Möglicher Sturz des Regimes in Iran: Keine spontane Heilung
Was nach einem Sturz des Regimes in Teheran passieren würde, ist gänzlich unklar. Das Fehlen jeglicher Systemalternative ist beängstigend.
D ie meisten Iraner und Iranerinnen kennzeichnet ein ausgeprägtes Nationalbewusstsein; so ist es im Inland wie im Ausland. Das könnte eine gute Voraussetzung sein für eine organisierte politische Opposition, in enger Abstimmung mit der Expertise von Protagonisten im Exil. Die Realität ist indes anders: Weder im Inland noch im Ausland ist eine demokratische Kraft erkennbar, die in Teheran Verantwortung übernehmen könnte, wenn das jetzige System implodiert. Und es scheint in erschreckendem Maße unklar, was überhaupt an dessen Stelle treten soll.
Es ist richtig, für die Proteste Partei zu ergreifen, und der Mut der Kämpfenden schreibt Emanzipationsgeschichte. Und doch wächst Tag für Tag meine Beklemmung und meine Furcht, Iran gehe entweder einer Militärdiktatur oder einem Staatszerfall entgegen.
Wer auf die gegenwärtige Situation analytisch blickt, statt sich allein moralisch zu positionieren, wird leicht der Sympathie für die Islamische Republik verdächtigt. Deshalb sei vorausgeschickt: Die Frauen und Männer in Iran haben jedes Recht der Welt, so zu protestieren, wie sie es für richtig halten. Unübersehbar aber ist zugleich, wie der Mangel an politischer Repräsentanz sie zusätzlich verletzlich macht und dem Sicherheitsapparat ausliefert. In hiesigen Medien aber ist es üblich geworden, an den Zahlen der Getöteten zu messen, wie stark die Bewegung ist, als seien Todeslisten ein Ersatz für Manifeste.
Wie könnte sich ein künftiger Iran, im Einklang mit seiner Kultur, seiner Geschichte und seiner sensiblen geostrategischen Lage in Westasien definieren? Mit welchem Wirtschaftssystem, welcher Außenpolitik? Wie seine Ressourcen und Grenzen schützen? Auf alle diese Fragen gibt es keine Antwort.
Keine Vision, die Vertrauen findet
Stattdessen höre ich: Dies ist ein revolutionärer Moment, es gibt kein Zurück, Staat und Regime müssen stürzen, und zu dessen Beschleunigung soll Deutschland seine Beziehungen zu Iran abbrechen. Müsste es nicht Teil politischer Verantwortung sein, eine Systemalternative zu erörtern, mit aller verfügbaren internationalen Kompetenz, und daran auch den Takt eigener Forderungen auszurichten?
In 43 Jahren Islamischer Republik ist es der großen westlichen Diaspora mit so vielen hervorragenden Individuen in Wissenschaft und Politik nicht gelungen, eine Vision oder ein Übergangsmodell hervorzubringen, das im Land selbst auf Anklang stoßen würde, gar Vertrauen fände. Während in Iran eine hochdiverse Gesellschaft entstanden ist, stechen aufseiten des Exils immer noch (oder wieder) Gestrige hervor: die autoritäre Sekte der Volksmudschaheddin und die Monarchisten. Der gewachsene Einfluss Letzterer zeigt sich an der Popularität eines beschönigenden Blicks auf die Schah-Zeit: als hätte die Masse der Iraner und Iranerinnen damals besser und freier gelebt.
Gesellschaft ohne Schuld?
Die Überzeugung, in jenem Moment, da das herrschende Regime implodiert, werde es eine spontane Selbstheilung der Gesellschaft geben, eine intuitive Befähigung, alles auf gute Weise in die Hand zu nehmen, entspringt gewiss der Liebe zum Land. Andererseits zeigt sich gerade hier die verhängnisvolle Wirkung von Nationalstolz. Die Annahme, die iranische Zivilisation sei besonders hochstehend und in der Islamischen Republik demütige eine exzeptionell miese Herrscherclique ein exzeptionell wertvolles Volk, nährt ein künstliches, rosig homogenisiertes Iran-Bild. Typisch dafür ein Satz der Comedian und Aktivistin Enissa Amani: „Diese Diktatur hat seit vier Jahrzehnten ein ganzes Land mit allen darin lebenden Völkern gekidnappt.“ Eine Gesellschaft ohne Schuld und Mitverantwortung als Geisel einer Clique von Verbrechern?
In Iran habe ich solcher Art Holzschnitt nie angetroffen. Für einen Großteil der westlichen Öffentlichkeit saß hingegen in Teheran immer schon das exzeptionell Böse. Donald Trump rühmte die hochstehende iranische Seele, um sie dann mit seinen Sanktionen zu knechten. Auf progressiver Seite hat die Fixierung auf die Spezifik Irans, auf ein einzigartiges polit-religiöses System, wiederum verhindert, die Erfahrungen mit anderen autokratischen Regimen zu Rate zu ziehen, etwa der revolutionären Bewegungen Ägyptens und jüngst des Sudans.
Iran nur an Iran gemessen
Weil Iran stets nur an Iran gemessen wird, geht nun der Vergleich mit 1979 um – obwohl eigentlich die Unterschiede zu damals überwiegen. Die Gesellschaft hat sich durch Bildung, Verstädterung, moderne Infrastruktur grundlegend gewandelt, und die so entstandene Heterogenität erklärt zum Teil, warum sich keine Systemalternative entwickelt. 1979 galt der Schah ja nicht nur als Diktator, sondern als Marionette des Westens. Sein Sturz wurde durch eine Vision außenpolitischer Unabhängigkeit befeuert, wozu die Hoheit über die eigenen Energie-Ressourcen gehörte.
Und heute? Wie würde sich ein postislamistischer Iran international positionieren, bedrängt von russischen, chinesischen, saudischen, israelischen Interessen? Und was ist mit dem weit entwickelten Nuklearprogramm? Wer den raschen Sturz des herrschenden Regimes wünscht, kann diesen Fragen nicht ausweichen. Verführerisch, wenn nun in den Staatskanzleien westlicher Hauptstädte zan – zendegi – azadi angestimmt wird, als würden Frauen- und Menschenrechte nicht regelmäßig hinter harten Eigeninteressen zurückstehen, siehe die geplanten deutschen Rüstungslieferungen an Saudi-Arabien oder die Geschäfte mit Ägyptens al-Sisi, dem Herrscher über Zehntausende politische Gefangene, der demnächst mit einem Klimagipfel geehrt wird.
Im Umgang mit einem taumelnden Iran werden inmitten eines globalen Energiekrieges nicht Human Rights bestimmend sein, sondern geopolitische Strategien. Und Planspiele der CIA zur Balkanisierung Irans entlang potenzieller ethnischer Bruchlinien wurden schon vor Jahren bekannt.
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