Kommentar Wagenknechts Rückzug: Die Unvollendeten
Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine stehen für die Schwächen der Linken in der Bundesrepublik: Taktische Fehler haben sie ins Aus befördert.
S o geht also zu Ende, was einmal die deutsche Version von Jeremy Corbyns Momentum oder Jean-Luc Mélenchons La France Insoumise werden sollte: Mit dem Rückzug von Sahra Wagenknecht aus Aufstehen und vom Fraktionsvorsitz ist ihre Bewegung gescheitert. Sicher, Wagenknecht wirkte schon in den letzten Monaten gesundheitlich angegriffen. Aber den Rückzug am 11. März zu verkünden, fast auf die Minute genau 20 Jahre, nachdem ihr Mann Oskar Lafontaine Parteivorsitz, Ministeramt und Abgeordnetenamt hinwarf, ist auch ein Symbol: Der Machtkampf um die Linke ist verloren, heißt es.
Die Parallelen zwischen Lafontaine und Wagenknecht sind unübersehbar. Beide eint großes Charisma, ebenso große taktische Fehler, die Neigung zu Alleingängen – und Zaudern im entscheidenden Moment. Lafontaine hätte 1998 den Zugriff auf die Kanzlerkandidatur gehabt, hinterließ sie aber Gerhard Schröder in der Einschätzung, der Parteivorsitzende bestimme die Leitlinien der Politik. Als er am 11. März 1999 ohne Absprachen alle Ämter niederlegte, hinterließ er eine orientierungslose Parteilinke. Die SPD verlor das Gleichgewicht zwischen ihren Flügeln. Hätte Lafontaine nur den Dienst als Minister quittiert und den Parteivorsitz behalten – die Agenda 2010 wäre kaum durchsetzbar gewesen.
Ähnliches wiederholte sich, als Wagenknecht – zusammen mit Lafontaine – nach der Bundestagswahl 2017 die Flüchtlings- und Migrationspolitik ihrer Partei angriff. Prinzipiell sprach vieles dafür, an diesem Punkt den Konflikt zu suchen: Mit drei linken Parteien, die das gleiche linksliberale Wählermilieu ansprechen, fehlen auf absehbare Zeit die entscheidenden Prozente, um eine Mehrheit links der Union zusammenzubekommen.
In der Praxis ist ein solcher Konflikt allerdings heikel: Linke Bewegungen und Parteien bringen immer wieder Phasen eines großen Egalitätsfurors mit sich. In den sechziger und siebziger Jahre war eine Folge davon die Bewunderung für Maos Kulturrevolution, in den achtzigern die grüne Forderung nach Freigabe von Pädophilie. Hinterher möchte zwar kaum jemand dabei gewesen sein – in der jeweiligen Phase selbst ist ein Frontalangriff auf die neueste Egalitätsmode aber wenig erfolgversprechend.
Im Dauerattacke-Modus
Geht es den üblichen Gang der Linke, wird die Forderung der Linkspartei nach offenen Grenzen in einigen Jahren von einer realistischen Flüchtlings- und Migrationspolitik abgelöst. Als Fraktionschefin, die offene Grenzen ablehnt, kann man im Augenblick nur andere Themen in der Vordergrund stellen, hinter den Kulissen Mehrheiten auf Parteitagen sammeln, renommierte Experten zu Veranstaltungen einladen und gelegentlich in Interviews und Artikeln die eigene Distanz zum Programm durchscheinen lassen. Wagenknecht wählte aber die Dauerattacke auf die Parteiführung als Taktik – verbunden mit der Drohung, „Aufstehen“ zu gründen.
Das war auch einer linken Revolutionsromantik geschuldet: Der Hoffnung, die Massen würden nur darauf warten, dass sie jemand dazu aufruft, die Verhältnisse umzustürzen. Im Grunde war es die demokratisierte Version der KPD-Taktik aus den zwanziger Jahren. Damals verführte die Bewunderung für die Bolschewiki die deutschen Kommunisten zu immer neuen, kläglich scheiternden, bewaffneten Aufständen. Heute verführte die Bewunderung für Corbyn und Melenchon Wagenknecht und Lafontaine dazu, etwas Ähnliches wie Momentum oder La France Insoumise zu probieren.
Aber in Deutschland entzünden sich große Bewegungen an Themen wie Umweltschutz oder Rechtsradikalismus, nicht an der sozialen Frage. Selbst die Montagsdemonstrationen 2004 gegen die Hartz IV-Reformen blieben auf den Osten beschränkt und versandeten bald danach. Solche Traditionen – Ökonomen würden von „Pfadabhängigkeit“ sprechen – lassen sich nicht kurzfristig verändern.
Noch dazu war Wagenknecht nicht bereit, den entscheidenden Schritt zu tun – ebenso wie Lafontaine bei der Kanzlerkandidatenfrage 1998. Wirklich Sinn gemacht hätte Aufstehen nur, wenn sie wie Corbyn oder Mélenchon bereit gewesen wäre, die Machtfrage innerhalb der Linkspartei zu stellen oder eine eigene Partei zu gründen. Das lehnte Wagenknecht aber offiziell ab, als es in die heiße Phase von Aufstehen ging. Das Risiko war ihr aus nachvollziehbaren Gründen wohl zu groß.
Ein Wolfgang Bosbach der Linken
So blieb im Spätsommer nur das Abwarten, wie viele denn zu Aufstehen kämen. Es waren zu wenige. In den ersten Wochen mobilisierte Aufstehen aus Ratlosigkeit, was zu tun sei, in den Hambacher Forst – ein Grünen-nahes Thema. Aufstehen hätte es dazu nicht gebraucht.
Wagenknecht hat jetzt – anders als Lafontaine 1999 – nicht ihr Abgeordnetenmandat niederlegt. Das wird ihr eine Rolle am Rande der Partei, als gefragter Talkshow-Gast, ermöglichen. Eine Art Wolfgang Bosbach der Linken. Dass sie noch einmal größer zurückkommt, scheint wenig wahrscheinlich. Dazu bräuchte sie das Drohpotenzial einer mobilisierbaren größeren Anhängerschaft. Aber dann hätte sie die Möglichkeit, so etwas wie „Aufstehen“ zu gründen, nicht jetzt schon verbrennen dürfen.
Lafontaine und Wagenknecht bleiben die politisch Unvollendeten der Linken in Deutschland. Sie stehen damit symbolisch, aber nicht alleine, für die drei linken Parteien, die nur in 20 von 70 Jahren Bundesrepublik den Kanzler gestellt haben. Man könnte daraus den Schluss ziehen, Deutschland sei ein konservatives Land. Aber die wahrscheinlichere Erklärung ist, dass das politische Unvermögen auf der linken Seite des Spektrums größer ist als auf der rechten.
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