Konflikt mit Russland: Wie wehrhaft ist die Ukraine?
2014 waren die ukrainischen Streitkräfte nicht auf Krieg vorbereitet. Das hat sich inzwischen mithilfe der Nato-Staaten geändert.
Wieso braucht die Ukraine überhaupt Waffen aus den USA und Europa?
Gute Frage, schließlich exportiert das Land selbst Waffen und Rüstungsgüter, etwa nach Uganda, Indonesien, Polen, oder Bangladesch. Aber die ukrainischen Streitkräfte haben zwei Schwachpunkte: die Marine und die Luftabwehr. Mit der Annexion der Krim 2014 hat die Ukraine auch einen großen Teil ihrer Flotte verloren. Die Seestreitkräfte bestehen nur aus Booten der Küstenwache, die von den USA und anderen westlichen Ländern beschafft worden sind. Diese „Moskitoflotte“ ist gegen die russische Schwarzmeerflotte wehrlos.
Ganz ähnlich sieht es bei der Luftabwehr aus. Einem massiven Panzerangriff und einer Offensive aus der Luft hat die ukrainische Armee ebenfalls wenig entgegenzusetzen. Deswegen sind die Antipanzer-Raketen vom Typ Javelin, Tausende von britischen NLAW-Antipanzerwaffen und Flugabwehrraketen vom Typ Stinger so bedeutsam, die das Land derzeit aus den baltischen Staaten erhält. Bereits im Oktober hatten die USA die Ukraine mit 30 Javelin-Panzerabwehrraketen-Systemen beliefert. Am 18. Januar sind die ersten NLAW-Granatwerfer aus Großbritannien eingetroffen. Sie sind einen Meter lang, zwölf Kilo schwer und werden von der Schulter aus abgefeuert.
Sind alle Waffen, die derzeit in die Ukraine eingeflogen werden, reine Defensivwaffen?
Nein, nur teilweise. Mit den Flugabwehrraketen und den 48 türkischen Drohnen vom Typ Bayraktar versucht die Ukraine, der russischen Luftüberlegenheit etwas entgegenzusetzen. Doch die sogenannten Bunker Busters vom Typ M141, die die Ukraine diese Tage aus US-Beständen erhält, haben die Aufgabe, „feindliche befestigte Bauten zu neutralisieren“, und können so schwerlich als rein defensive Waffen angesehen werden. Das Gleiche gilt für die US-amerikanischen Hubschrauber, die bisher in Afghanistan im Einsatz waren.
Die Bundesregierung will nun 5.000 Schutzhelme in die Ukraine schicken. Braucht die jemand?
In der Ukraine hält man das für einen schlechten Witz. Der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, fragte, was als nächstes Angebot kommt: Kopfkissen?
Sind die russischen den ukrainischen Streitkräften tatsächlich so stark überlegen?
100.000 russische Soldaten sollen an der Grenze aufmarschiert sein. Ihnen stehen 200.000 ukrainische Soldaten gegenüber. Seit den Zeiten von Carl von Clausewitz, dem preußischen Strategen, geht man davon aus, dass ein Angreifer zahlenmäßig im Verhältnis 3:1 überlegen sein muss, um Erfolg zu haben. Tatsächlich ist die russische Überlegenheit weitaus größer. Laut Radio Free Liberty stehen in Russland 850.000 Personen unter Waffen. In der Luft liegt die russische Überlegenheit bei etwa 13:1.
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Wie hoch ist die Militärhilfe für die Ukraine?
Nach Angaben des Portals Slovo i Dilo (Wort und Tat) hat die Ukraine 2021 von den USA Militärgüter in Höhe von circa einer halben Milliarde Dollar erhalten. Im US-Verteidigungshaushalt sind weitere 300 Millionen Dollar Militärhilfe für die Ukraine vorgesehen. Die USA hat seit 2014 Militärhilfe im Wert von über 2,5 Milliarden Euro an die Ukraine geleistet. Die britische Unterstützung ist fast ebenso umfangreich. London stellte im vergangenen November umgerechnet 2 Milliarden Euro bereit, um die Marine der Ukraine neu aufzubauen. Es sollen Minenjagdboote, moderne Kriegsschiffe und Raketen geliefert werden.
Das ukrainische Militär war 2014 auf einen Krieg nicht vorbereitet. Wie sieht es damit heute aus?
Die Ukraine erlebte tatsächlich zwei derbe Niederlagen durch die prorussischen Aufständischen, 2014 in Ilowaisk und 2015 in Debalzewo. „Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor“ lautet seitdem das Mantra, sowohl in den Medien als auch in der Armeeführung. Ein drittes Mal sollen die Aufständischen keinen ähnlichen Sieg mehr erringen können. Nun ist die Armee besser und effektiver strukturiert, man orientiert sich an Nato-Vorgaben, die Einheiten werden von Nato-Personal geschult.
Und was ist mit der anderen Seite?
Schon 2014 waren die Separatisten von Moskau militärisch geschult und mit Soldaten unterstützt worden. Der Autor dieser Zeilen hatte selbst 2014 einen russischen Militärkonvoi in Luhansk gesehen. Am Dienstag erklärte der Fraktionsvorsitzende der russischen Regierungspartei Einiges Russland, Wladimir Wasiljew, er werde den Staatschef bitten, Waffen in die „Volksrepubliken“ von Lugansk und Donezk zu entsenden. Es ist relativ wahrscheinlich, dass Wladimir Putin dieser Bitte nachkommen wird.
Ließe sich die Ukraine auch mit nichtmilitärischen Mitteln in die Knie zwingen?
Jede Beeinträchtigung der Infrastruktur kann die Situation destabilisieren. Im Januar 2012 beispielsweise brachten drei Männer einen Stromleitungsmast unweit des AKWs Saporoschje zum Einstürzen, nur weil sie einige Metallteile heraussägten. Dadurch sank die Leistung des AKWs um 40 Megawatt. Es ist das größte Europas und versorgt fast den gesamten Süden der Ukraine mit Strom.
Der Vorfall zeigte, wie anfällig die hoch industrialisierte Ukraine auch bei einer vergleichsweise unbedeutenden Sabotage ist. Russland und Belarus könnten das Land aber auch mit einem Stopp von Energieexporten erpressen. Die Ukraine ist sowohl von Gas wie von Kohle abhängig, die aus oder über Russland geliefert wird. Seitdem Moskau die Kohletransporte blockiert, importiert das Land Atomstrom aus Belarus, aktuell nach Angaben des ukrainischen Energieunternehmens ukrenergo 800 MW-h. So wartet die Ukraine laut Energieminister Herman Haluschtschenko seit Januar auf 660.000 Tonnen Kohle aus Kasachstan.
Sollte die russische Flotte die Straße von Kertsch blockieren – das ist die Meerenge zwischen dem Asowschen und dem Schwarzen Meer –, wären die Schäden extrem verheerend. Gleiches gilt, wenn russische Schiffe die ukrainischen Seehäfen belagern sollten. Würden dann parallel neuralgische Punkte der Infrastruktur angegriffen, wäre wohl auch eine Panik in der Bevölkerung unausweichlich.
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