler gemacht haben.“ Er will also Personen, die die deutsche und eine andere Staatsbürgerschaft haben, die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen, um sie ausweisen und abschieben zu können. Im gemeinsamen Wahlprogramm der CDU und CSU für die Bundestagswahl 2025 ist die Forderung nicht enthalten.
Die CSU ist Merz eine Nasenlänge voraus
Eine ähnliche Forderung hatte 2023 aber bereits der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) erhoben. Als Beispiele für Taten, die die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit rechtfertigen können, nannte Herrmann schwere antisemitische Gewalttaten oder schwere Straftaten wie Mord oder Vergewaltigung.
Die AfD forderte im Wahlprogramm von 2017, dass die Rücknahme der Staatsbürgerschaft ermöglicht werden soll, wenn jemand kriminellen Clans angehört oder innerhalb von zehn Jahren nach der Einbürgerung erheblich straffällig wird. Im Wahlprogramm von 2021 war die Forderung nicht mehr enthalten. Auch im AfD-Programmentwurf für die kommende Bundestagswahl fehlt sie. AfD-Politiker greifen die Forderung aber immer wieder auf.
Die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft ist verfassungswidrig. Oder wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sagte, sie setzt eine Änderung des Grundgesetzes voraus.
Derzeit heißt es in Artikel 16 des Grundgesetzes: „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.“ Dieses Verbot erfasst jede staatliche Wegnahme der Staatsbürgerschaft gegen den Willen des Bürgers. Diese Garantie ist eine Reaktion auf die Ausbürgerungspolitik der Nazis gegen Juden und politische Gegner. Auch in der DDR wurden Oppositionelle wie Wolf Biermann ausgebürgert.
Außerdem heißt es in dem Artikel: „Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur aufgrund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.“ Eine gesetzliche Verlust-Regelung ist damit nur gegenüber Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft möglich.
Erwägungen zur Sicherheit reichen nicht
Nach herrschender verfassungsrechtlicher Ansicht darf die deutsche Staatsbürgerschaft auch nur dann verloren gehen, wenn dies auf eine Handlung folgt, die der Betroffene vermeiden könnte. Außerdem müsse die Anlasshandlung Ausdruck einer „Abwendung“ von Deutschland sein. Reine Sicherheits-Erwägungen genügen demnach nicht für den Verlust der Staatsbürgerschaft.
Als „Abwendung“ von Deutschland gilt es schon lange, wenn jemand in die Streitkräfte eines ausländischen Staates eintritt, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Seit 2019 geht bei einem Doppelstaatler die deutsche Staatsangehörigkeit auch dann verloren, wenn er „sich an Kampfhandlungen einer terroristischen Vereinigung im Ausland konkret beteiligt“. Es wird wohl nur wenige Straftaten geben, die in diesem Sinne als „Abwendung“ von Deutschland anzusehen sind, schließlich begehen ja auch viele Deutsche Straftaten.
Die CDU/CSU könnte im kommenden Bundestag die Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes nur mit der AfD umsetzen. Für eine Grundgesetzänderung wäre sogar eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat erforderlich. Auf Anfrage der taz erklärten Vertreter von SPD, Grünen und FDP, dass sie den Merz-Vorschlag nicht unterstützen.
So betonte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese, die Forderung von Friedrich Merz führe „in eine gefährliche Richtung: Sie würde de facto Deutsche erster und zweiter Klasse schaffen, abhängig davon, ob jemand eine zweite Staatsbürgerschaft besitzt oder nicht.“ Das widerspreche dem Grundgesetz und dem Prinzip der Gleichheit aller Bürger, so Wiese. „Solche Vorschläge sind populistisch und abzulehnen. Sie spalten die Gesellschaft und untergraben die Grundwerte unseres Rechtsstaates.“
Merz droht Ärger mit dem Verfassungsschutz
Auch Katharina Dröge, die Fraktionsvorsitzende der Grünen, ist eindeutig: „Für uns gibt es keine Bürger zweiter Klasse. Wenn Friedrich Merz mit dem Entzug der Staatsangehörigkeit droht, sendet er das verheerende Signal, dass Menschen, die nach Deutschland einwandern, hier nie richtig dazugehören können. Dem widersprechen wir ganz ausdrücklich.“
Für die FDP erklärt der Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle: „Die Staatsangehörigkeit im Nachhinein abzuerkennen, ist mit gravierenden verfassungsrechtlichen und praktischen Problemen verbunden.“ Besser sei es, schon bei der Einbürgerung restriktiv vorzugehen.
Unabhängig von den fehlenden Mehrheiten könnte Merz auch Ärger mit dem Verfassungsschutz bekommen. Wer eingebürgerte Deutsche gegenüber geborenen Deutschen rechtlich abwertet, beeinträchtigt die freiheitliche demokratische Grundordnung. Dies hat das Bundesverfassungsgerichts 2017 in seinem NPD-Urteil festgestellt. Wohl auch deshalb hat sich die AfD in diesem Punkt gemäßigt.
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