Prorussische Demonstrationen: Was eine Demokratie aushalten muss
Meinungsfreiheit in Deutschland gilt auch für Menschen mit verstörenden Wertvorstellungen. Sie gehört mit zu einer Demokratie.
E s sind schwer zu ertragende Bilder: Demonstrationen in deutschen Großstädten mit den Flaggen Russlands und der Bundesrepublik. Vorgeblich richtet sich der Protest „gegen Volksverhetzung, Mobbing und Diskriminierung der russischen Bevölkerung“, so etwa der Anmelder eines Autokorsos in Hannover. Tatsächlich bezeugen diese Demonstrationsteilnehmer ihre Solidarität mit den Verantwortlichen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine.
Sie pfeifen auf Tausende Tote und Verstümmelte, auf Massaker und die Zerstörungen von Wohnhäusern, Infrastruktur, Kirchen und Synagogen. Die Demonstrationen folgen dem in Russland verbreiteten Narrativ einer angeblich von Nazis bedrohten russischen Nation. Das ist vollkommener Unsinn, auch wenn es in den letzten Wochen durchaus inakzeptable antirussische Vorfälle in Deutschland gegeben hat – allerdings auch anti-ukrainische. Aber darum geht es den Demonstranten gar nicht.
Ihr Plädoyer für die deutsch-russische Verbrüderung ist der zynische Versuch, über unfassbare Verbrechen eine unappetitliche Soße der Völkerfreundschaft zu kippen. Müssen wir diese Proteste ertragen? Oder wäre es nicht besser, sie zu verbieten und das Schwenken russischer Fahnen gleich mit?
Selbstverständlich wäre es erfreulich, wenn deutsche Straßen von solcherart Solidaritätsaktionen verschont blieben. Doch die Meinungsfreiheit gilt eben auch für Personen mit aus welchen Gründen auch immer eingetrübtem Weltbild. Man darf in der Bundesrepublik gegen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie demonstrieren, ebenso wie gegen Radwege oder einen zu geringen Alkoholgehalt im Bier.
Gewähren lassen, auch wenn es weh tut
Man kann den Rücktritt von Olaf Scholz verlangen und den jedes Dorfbürgermeisters – jedenfalls dann, wenn man dabei nicht gegen Gesetze verstößt. Man darf sogar lügen, während es in Russland verboten ist, die Wahrheit auszusprechen. Aber ganz so wehrlos, wie es jene darstellen, die neue Gesetze fordern, ist das deutsche Strafrecht nicht. Wer den russischen Angriffskrieg offen befürwortet, dem drohen durchaus empfindliche Strafen.
Es liegt in der Hand der Justiz, etwa das „Z“, das bei solchen Aktionen schon zu sehen war und das ein Symbol für diesen Angriffskrieg darstellt, als das zu bewerten, was es ist: Volksverhetzung. Darauf stehen bis zu fünf Jahre Haft. Das wissen freilich auch die Demonstranten. Wenn sie nicht dumm sind, werden sie es künftig bei der Präsentation russischer Flaggen belassen.
Lassen wir sie gewähren, auch wenn es wehtut. Pegida-Anhänger und Impfgegner mussten wir auch aushalten. Wir demonstrieren unsererseits für die Wahrheit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Trumps Krieg gegen die Forschung
Byebye Wissenschaftsfreiheit
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten