Olympischer Nationalismus: Nationen verdienen kein Gold

Der Medaillenspiegel bei Olympia ist nach Ländern sortiert. Doch es sind die Sportler*innen, die siegen. Höchste Zeit, den Sport zu demokratisieren.

Ganz vorne in der Nationenwertung: Die Basketballerin Diana Taurasi feiert den Gewinn der Goldmedaille für die USA in Paris Foto: Brian Snyder/reuters

Worum geht es hier? Die USA vorne, dicht gefolgt von China und mit Abstand dahinter Japan. Werden hier Bruttoinlandsprodukte verglichen? Nein, es ist der Medaillenspiegel der Olympischen Spiele, der Gold-, Silber- und Bronzemedaillen pro Nation bilanziert.

Dass die USA und China vorne liegen, deutet an, dass es sehr wohl ein wenig Auskunft über politische und wirtschaftliche Stärke gibt, was hier mit den Mitteln des Sports gezeigt wird. Zugleich hat es viel mit der jeweiligen Sportförderung zu tun, die etwa in Frankreich staatlich orchestriert sehr auf die Spiele in Paris fokussiert war, wie man es in Westdeutschland von den Münchner Spielen 1972 kennt.

Schon dass der Sport durch Verbände wie das IOC sportliche Stärke nationalistisch sortieren lässt, informiert uns darüber, wie die Welt derzeit beschaffen ist.

Zudem spiegeln die Ergebnisse auch die Globalisierung wider: Mehr Sieger und Siegerinnen aus kleinen Ländern bedeutet weniger Medaillen für Großmächte. Weltstars kamen eben in früheren Jahrzehnten nicht aus Saint Lucia, Algerien oder Israel. Und dass es eine Bronzemedaillengewinnerin aus dem Team Refugees gibt, eine Frau, die wegen ihrer Homosexualität aus Kamerun flüchten musste, sagt einiges über den Zustand der Welt 2024.

Schon dass der Sport durch Verbände wie das IOC sportliche Stärke nationalistisch sortieren lässt, informiert uns darüber, wie die Welt derzeit beschaffen ist. Dabei ginge es auch anders: Man könnte Sportler und Sportlerinnen ja als Individuen behandeln, die, wenn sie als Staffeln oder Teams antreten, sich über sportinterne Netzwerke finden, nicht über Staatsangehörigkeit.

Nationalwertung erstmals bei Olympia 1936 in Berlin.

Oder bei den Gay Games der queeren Community treten Sportler und Sportlerinnen für ihre Städte an, nicht für Staaten. So etwas nähme bei Olympia schon sehr viel Druck aus dem nationalistischen Kessel – wenn es denn gewünscht wäre.

Aufgekommen ist die Nationenwertung erstmals bei Olympia 1936 in Berlin. Nicht etwa auf Geheiß der NS-Oberen, auch wenn denen der Gedanke gefallen hatte. Aber Goebbels’ Propagandaministerium untersagte „die Aufstellung von Punktlisten für die Olympischen Wettkämpfe“, weil einige Zeitungen es arg plump machten. Deutschland hatte übrigens 1936 die Nationenwertung gewonnen.

Worum also geht es hier? Olympische Spiele sind ja tatsächlich die Bühne für nationale und nationalistische Selbstdarstellung. Das ist kein Missbrauch irgendeiner aus dem Hut gezauberten olympischen Idee, sondern es passt wunderbar zu den Bedingungen, die das IOC stark gemacht haben. Zugleich aber ist die Kritik an diesen schrecklichen Statistiken ein schöner Fingerzeig, dass der Sport dringendst demokratisiert werden muss.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1964, freier Mitarbeiter des taz-Sports seit 1989

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Ihren Kommentar hier eingeben