Maßnahmen gegen Corona: Kluger Mix statt harter Lockdown
Es ist Zeit, dass die Länder eigene Wege gehen, um mit der Pandemie umzugehen. Das entspricht dem föderalen Prinzip und setzt auf Subsidiarität.
I rgendwann in den nächsten Tagen werden die Ministerpräsident:innen der Länder wieder mit Angela Merkel beraten, was gegen die steigenden Infektionszahlen getan werden muss. Solche kurzfristig anberaumten Treffen sind in erster Linie Symbolpolitik. Glaubt wirklich jemand, dass sie sich nach dem Chaos der vergangenen Woche nun auf eine einstimmige und breit akzeptierte Strategie einigen? Das nimmt der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach an und fordert auch, was die Runde beschließen soll: einen harten Shutdown. Das ist nicht nur demokratisch fragwürdig, sondern auch zu eng gedacht.
Ein harter Lockdown wirkt dabei ähnlich wie eine Chemotherapie. Der ganze Organismus wird vergiftet, aber es hilft. Die Nebenwirkungen sind jedoch beträchtlich – Selbstständige in Existenznöten, Schüler:innen, die den Anschluss verlieren, Kinder, die vereinsamen.
Zudem geraten die Befürworter:innen in eine kommunikative Sackgasse. Der Ansporn „Wenn wir jetzt alle durchhalten, dann haben wir es in zwei Monaten, bis zum Sommer, bis Weihnachten geschafft“, klingt allmählich hohl. Ein harter Lockdown wirkt nur, wenn sich alle an die Regeln halten. Das könnte aber gerade im privaten Bereich nur ein durchorganisierter Überwachungsstaat garantieren.
Die Alternative zum Lockdown für alle sind zielgerichtete Therapien, die in einem Jahr Pandemie ja ebenfalls entwickelt wurden. In Spanien gab es vor einem Jahr einen zentral verordneten knallharten Komplett-Lockdown. Nun setzt man dort auf Lockerungen, gepaart mit harten Regeln. Maskenpflicht im Freien, abendliche Ausgangssperren, Reisebeschränkungen, aber auch geöffnete Schulen, Theater und Restaurants. Spaniens Regierungsberater Fernando Simón sagt, es gehe um chirurgische Eingriffe und eine reduzierte Anzahl von Maßnahmen. Das Konzept scheint bislang aufzugehen: Die landesweite Inzidenz liegt bei knapp über 90, in Deutschland bei 130.
Berlin will dieses minimalinvasive Prinzip ebenfalls anwenden: Der rot-rot-grüne Senat mixt bestehende Lockerungen mit einigen Regelverschärfungen. Arbeigeber:innen müssen mindestens die Hälfte der Belegschaft ins Homeoffice schicken und zweimal pro Woche Schnelltests anbieten. Wer ins Museum will, braucht einen negativen Schnelltest. Kitas erhalten eine halbe Million Schnelltests.
Es ist Zeit, dass die Länder eigene Wege gehen dürfen, um mit der Pandemie umzugehen. Mit „Jugend forscht“, wie es Lauterbach nennt, hat das nichts zu tun. Es entspricht dem föderalen Prinzip und setzt auf Subsidiarität statt auf Basta-Politik. Im Idealfall setzt sich die beste Therapie durch.
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