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Ökonom zu Habecks Sozialabgaben-Vorstoß„Die Idee scheint mir ziemlich unausgegoren“

Die Grünen wollen auch Kapitalgewinne mit Sozialabgaben belegen. Das löse jedoch nicht das Finanzierungsproblem der Krankenkassen, sagt Ökonom Friedrich Breyer.

Visite im Krankenhaus: Wer zahlt wie viel fürs Gesundheitssystem? Foto: Karsten Thielker

taz: Herr Breyer, wie steht es um die Finanzierung unseres Gesundheitssystems derzeit?

Friedrich Breyer: Die Krankenkassen haben einen größeren Finanzbedarf als von der Bundesregierung vorhergesehen, die Beitragssätze sind in diesem Jahr besonders stark gestiegen. Wir haben ein Ausgabenproblem in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Alterung der Gesellschaft und vor allen Dingen der medizinische Fortschritt schlägt sich jetzt nieder. Gleichzeitig hat Deutschland eine stagnierende Wirtschaft, in der Industrie gibt es Arbeitsplatzabbau, die Einkommen und damit die Basis für die Beiträge wachsen nicht stark. Und damit werden die Beitragserhöhungen bei der Kranken- und Pflegeversicherung zum Problem.

taz: Wie kann das weiter­gehen?

Breyer: Es kommt darauf an, wie viel die jüngere Generation bereit ist von ihrem Einkommen für ständig steigende Beitragssätze auszugeben. 2019 hatte der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) versprochen, der Gesamtbeitrag zur Sozialversicherung werde nicht über 40 Prozent steigen. Inzwischen sind wir im Durchschnitt bei 42,3. Irgendwann wird eine Grenze erreicht sein.

taz: Robert Habeck hat als Lösung vorgeschlagen, Sozial­abgaben nicht nur auf Lohneinkommen, sondern auch auf Kapitalgewinne zu erheben. Wie finden Sie das?

Breyer: Die Idee von Habeck scheint mir im Moment ziemlich unausgegoren. Denn solange man nicht den Kreis der Versicherten ändert, belastet man nur jene gesetzlich Versicherten stärker, die zusätzliches Kapitaleinkommen haben. Bleibt die Beitragsbemessungsgrenze auf der Höhe, auf der sie ist, wird sich nicht viel ändern. Die Frage ist doch: Wie schafft man es, die Privatversicherten an der Umverteilung innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung zu beteiligen?

taz: Wieso wird Kapital anders behandelt als Lohn?

Breyer: Dafür muss man ausholen. Als die gesetzliche Krankenversicherung Ende des 19. Jahrhunderts gegründet wurde, war ihr hauptsächlicher Zweck die Lohnfortzahlung, das heutige Krankengeld. Wenn die hauptsächliche Leistung das Krankengeld ist, dann ist natürlich auch die Bemessung an den Löhnen die richtige Finanzierung. Eine Person mit höherem Lohn erhält im Krankheitsfall auch eine höhere Lohnfortzahlung. Inzwischen ist die Lohnfortzahlung aber nur noch etwas über 6 Prozent der Krankenkassenausgaben. Jetzt wirkt der Beitrag wie eine Steuer, weil die Leistung völlig unabhängig ist von dem, was man an Beiträgen gezahlt hat. Und da könnte man sich grundsätzlich auch andere Bemessungsgrundlagen vorstellen.

taz: Die Grünen und auch die SPD fordern in ihren Wahlprogrammen eine Bürgerversicherung. Meinen Sie, Herr Habeck will darauf hinaus?

Breyer: Seit der Rürup-Kommission, seit 20 Jahren kämpfen die linken Parteien – die SPD und mit ihr auch die Grünen und die Linkspartei – für eine Bürgerversicherung. Es kommt bei jedem Wahlkampf wieder. Unter einem Gerechtigkeitsgesichtspunkt wäre das auch völlig richtig. Doch per Gesetz alle Bürger in die GKV zu zwingen wäre eindeutig verfassungswidrig. Das gilt mit Sicherheit für die Bestandsversicherten bei den privaten Krankenversicherungen (PKV). Und selbst wenn man nur den Zugang neuer Versicherter zur PKV sperren wollte, wäre Artikel 12 Grundgesetz (Freiheit der Berufsausübung) berührt. Was Habeck praktisch will, ist also eine Bürgerversicherung, ohne es Bürgerversicherung zu nennen. Weil er eigentlich weiß oder seine Berater wissen, dass die Bürgerversicherung jetzt nicht so Knall auf Fall eingeführt werden kann.

taz: Welche anderen Optionen gäbe es denn, um die gesetzliche Krankenversicherung zu finanzieren?

Breyer: Man kann eine Kopfpauschale einführen in der GKV. Dann wäre der Kassenbeitrag für alle Erwachsenen gleich hoch, und dazu käme ein steuerfinanzierter Sozialausgleich.

taz: Pauschalen belasten aber kleine und mittlere Einkommen überdurchschnittlich stark.

