Festklebe-Aktionen der Letzten Generation: In Braunschweig wird nicht geklebt

Wer sich unangekündigt in Braundschweig aus Protest auf die Straße klebt, muss mit Bußgeld rechnen. Jetzt wird gestritten, ob das rechtens ist.

Eine Staubwolke steigt auf, als ein festgeklebter Aktivist von der Polizei von der Straße losgemacht wird

Bis Ende August in Braunschweig verboten: unangemeldete Aktionen wie das Festkleben auf Fahrbahnen Foto: Axel Hake

BREMEN taz | Als „Eskalationskurs gegenüber KlimaschutzaktivistInnen“ bezeichnet die BIBS-Fraktion im Rat Braunschweig eine Aktion der Stadt: Mitte Juli hatte die Verwaltung um den Braunschweiger SPD-Oberbürgermeister Thorsten Kornblum mit einer Allgemeinverfügung den Protest der Letzten Generation eingeschränkt. Vorerst bis Ende August sind unangemeldete Aktionen auf Fahrbahnen wie das Festkleben verboten.

Wer sich nicht daran hält, dem drohen Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten und Bußgelder bis zu 3.000 Euro. Die BIBS-Fraktion – kurz für Bürgerinitiative Braunschweig – hat nun beantragt, das zurückzunehmen.

Angesichts der Klimakrise sei die Allgemeinverfügung „das grundfalsche Signal und muss daher umgehend außer Kraft gesetzt werden“, schreibt die BIBS-Fraktion in ihrem Antrag vom 10. August. In der dazugehörigen Erklärung heißt es, der Erlass schränke spontane Aktionen erheblich ein, „die in friedlicher Form öffentlichkeitswirksam auf die dramatische Situation der Klimakrise aufmerksam machen“. Der Antrag soll in der Ratssitzung am 19. September behandelt werden.

Die Verfügung gilt allerdings vorerst nur bis Ende August. Sie richtet sich laut Verwaltung explizit gegen „Versammlungen der Gruppe ‚Letzte Generation‘ oder ähnliche Versammlungen zum Klimaprotest im Stadtgebiet“ und verbietet das unangekündigte „Ankleben, Festketten, Festbinden oder Niederlassen“ auf Fahrbahnen. 20 solcher Aktionen habe es in den vergangenen Monaten gegeben, darunter auch sogenannte Slow Walks, Demonstrationen, bei denen die Teil­neh­me­r*in­nen sehr langsam gehen.

Eingeschränktes Grundrecht

Die Stadt wolle die Protestierenden nun dazu bewegen, solche Aktionen im Vorhinein anzumelden. „Ziel ist es, das gesetzlich verbriefte Recht der Versammlungsfreiheit in Einklang zu bringen mit der Sicherstellung der öffentlichen Ordnung.“ Dazu zähle auch die Sicherheit der Menschen im Straßenverkehr sowie die Gewährleistung von Rettungsfahrten.

In ihrer Verfügung bezieht sich die Stadt auf das Niedersächsische Versammlungsgesetz. Darin steht: „Die zuständige Behörde kann eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren.“ In dem Gesetz ist zudem geregelt, dass „Versammlungen unter freiem Himmel spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe anzuzeigen“ sind.

„Wenn die Stadt in einer Allgemeinverfügung auf die Anmeldung einer Versammlung besteht, sehe ich kein juristisches Problem“, sagt deswegen Jurist Markus Heintzen, Professor an der FU Berlin, der taz. Auf eine Genehmigung einer Versammlung zu bestehen, sei nicht möglich – auf eine Anmeldung aber eben schon.

Auf den ersten Blick passe das zwar nicht zu Artikel 8 des Grundgesetzes, das Bundesverfassungsgericht habe jedoch in ständiger Rechtsprechung gesagt, dass dies zulässig sei. Im Grundgesetz steht das Recht festgeschrieben, „sich ohne Anmeldung und Erlaubnis friedlich zu versammeln“.

Markus Heintzen, Jurist, FU Berlin

„Wenn die Stadt auf die Anmeldung einer Versammlung besteht, sehe ich kein juristisches Problem“

Gegen die Verfügung der Stadt kann geklagt werden. Das Verwaltungsgericht schreibt jedoch auf taz-Nachfrage, dass derzeit keine Klage dazu vorliegt.

Die Letzte Generation Braunschweig sieht in der Aktion der Stadt den Versuch, „den Protest gegen die verfehlte Klimaschutzpolitik zu kriminalisieren“. Das Einzige, was den Protest verhindern könne, sei allerdings effektiver Klimaschutz, schreiben Maria Heß und Axel Hake der taz. Seit der Verfügung habe man an drei Tagen protestiert, teils ohne Kleben, aber immer unangemeldet – „um zu zeigen, dass wir uns nicht abhalten lassen“.

Die beiden kritisieren zudem, dass die Verfügung nicht durch den Rat der Stadt legitimiert sei, und stellen ihre Rechtsstaatlichkeit infrage. Ein Gesprächsangebot, das man dem Bürgermeister im Mai gemacht habe, sei unbeantwortet geblieben, so Heß und Hake. Er habe zu einem späteren Anlass zudem gesagt, dass die Grundlage für Gespräche legale Protestformen seien.

Die Ratsfraktion der Grünen war „irritiert“ von der Allgemeinverfügung. Man habe selbst nichts damit zu tun, sagte die Fraktionsvorsitzende Lisa-Marie Jalyschko direkt nach der Entscheidung. Das Einschränken des Versammlungsrechts zum Zwecke der Verhinderung von Klimaprotesten sei „juristisch sehr fragwürdig“ und müsse geprüft werden. „Die Kriminalisierung von Klimaprotesten mit Bußgeldandrohungen ist ein nicht nachvollziehbarer Schritt für eine Stadt mit rot-grüner Ratsmehrheit.“

Auch ein Grüner aus Hannover meldete sich zu dem Konflikt zu Wort. Timon Dzienus, einer der beiden Bundessprecher der Grünen Jugend, sagte der Braunschweiger Zeitung: „Hannover macht es besser. Der grüne Oberbürgermeister Belit Onay hat Gespräche mit den AktivistInnen geführt. Seitdem gibt es keine Straßenblockaden mehr.“ Wer mit Strafen drohe, komme dagegen nicht weiter.

Von Freisprüchen bis Haftstrafen

Die von Dzienus angesprochene Einigung zwischen Onay und den Ak­ti­vis­t*in­nen ist von Anfang des Jahres und besagt, dass es keine Klebeaktionen mehr gibt und der Bürgermeister die Forderung nach einem Bür­ge­r*in­nen­rat auf Bundesebene unterstützt.

Auch ohne Allgemeinverfügung wie hier in Braunschweig laufen die Straßenblockaden für die Letzte Generation nicht immer glimpflich ab. Einige Ak­ti­vis­t*in­nen sind bereits vor Gericht gelandet. Eine Kriminalisierung des Protests findet auch außerhalb von Gerichtssälen statt, wie eine Razzia im Mai zeigte.

Im juristischen Streit, ob die Straßenblockaden der Letzten Generation von der Versammlungsfreiheit gedeckt sind, entschied zuletzt im Juli ein Leipziger Gericht, fünf Ak­ti­vis­t*in­nen von dem Vorwurf der Nötigung freizusprechen. Doch es wurde auch schon anders geurteilt: So wurde Ende vergangenen Jahres ein Aktivist in Freiburg zu einer Geldstrafe verurteilt. Auch Haftstrafen gab es bereits – Rich­te­r*in­nen urteilen in diesem Bereich unterschiedlich.

Heß und Hake aus Braunschweig erleben „eine starke Welle der gesellschaftlichen Solidarität gegen die Kriminalisierung“. Braunschweig ist nicht die erste Stadt mit solch einer Regel. München habe damit begonnen, schreiben Heß und Hake, Vergleichbares gebe es derzeit in Stuttgart, Aschaffenburg, Nürnberg – und in Celle sei dies in Vorbereitung.

Ob die Stadt Braunschweig die Allgemeinverfügung über August hinaus verlängern will, stehe noch nicht fest, schreibt ein Sprecher.

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