Krieg im Nahen Osten: Keine Parteinahme

Auf beiden Seiten des Nahostkonflikts gehören Fanatiker zu den Regierenden. Die Guten und die Bösen schlechthin gibt es hier nicht.

Ein palästinensisches Mädchen in Gaza auf der Flucht

Ein palästinensisches Mädchen im Gazastreifen auf der Flucht Richtung Süden am Sonntag Foto: Ibraheem Abu Mustafa/reuters

Nein, dieses Mal ist es kein Krieg zwischen Israelis und Palästinensern. Jener Krieg wird seit fast hundert Jahren geführt. Er wurde immer wieder unterbrochen und auf beiden Seiten gab es den aufrichtigen Versuch, eine Friedenslösung zu finden und das Blutvergießen zu beenden. Nur Fanatiker glauben an eine andere Lösung dieses Konflikts als durch einen ausgleichenden Frieden.

Genau diese Fanatiker aber sind inzwischen keine Randgruppen mehr. Auf beiden Seiten des Konflikts gehören sie zu den Regierenden. Dieser Krieg ist ein Krieg, den jüdische und arabische Fanatiker kämpfen. Der Extremismus lebt vom blinden Glauben, und im Heiligen Land leben nun einmal viele Blindgläubige. Sonst wäre es ja auch nicht das Heilige Land. Es sind Glaubende, für die aufklärerisches Denken und Menschenleben wenig bedeuten.

Nein, diese Menschen teilen nicht humanistische Werte, weder auf der arabischen noch auf der jüdischen Seite. Sie denken in Freund-Feind-Schemata. Sie respektieren den anderen nicht. Sie verachten ihn und treten seine Würde ohne Wimpernzucken mit den Füßen. Ich habe nicht die geringste Sympathie für islamistische Bewegungen. Wer meine Bücher und Artikel kennt, weiß das.

Mir ist klar, dass solche Bewegungen nur ein Ziel haben: liberale Demokratien zu zerstören und die offene Gesellschaft nach den Regeln der Scharia zu ersetzen. Beispiele religiöser Diktaturen und die Zersetzung pluralistischer Systeme durch islamisch inspirierte Politiker gibt es genug. Jeder weiß, wie erbärmlich das Leben in solchen Ländern aussieht.

Opfer auf beiden Seiten

Doch diese Erkenntnis führt bei mir nicht dazu, Sympathien für eine nun schon sehr lange andauernde israelische Politik zu hegen, an der aufgrund der Äußerungen von regierenden Politikern rechtsextremistische, ultranationalistische und antidemokratische Kräfte wirken. Ist nicht die eigentliche Ursache des Konflikts, dass auf beiden Seiten Kräfte erstarkt sind, die gar keine Lösung wollen und jede Brutalität zu einer Ausweitung der Kampfzone und zum Zerschlagen des anderen und jeglichen Friedensansatzes nutzen?

Und was machen wir: Demokraten, Liberale, Humanisten aus West und Ost? Wir haben jahrelang zugeschaut und jetzt verpflichten wir uns dazu, Partei zu ergreifen. Jeder von uns weiß, dass der Konflikt nicht an diesem schrecklichen 7. Oktober begonnen hat und dass es brutalisierte Kräfte auf beiden Seiten gibt, die ihn schüren. Unsere Lebenslüge aber heißt: Israel ist das Opfer, Palästinenser sind Aggressoren, Terroristen.

Augenscheinlich ist die Vorstellung unmöglich, dass all diese nichtjüdischen Menschen zu Hause sind, wenn sie sich auf israelischem Territorium aufhalten. Es ist auch ihr Zuhause und wird ihr Zuhause bleiben. Nein, einen Dienst an Israel kann ich unter einer einseitigen Parteinahme für das Agieren dieser israelischen Regierung nicht erkennen. Und auch keinen Dienst, um die Lebenswirklichkeit der Palästinenser zu verbessern.

Eine Staatsräson im Sinne des Grundgesetzes und der historischen Verantwortung Deutschlands, die zweifellos nicht negiert werden kann, müsste indes beides formulieren: sowohl das Existenzrecht Israels und Schutz des jüdischen Lebens als auch ein Ende der Entrechtung der Palästinenser und der völkerrechtswidrigen Besatzung ihrer Heimat. Das aber ist heute nur noch ein Lippenbekenntnis.

Allianz der Aufgeklärten

Eine Allianz der Aufgeklärten, der humanistisch gesinnten Menschen tut not. Nur sie kann verhindern, dass sich die Gräben zwischen Nord und Süd, zwischen West und Ost, zwischen den Kulturen aus unterschiedlichen Traditionen weiter vertiefen. Eine Parteinahme für die Sichtweise des israelischen Staates reicht nicht aus und wirkt am Ende sogar kontraproduktiv.

Sollte irgendetwas Gutes der jetzigen Lage folgen, dann wäre es der Zusammenbruch extremistischer Positionen, sowohl in Israel als auch auf palästinensischer Seite, die Wiederaufnahme der gegenseitigen Anerkennung, angefangen mit der Wiederherstellung des verloren gegangenen gegenseitigen Respekts. Ich bin optimistisch und ich will versuchen zu erklären, warum. Israels Stärke liegt gar nicht in seiner Rüstung und seiner mobilisierbaren Bevölkerung.

Denn die militärische Stärke ist nur eine Bestätigung des Kriegszustands. Die eigentliche Stärke liegt in der kulturellen Dynamik des Landes, die in einem feindlichen Umfeld das Überleben einer demokratischen Struktur ermöglicht hat. In diesem Geist handelte Jitzchak Rabin. Nach dessen Mord durch einen jüdischen Extremisten wurde das säkulare, aufgeklärte Israel von den radikalen Siedlern immer weiter zurückgedrängt. Eine Parallele dazu gibt es auch auf der palästinensischen Seite.

Extremisten, egal wo, sind demografisch im Vorteil, doch sie sind nicht in der Lage, offene Gesellschaften hervorzubringen. Stattdessen zeichnen sie verantwortlich für Abschottung, Krieg und Zerstörung. Das macht sie auf lange Sicht selbstzerstörerisch und nicht überlebensfähig. Wir in Europa dürfen uns die Welt nicht schönreden, auch nicht jene, die uns nahegeht, die uns ans Herz gewachsen ist. Kolonialarchitektur ist schön, Kolonialismus war grausam.

Wir würden uns selbst Respekt damit verdienen, eigene Positionen und die dunklen Kapitel aus der eigenen Vergangenheit kritisch zu sichten. Kein noch so unverdaulicher Speiseplan im Nahen Osten kommt ohne europäische Zutaten aus. Eine Aufarbeitung des kolonialen Erbes und der hegemonialen Einmischung findet bislang nur zaghaft statt. Auch deshalb ist die Suche nach Verbündeten, mit denen keine Wertegemeinschaft gebildet werden kann, unverantwortlich.

Wenn Enklaven aus ihrer Isolation ausbrechen, andere ausgrenzen, sich untereinander endlos bekriegen und auf den Messias warten, sollten wir nicht applaudieren, weder für die eine noch für die andere Seite, und mitmachen schon gar nicht.

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ist 1961 in Ankara zur Welt gekommen. Er lebt seit 1989 in Berlin. Sein letztes Buch ist der Roman „Eurasia“, Babel Verlag, München 2023.

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