Breyer: Keiner zahlt mehr als einen bestimmten Prozentsatz, zum Beispiel 17 Prozent seines Einkommens, so wie es heute auch der Fall ist. Alle Leute mit unterdurchschnittlichem Einkommen bekommen etwas vom Finanzamt zurück, nämlich beim Lohnsteuerjahresausgleich. Und wer gar nichts verdient, der bekommt den gesamten Beitrag erstattet, und zwar den durchschnittlichen Beitrag aller Kassen, in Form einer Steuerrückzahlung. Damit wären auch Privatversicherte an den Kosten der GKV beteiligt.

taz: Es scheint verhakt zu sein. Was wäre denn aus Ihrer Sicht ein erster Schritt hin zu einer Finanzierungsreform des Gesundheitssystems?

Breyer: Unser Sozialsystem ist kompliziert und es gibt keine Stellschraube, die man mal eben so drehen kann, und schon ist der Beitragssatz um ein halbes Prozent geringer. Das geht nicht. Was hilft, sind große Reformen. Neben der Beitragsfinanzierung wird man auch über Leistungseinschränkungen diskutieren müssen. Das kann man nicht in einem ersten Schritt mal machen, dazu braucht es eine Kommission; dann wird wahrscheinlich im Bundestag Jahre darüber gestritten werden müssen.

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18 Kommentare

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  • Was für eine eigenartige Idee

    Das geht voll zu Lasten des Kleinsparers und der Mittelschicht.



    Leute mit großen Kapitalvermögen sind schon in Privatversicherungen oder werden damit von der freiwillig gesetzlichen Versicherung in die Privatversicherung getrieben.

    Kapitalerträge in Form von Dividenden auf Aktien werden aktuell eh schon mit über 50% besteuert. Zuerst mit 30% auf die Nettorendite des Unternehmens von dem man über den Aktienanteil ja einen Teil besitzt und dann nochmals 25% auf die Kapitaleinkünfte.

    Vor Jahren teilte man dem angestellten Kleinsparer mit, dass er neben der gesetzlichen Rentenversicherung eine zusätzliche private Rücklage für die Rente aufbauen muss. Für Beamte war dies nicht erforderlich, da der Staat in ausreichendem Maße selbst für hohe Pensionsrückstellungen sorgt. Nun greift Robert Habeck einseitig auf die Rücklagen der Angestellten zu und mindert damit deren verfügbare Gelder für das Rentenalter. Bevor wir überhaupt in diese Richtung denken, müssen daher auf jeden Fall zuerst die Pensionsrückstellungen der Beamten angegangen werden.

    • @Andere Meinung:

      Wenn Kapitalerträge privates Einkommen sind, sollten sie auch als solche versteuert werden.

  • Habe ich richtig verstanden? Man kann große Einkommen nicht stärker heranziehen, weil man die Freiheit zur Berufsausübung (Versicherungsanbieter?) nicht antasten darf, aber Leistungseinschränkungen für gesetzlich Versicherte, also bei deren Gesundheitsversorgung sind denkbar?

  • Und wieder zeigt Habeck seine Unfähigkeit.



    Es wird keinen einzigen Reichen treffen, die liegen alle schon jetzt über der Beitragsbemessungsgrenze oder sind privat versichert. Mit seinem Vorschlag greift er nur den hart arbeitenden Menschen in die Tasche die unter der Beitragsbemessungsgrenze liegen und z.B. für ihre Altersvorsorge über Jahre hinweg sparen oder um sich eine Wohnung kaufen zu können. Allerdings ist von den Grünen Nichts anderes zu erwarten.

    • @Filou:

      Mache Sie sich bitte mal ganz genau schlau, wie es jetzt läuft! Und dann fällen Sie ihr Urteil.

  • Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Parteien, welche den Souverän, sprich das Volk, vertreten, und sich gleichzeitig die Gleichbehandlung aller Menschen, sei es aufgrund christlicher oder linker Überzeugungen, auf die Fahnen schreiben, müssten für eine faire und sozial-gerechte Bürgerversicherung stehen. Das zusätzliche Geld könnte dann für einen niedrigeren Beitrag bei besserem Service für alle genutzt werden. Wem das dann immer noch nicht genug ist, kann sich privat zusatzversichern.



    Leider machen aber fast alle Parteien Politik für die reichen Eliten dieses Landes. Daher bleibt es auch bei der aufsplittung in gesetzliche Krankenkasse für die ärmere, arbeitende Bevölkerung und private Krankenkasse für die Eliten und reichen Menschen. Das selbe gilt auch bei der Besteuerung. Wer viel Geld hat, zahlt weniger und kann das gesparte Geld zur weiteren Kapitalmehrung nutzen.



    Deutschland ist ein zutiefst ungerechtes Land. Allein das wäre schon Grund genug um das Grundgesetz zu ändern, wenn es der Behebung der Ungerechtigkeit im Weg steht.

    • @Okti:

      Um Gerechtigkeit herzustellen muss dieser Grundgesetz-Unfug weg! Der Souverän, das Volksempfinden, bla bla bla... ist Ihnen eigentlich klar, welcher Sprache Sie Sich da bedienen?

  • Bürgergeldempfänger, Ukrainer, Asylbewerber, Illegale, Familiennachzügler, nicht oder gering erwerbstätige EU-Ausländer - alle belasten die GKV. Das wird erst auf den zweiten Blick deutlich, denn das wird schöngeredet wie folgt: "das Sozialamt trägt die Kosten usw..." Aber real sind all diese Leute zum geringsten Satz versichert, und nehmen den Versicherungsschutz oftmals ausgiebig in Anspruch.



    Klar, daß es für den wackeren Beitragszahler dadurch immer teurer wird.

    • @Der Erwin:

      Absolut richtig. Darüber wird genausowenig gesprochen wie über den Energieverbrauch in sozialtransfer-haushalten. Was (mich) nichts kostet, ist subjektiv nichts wert und wird uneingeschränkt in Anspruch genommen.

  • Veggie-Day 3.0



    „Die Idee scheint mir ziemlich unausgegoren“



    Und fliegt den Grünen um die Ohren.



    --



    Und die Wähler*innen von rot/grün fühlen sich verloren.



    (Ich gehöre dazu.)



    „Unausgegoren." Bisher hatte ich das Wort vermieden. Hätte er doch einfach nur gesagt: „Wir müssen die Basis für die Krankenkassenbeiträge verbreitern. Dafür wollen wir ein sozial ausgewogenes Konzept erarbeiten."

  • "Das löse jedoch nicht das Finanzierungsproblem der Krankenkassen"



    muß es auch gar nicht. Aber es trägt dazu bei und dient gleichzeitig der Gleichbesteuerung.



    Nur die offene Flanke von Habeck, dass er nicht gleich plakativ verkündet hat, dass es nur um Besteuerung höherer Zinserträge geht, ist unglücklich, das fliegt den Grünen um die Ohren

    • @nutzer:

      Sie sollten sich den Unterschied von Steuern und Abgaben klar machen, sowie deren Auswirkungen zum Stichwort Beitragsbemessungsgrenze.



      Im Resulat bezahlt ein pflichtversicherter Multimillionär das gleiche an Abgaben wie ein gehobener Angestellter. Bei einer Steuer eben nicht.

    • @nutzer:

      Höhere Zinserträge werden bereits besteuert, und unterliegen zusätzlich dem Soli.

    • @nutzer:

      Die Idee ist einfach Quatsch!



      Es werden eben nicht nur die höheren Zinserträge besteuert, da die Beitragsbemessungsgrenze dem entgegensteht.



      Klar kann man natürlich die Beitragsbemessungsgrenze abschaffen, aber damit haben wir dann die nächste Bombe gegen die Sturm gelaufen wird.

      Und die Leute sind zurecht auf der Zinne, wenn die Menschen daran denken das die Grünen keinen Plan über die finanzielle Lage der Menschen haben (zb Ricarda Lang mit ihrer Schätzung der Durchschnittsrente, oder Habecks Verständnis zu Insolvenz).

      Die Grünen haben einfach kein gesundes Verhältnis zu Geld und auch keinen realistischen Blick auf die Welt.

      Die Grünen sind das Problem im demokratischen Spektrum, weil sie einfach nicht bereit sind die Realität anzuerkennen.

  • Inwiefern berührt eine mögliche Einschränkung von Neuzugängen zur PKV Artikel 12?

  • „Leistungseinschränkungen“ - der feuchte Traum von CDU/FDP/AfD in ihren Umverteilungsfantasien von unten nach oben. Gesundheit nur noch für Reiche; dann sterben halt vor allem arme Rentner früher und liegen dem Staat nicht mehr auf der Tasche und es bleibt dann viel für Kriegstüchtigkeit und staatliche Infrastruktur übrig.

  • "Alle Leute mit unterdurchschnittlichem Einkommen bekommen etwas vom Finanzamt zurück, nämlich beim Lohnsteuerjahresausgleich."

    Toller Vorschlag. Menschen müssen monatlich ihre Kosten decken und nicht erst nach der Steuererstattung. Jene mit unterdurchschnittlichem Einkommen leben von der Hand in den Mund ...

  • Erst mal klären, ob man mit den Versicherungen umverteilt oder ob man die Einkommens-, Kapital- und Vermögenssteuern entsprechend stärker dafür einsetzt.



    Wenn man einen sozialen Faktor haben möchte, muss der Arzt dennoch dasselbe an Geld bekommen, dass er/sie/es wieder nach medizinischen Gesichtspunkten handeln kann, ohne sich selbst abzustrafen.

    Die teuren Privaten und die Pseudo-Konkurrenz mit Globuli und Marketing-Gedöns jedenfalls auslaufen lassen und eine Art NHS schaffen, nur mit ausreichend Ressourcen, immer noch günstiger als das Jetzige. Keine Deckelung bei den Sätzen, keine Ausnahmegruppen. Da erwarte ich von allen Parteien, dass sie Wähler höher bewerten als Spendierer.



    Private Kassen können ja immer noch zum Zusatzkassengeschäft für das Einzelzimmer übergehen.