Merz im ARD-Sommerinterview: Hohe Mieten? Nur ein Problem für den Staat, sagt Merz
Der Kanzler kritisiert die zu hohen Mieten: Ja, das sei ein Problem. Die Mieter scheinen ihm aber egal zu sein.

D as muss man dem Kanzler lassen. Manchmal hat er richtig gute Erkenntnisse. Beim ARD-Sommerinterview am Sonntagabend zum Beispiel hatte er gleich zwei überraschende Einsichten. Zum einen, dass das ganze Chaos um die Richterwahl am Freitag, das die Koalition gehörig ins Wanken gebracht hat, kein Drama sei. Das hat er wohl sehr exklusiv. Zum anderen aber – und das ist wirklich überraschend – hat er erkannt und klar benannt, dass es in Deutschland ein extremes Problem für Mieter:innen gibt.
In Großstädten, wusste Merz ganz bürgernah zu beklagen, würden bis zu 20 Euro pro Quadratmeter Miete verlangt. Wenn sie das mal hochrechnen, rechnete der Kanzler hoch, komme man für eine 100-Quadratmeter-Wohnung auf 2.000 Euro im Monat. Und das könne sich eine normale Arbeitnehmerfamilie nicht leisten. Noch überraschender: Merz hielt in diesem Zusammenhang sogar eine Deckelung für denkbar. Ist er unter der heißen Sommersonne zum linksradikalen Mietenaktivisten konvertiert?
Natürlich nicht. Denn als Konsequenz aus dem Mietendesaster will der Kanzler nicht etwa den Spekulanten auf die Finger klopfen. Er verspricht auch keine wirklich wirksame Mietenbremse, die staatlich kontrolliert werden müsste. Nein, Merz will stattdessen bei den Ärmsten kürzen, die auf Bürgergeld und Wohnkostenzuschuss angewiesen sind. Damit er dort – wie von ihm erträumt – einen zweistelligen Milliardenbetrag kürzen kann, will er Mieten deckeln – aber nur, wenn der Staat für die Mieten aufkommen muss.
Typisches Vorgehen der konservativen Rechten

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Kurz gesagt: bedürftige Familien kriegen ihre Unterkunft nicht mehr vom Amt finanziert, wenn Wuchermieten verlangt werden. Wo sie dann die kleinere, angeblich günstigere Wohnung herbekommen sollen, in der sie dann zusammenrücken müssten, scheint Merz natürlich egal. Und wie er damit der normalen Arbeitnehmerfamilie hilft, die sich weiterhin keine Wohnung leisten kann, bleibt auch schleierhaft.
Es ist das typische Vorgehen der konservativen Rechten. Statt die eigentlichen Probleme anzugehen, schürt man den Neid auf die angeblich überproportional vom Staat gepamperten Armen. Auf der sicheren Seite bleiben mal wieder nur die Habenden. In diesem Fall die Immobilienkonzerne.
Bundesweit werden rund 160 Milliarden Euro Miete im Jahr bezahlt. Mindestens 10 Prozent, davon darf mal locker ausgehen, dürften dazu durch illegal zu hohe Mietforderungen anfallen. Würde man diesen Wucher durch konsequente Kontrolle stoppen, würde zum Großteil auch der Staat davon profitieren, weil er deutlich weniger für die Kosten der Unterkunft zuschießen müsste. Da kommt man schnell auf den zweistelligen Milliardenbetrag, den Merz gern sparen würde. Aber dafür müsste er etwas von sozialer Marktwirtschaft verstehen. Und nicht nur von Renditen.
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