Polizeieinsatz gegen Letzte Generation: So begründet die Justiz die Razzien
Das Vorgehen der bayerischen Justiz gegen Aktivisten der Letzten Generation stößt auf breite Kritik. Die taz analysiert den Durchsuchungsbeschluss.
Der Beschluss umfasst elf Seiten und stammt vom 16. Mai. Die Namen der sieben Beschuldigten sind geschwärzt, sie wurden in diesem Text anhand von frei zugänglichen öffentlichen Quellen ergänzt. Von großem öffentlichen Interesse ist vor allem, wie das Amtsgericht begründet, dass es sich bei der Letzten Generation um eine „kriminelle Vereinigung“ handelt und wer alles hierzu gezählt wird.
Drei der Beschuldigten werden wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ verfolgt. Zwei von ihnen seien für die Homepage der Organisation verantwortlich gewesen, die dritte Person habe als Pressesprecherin agiert. Gemeint sind hier wohl insbesondere Ingo Blechschmidt, der im Impressum der Homepage stand, und Carla Hinrichs, die von Beginn an Pressesprecherin war. Bei beiden fand letzte Woche eine Durchsuchung statt.
Zwei weitere Personen sollen sich als Mitglieder der kriminellen Vereinigung betätigt haben, indem sie am 27. April 2022 die Transalpine Ölleitung (TAL) von Triest (Italien) nach Lenting (bei Ingolstadt) störten. Dabei sei es ihnen zwar nicht gelungen, selbst den Öl-Durchfluss zu stoppen. Ihr Eindringen in ein Betriebsgebäude habe aber Sicherheitsalarm ausgelöst, so dass die Pipeline vorsorglich für fünf Stunden abgeschaltet wurde. Die beiden Aktivisten waren Wolfgang Metzeler-Kick und Christian Bläul.
Nicht nur Pipeline-Aktionen
Zwei beschuldigte Unterstützer:innen sollen der Letzten Generation bei der Einnahme von Spendengeldern geholfen haben. Hier geht es zum einen um den Elinor Treuhand e.V., dessen Plattform für Gruppenkonten auch die Letzte Generation nutzte. Konkret beschuldigt wird der Vorstand des Vereins, also Lukas K. Zum 1. März 2023 hatte Elinor jedoch die Zusammenarbeit mit der Letzten Generation aufgekündigt, „aus Verantwortung für alle anderen Gruppenkonten“.
Ab 1. März wurde das Spendenkonto der Letzten Generation daher bei einer anderen Organisation geführt, mit dem sperrigen Namen „Klima- und Umweltaufklärung für den Erhalt der lebenssichernden Ökosysteme gemeinnützige GmbH“ (KUEÖ gGmbH). Vertretungsberechtige Geschäftsführerin war hier die LG-Aktivistin Imke Bludszuweit, deren Wohnung vorige Woche ebenfalls durchsucht wurde.
Das Amtsgericht geht nicht explizit auf die Frage ein, wie groß die kriminelle Vereinigung ist. Auf den ersten Blick deutet die bisher geringe Zahl von sieben genannten Beschuldigten darauf hin, dass nur die Führungsebene als kriminelle Vereinigung gelten könnte. Allerdings ist im Münchener Beschluss auch explizit von einem Führungsteam, einem Kernteam, von Hintermännern die Rede, die noch nicht identifiziert seien. In der Vorstellung des Amtsgerichts scheint es also durchaus eine kriminelle Vereinigung unterhalb der Führungsebene zu geben.
14 weitere strafbare Aktionen
Eng damit verbunden ist die Frage, welche Straftaten die Letzte Generation zur kriminellen Vereinigung machen. Geht es nur um die Störung kritischer Infrastruktur wie Ölpipelines oder auch um jede Straßenblockade? Für die Konzentration auf Pipeline-Aktionen spricht, dass nur für diese im Durchsuchungsbeschluss konkrete Beschuldigte hervorgehoben werden.
Allerdings zählt das Amtsgericht über zwei Seiten lang auch 14 andere bundesweite strafbare Aktionen auf, von Autobahnblockaden im Januar 2022 über Kunstbeschädigungen im August 2022 bis zu Störungen auf Flughäfen im Dezember 2022. Letztlich gehören aus Sicht des Amtsgerichts wohl doch alle Aktionsformen der Letzten Generation zur kriminellen Vereinigung.
Eine Vereinigung liege (neben den Einzeltaten) vor, so das Amtsgericht, weil die Letzte Organisation straff organisiert und das Führungsteam konspirativ abgeschottet sei. Interne Richtlinien sorgten für ein einheitliches (bürgerliches und gewaltfreies) Auftreten. Auch würden die Finanzen der Organisation zentral verwaltet.
