Neue EU-Sanktionen gegen Iran: Schein der Empörung

Die neuen EU-Sanktionen gegen den Iran sind nur das absolute Minimum des Nötigen. Der Aufstand für die Freiheit ist Europas Regierungen gleichgültig.

Protest mit Schild auf dem das Foto von Mahsa Amini zu sehen ist

Protestaktion in Berlin gegen das Regime im Iran, jetzt reagiert auch die EU – etwas Foto: Markus Schreiber/ap

Die Au­ßen­mi­nis­te­r*in­nen der EU haben mehr als vier Wochen gebraucht, um sich überhaupt mit den Protesten in Iran näher zu beschäftigen. Jetzt zeigt sich: Die EU, mit ihnen Deutschland, will gegen die Gewalt des iranischen Regimes nur das absolute Minimum unternehmen.

Vier Wochen sind seit Beginn der Proteste vergangen, die ihren Ausgang im gewaltvollen Tod von Jina Amini nahmen. Die 22-jährige Kurdin wurde am 13. September von der sogenannten Sittenpolizei festgenommen, weil ihr Kopftuch ihr Haar nicht „richtig“ verdeckte. Drei Tage später war sie tot. Bilder und CT-Aufnahmen aus dem Krankenhaus lassen nur erahnen, welche Gewalt die junge Frau erfahren haben muss.

In diesem Monat des Aufstands ist viel passiert. Meist festgehalten auf Handyvideos, weil eine unabhängige Berichterstattung praktisch unmöglich geworden ist. Festgehalten auch durch unzählige Erfahrungsberichte, die trotz Internetsperren und der allgegenwärtigen Bedrohung ihren Weg ins Ausland gefunden haben. Diese Zeugnisse zeigen die rohe Gewalt, die die Staatsmacht gegen die Menschen anwendet.

Frauen werden mitten auf der Straße von Zivilpolizisten und Milizen eingefangen, an den Haaren gezerrt und geschlagen; Schülerinnen misshandelt, vergewaltigt und getötet; Studierende gejagt und verschleppt; Jugendliche inhaftiert und gefoltert.

EU-Regierungen haben nur auf Druck reagiert

Dass die EU so lange gewartet hat, sich zu all diesen Menschenrechtsbrüchen zu beraten, hinterlässt den Eindruck, dass man gehofft hat, dass die Proteste wieder abebben und dass wieder „Ruhe“ einkehrt, ohne dass man etwas tun muss. Man will die Beziehungen zu Iran erhalten und die Atomverhandlungen weiterführen. Nun, aufgrund des internationalen Aufschreis und der weltweiten Solidarität aus der Zivilgesellschaft blieb den EU-Regierungen nichts anderes übrig, als zumindest den Schein der Empörung über die Menschenrechtsverletzungen zu wahren.

Elf Verantwortliche und vier Organisationen sollen sanktioniert werden, das heißt: Vermögen werden eingefroren und die Einreise in die EU verboten. Unter den Sanktionierten soll auch die „Sittenpolizei“ sein. Nur: Nichts davon wird die fundamentalistischen Machthaber schmerzen oder gar davon abbringen vom systematischen Töten.

Die „Sittenpolizei“ besteht in erster Linie aus Menschen ärmerer Schichten, denen Brutalität antrainiert wurde – und zwar von der Machtelite, der bestimmenden Kraft im Land. Auch agiert diese Polizei im Gegensatz zu den Revolutionsgarden nicht im Ausland – das Einfrieren von Vermögen oder Einreisesperren treffen dort also kaum jemanden.

Größtenteils ausgespart wurden wieder einmal die Oligarchen und Kleptokraten – jene, die dieses System der Brutalität aufgebaut haben und erhalten. Also diejenigen, die über die Sittenpolizei bestimmen, diejenigen, die die Befehle für die Menschenrechtsverletzungen geben.

Revolutionsgarden gehören auf die Terrorliste

Weder wurden die berüchtigten Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste gesetzt, noch wurden Sanktionen gegen die höchsten Machthaber im Regime verhängt. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn gab am Rande der EU-Außenminister*innenkonferenz sogar zu, dass man nur „ein paar Individuen“ sanktioniert habe. Harte Sanktionen sollen dann kommen, wenn sich bestätigen sollte, dass das iranische Regime Russland bei seinem Krieg gegen die Ukraine militärisch hilft.

Man sieht also: Es würde gehen. Wenn der politische Wille besteht. Aber die verfolgten Menschen in Iran, die für Menschenrechte und Freiheit protestieren, reichen der EU nicht, um zu wollen. Sie werden weiter verfolgt und getötet. Deutschland und die EU schauen zu.

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Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.

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