Nach Messerangriff auf Paar in Dresden: Homophober Attentäter vor Gericht
Der mutmaßliche Islamist Abdullah H. soll einen Mann ermordet und dessen Partner schwer verletzt haben. Den Behörden war er als Gefährder bekannt.
Am Montagmorgen betritt nun der Mann das Oberlandesgericht Dresden, der für den Angriff verantwortlich sein soll: Abdullah H., ein 21-jähriger Syrer, Locken und kurzer Bart, ärmlich aufgewachsen in einer elfköpfigen Familie, 2015 nach Deutschland gekommen, seit vier Jahren von den Sicherheitsbehörden als islamistischer Gefährder eingestuft. Regungslos blickt er in die Kameras, die Handschellen muss er auch auf der Anklagebank anbehalten.
Die anklagende Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass Abdullah H. den Angriff aus islamistischen, homophoben Motiven beging. Damit ist der Mord der einzige tödliche Islamistenangriff im vergangenen Jahr in Deutschland – und der erste, der sich hierzulande explizit gegen Schwule richtet.
Schon in einer, bis kurz vor der Tat verbüßten, Haft habe Abdullah H. seinen Anschlagsplan gefasst, verliest Marco Mayer, Vertreter der Bundesanwaltschaft, die Anklage. Kurz nach der Entlassung Ende September 2020 habe er deshalb mehrere Küchenmesser gekauft, sei am Tatabend auf der Suche nach „Ungläubigen“ in die Dresdner Altstadt gefahren.
Homophobes Motiv zunächst verschwiegen
Dort habe er dann Thomas L. und Oliver L. als homosexuelles Paar erkannt und sie unvermittelt mit zwei Messern angegriffen. Die Männer erlitten tiefe Wunden, eine 20 Zentimeter lange Klinge blieb im Rücken von Thomas L. stecken. Als die Angegriffenen sich wehrten und um Hilfe riefen, sei Abdullah H. geflüchtet. Thomas L. starb wenig später im Krankenhaus, Oliver L. wurde durch eine Notoperation gerettet. Zwei Wochen später wurde Abdullah H. anhand von DNA-Spuren überführt und verhaftet.
Mayer wirft dem Angeklagten Mord, versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung vor. Abdullah H. habe seine Opfer als Repräsentanten einer als ungläubig verhassten, offenen Gesellschaft gesehen und ihre Homosexualität als „schwere Sünde empfunden, für die er die beiden mit dem Tode bestrafen wollte“.
Diese klaren Worte gab es nicht immer. Denn das auch homophobe Motiv benannten die Behörden nach der Tat zunächst nicht. Ein Sprecher der zuerst ermittelnden Staatsanwaltschaft Dresden antwortete auf Fragen nur, zur sexuellen Orientierung von Opfern äußere man sich nicht. Initiativen wie der Lesben- und Schwulenverband Deutschland kritisierten das Schweigen scharf: Die Gewalt gegen LSBTI werde so unsichtbar gemacht und öffentliche Solidarität verhindert. Auch reagiere die Spitzenpolitik zu verhalten auf den Mord. Die Verbände organisierten schließlich selbst Mahnwachen.
Dabei lässt Abdullah H. keinen Zweifel an seinem Motiv. Im Prozess will er sich zwar nicht äußern, wie sein Anwalt am Mittwoch dem Gericht mitteilt. Auch auf die Anklage zeigt der 21-Jährige keine Reaktion. Auch nicht, als später ein aussagender Polizist mit der Fassung ringt, als er von den Schwerverletzten am Tatort berichtet und wie sich Oliver L. immer wieder nach seinem Freund erkundigte und Thomas L. schließlich sagte, er könne nicht mehr und bewusstlos wurde. Oder als Rechtsmediziner schildern, dass auch Oliver L. „unglaubliches Glück“ gehabt und Nahaufnahmen der Verletzungen und Obduktion kommentieren.
Sicherungsverwahrung droht
In der Haft aber redete Abdullah H. sechseinhalb Stunden mit dem renommierten forensischen Psychiater Norbert Leygraf, der nun als Zeuge auftritt. Ruhig und abgeklärt habe H. mit ihm über seine Tat gesprochen, berichtet Leygraf. „Als ob er über das Normalste der Welt reden würde.“
Demnach bestätigte Abdullah H. ihm, dass er schon in der Haft den Plan fasste, „Ungläubige“ zu töten, und deshalb später die Messer kaufte, mit denen er in die Altstadt fuhr. Dort sei er zunächst anderen Personen gefolgt, habe dann aber Oliver L. und Thomas L. gesehen, die sich an den Händen gehalten und gelöst gelacht hätten. Darauf habe er sie als Ziel erkoren – und nach kurzem Zögern angegriffen.
Nach seiner Flucht habe sich Abdullah H. zunächst in einem Gebäude versteckt, so Leygraf. Erst am Morgen sei er nach Hause gegangen und habe die Tat als „gut gelaufen“ bezeichnet: Er sei nicht erkannt worden und könne nun „größere Taten“ begehen oder zum IS nach Syrien ausreisen. Auch nach der Festnahme hat Abdullah H. laut Leygraf die Tat verteidigt: Homosexuelle dürfe man schlagen oder töten, da Gott nur Beziehungen zwischen Mann und Frau vorsehe. Bedauern äußerte H. nur darin, dass er nicht entschlossen genug vorging. Er hätte größere Messer mitnehmen und sich vor der Tat mit IS-Angehörigen beraten sollen. „Die Tat sei kein Fehler gewesen“, zitiert Leygraf den Angeklagten. Auch habe dieser offen kundgetan, künftig wieder „Ungläubige“ zu töten. „Aber erst, wenn er sich darüber beraten habe, denn es müsse auch richtig geschehen.“
Die Anwälte von Oliver L. und der ebenso als Nebenklägerin zugelassenen Schwester des ermordeten Thomas L., auch sie nicht im Saal, äußern sich zum Prozessauftakt vorerst nicht. Auch für sie bleibt aber die Frage, ob die Sicherheitsbehörden die Tat nicht hätten verhindern können.
Denn diese hatten Abdullah H. schon länger im Visier. Schon Anfang 2016 drohte er in seiner Asylunterkunft einem christlichen Mitgeflüchteten, er werde ihn „schlachten“. Auf seinem Facebook-Account postete H. IS-Symbole, sinnierte in einer Chatgruppe über eine Ausreise zum IS in Syrien und bat um Bauanleitungen für Sprengstoffgürtel. Er selbst verschickte IS-Videos und rief einen Chatpartner zu Mordanschlägen auf.
Die Polizei stufte Abdullah H. darauf als Gefährder ein. Ein Jahr später wurde er für die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und anderer Delikte zu knapp drei Jahren Haft verurteilt. Als er in der JVA zwei Bedienstete angriff, wurde die Strafe um mehrere Monate verlängert. Nach der Haftentlassung sollte sich Abdullah dreimal wöchentlich bei der Polizei melden und an einem Deradikalisierungsprogramm teilnehmen. Schon am fünften Tag in Freiheit aber verübte er seine Messerattacke. Obwohl er da auch unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stand – allerdings nicht zur Tatzeit.
Abdullah H. droht nun eine lebenslange Haft, auch Sicherungsverwahrung, sofern er nicht nach Jugendstrafrecht verurteilt wird, worauf sein Verteidiger zielt. An der Täterschaft selbst gebe es ja nichts zu deuteln, sagt Peter Hollstein. „Er hat die Tat eingeräumt, er hielt sie aus seinen religiösen Motiven für richtig.“ Das Urteil soll Ende Mai fallen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Scholz zu Besuch bei Ford
Gas geben für den Wahlkampf