Die Straftaten seien begangen worden, um die Öffentlichkeit auf den Klimawandel aufmerksam zu machen, so das Amtsgericht. Dabei sei sich die Letzte Generation der Strafbarkeit ihres Handelns durchaus bewusst. Bei der Rekrutierung neuer Aktivist:innen werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man bereit sein müsse, ins Gefängnis zu gehen.
Münchner Maßstab?
Dass die Letzte Generation laufend Straftaten begeht, ist nicht neu. Bisher haben sich die Staatsanwaltschaften dennoch fast überall darauf beschränkt, konkrete Blockade-Aktionen anzuklagen, ohne eine kriminelle Vereinigung anzunehmen. Grund dafür war, dass der Bundesgerichtshof schon seit langem für kriminelle Vereinigungen eine „erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ verlangt und die Staatsanwaltschaften diese Gefahr in den nur lästigen Verkehrs-Staus nicht erkennen konnten.
Auch das Amtsgericht München hat nun die Maßstäbe nicht abgesenkt. Es geht ebenfalls davon aus, dass eine erhebliche Gefährdung für die öffentliche Sicherheit erforderlich ist, hält diese aber bei der Letzten Generation für gegeben. Als Argument hierfür gilt zum Beispiel, dass manche Aktivist:innen ihre Lebenshaltungskosten und Kosten der Strafverfahren aus dem Spendentopf der Letzten Generation ersetzt bekommen. Dies erhöhe die Wahrscheinlichkeit von Straftaten.
Die Letzte Generation nehme es auch billigend in Kauf, so das Amtsgericht, dass Rettungsfahrzeuge zu spät zu ihren Einsatzorten kommen und dass genervte Autofahrer zu strafbarer Selbstjustiz greifen. Zudem sei die Letzte Generation mit hunderten Aktiven und gut organisierten Regionalteams in der Lage, jederzeit die Situation mit neuen Straftaten flächendeckend zu eskalieren.
Mehr als ein Verdacht
Nachdem die Polizei die Webseite der Letzten Generation beschlagnahmt hatte, war dort zu lesen: „Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 Strafgesetzbuch dar!“, verbunden mit einem Warnhinweis, dass Spenden als Unterstützung der kriminellen Vereinigung strafbar sind.
Diese polizeiliche Feststellung wurde weithin als Vorverurteilung kritisiert, da bisher ja nur ein Verdacht bestehe. Auch Aimée von Baalen, Sprecherin der Letzten Generation fragte: „Haben wir ein Urteil verpasst?“. Die Staatsanwaltschaft entfernte anschließend den Satz von der Webseite.
Tatsächlich kann sich die Aussage der Polizei aber durchaus auf den Beschluss des Amtsgerichts München stützen. Dort wird nicht nur ein Verdacht geäußert, dass die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung sein könnte, sondern dies wird implizit festgestellt. Unter der Zwischenüberschrift „Die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung“ hält das Gericht alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale für gegeben (auch wenn die Prüfung in Durchsuchungsbeschlüssen eher oberflächlich ist).
Suche nach Linksradikalen
Aufgrund des Durchsuchungsbeschlusses wurden letzte Woche 15 Wohnungen bundesweit gefilzt. Gesucht wurden dabei vor allem Computer, Mobiltelefone, Datenspeicher, Unterlagen oder sonstige Gegenstände mit Bezug zur Letzten Generation.
Ausdrücklich erwähnt werden Gegenstände, die auf linksradikales, verfassungswidriges Gedankengut hindeuten. Das erstaunt, weil die Forderungen der Letzten Generation ja alles andere als linksradikal sind. Die Aktivist:innen verlangen lediglich ein Tempolimit, ein 9-Euro-Ticket für den Nahverkehr und die Einsetzung eines ausgelosten Gesellschaftsrats, der sich mit der Klimapolitik bis 2030 beschäftigen soll.
An keiner Stelle des Durchsuchungsbeschlusses wird erläutert, warum die Polizei nach linksradikalen Hintergründen suchen soll. Möglicherweise gehört dies in Bayern aber zum Routineprogramm und muss nicht weiter begründet werden. Den Antrag für die Durchsuchungen hat die Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) bei der Münchener Generalstaatsanwaltschaft gestellt.
Hinweis: Das wörtliche Zitieren aus Dokumenten eines Strafverfahrens ist verboten (Paragraf 353d Strafgesetzbuch). Deshalb wurde hier darauf verzichtet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind