Parteigespräche zwischen Rot-Rot-Grün: In weiter Ferne, so nah

Macht der Abgang von Sahra Wagenknecht eine Mitte-Links-Regierung wahrscheinlicher?

Sahra Wagenknecht mit dem Rücken zur Kamera läuft einen Gang hinunter und wird von der Presse fotografiert.

Sahra Wagenknecht geht. Das macht manchen Hoffnung auf neue Bündnisse Foto: dpa

Der Rückzug von Sahra Wagenknecht belebt in Berlin die Debatte über rot-rot-grüne Bündnisse. Teile von SPD und Grünen hoffen, dass betonierte Vorurteile nun aufgebrochen werden könnten. SPD-Vize Ralf Stegner twitterte, ein Wechsel in der Fraktionsführung der Linkspartei könne „zukünftig bessere Perspektiven eröffnen für ein progressives Regierungsbündnis diesseits der Union.“

Wagenknecht war in der Vergangenheit von führenden ­SPDlern und Grünen immer als Grund genannt worden, dass Rot-Rot-Grün keine Aussicht auf Verwirklichung habe. Sie galt als stärkste Kritikerin einer Regierungsbeteiligung in der Linken. Nun, da sie sich krankheitsbedingt vom Fraktionsvorsitz zurückziehen will, wird ihr Einfluss schwächer. Wird dadurch Rot-Rot-Grün wahrscheinlicher? Oder komplizierter, weil Wagenknecht sich in den vergangenen Jahren von betonharter Fundamentalopposition verabschiedet hat? Könnte nur sie die linken RegierungskritikerInnen überzeugen, nach dem Motto: Only Nixon could go to China?

Parteichefin Katja Kipping sagte am Dienstag der taz: „Es gibt derzeit eine Dynamik für eine Regierung links der Union, und zwar unabhängig von Sahra Wagenknechts Entscheidung.“ Entscheidender seien andere Faktoren: Die SPD kümmere sich wieder stärker um Sozialpolitik, die CDU rücke unter Annegret Kramp-Karrenbauer nach rechts. „Dass Sahra Wagenknecht einer solchen Konstellation im Wege gestanden hat, war doch im Grunde eine Schutzbehauptung der SPD“, sagte Kipping. Wagenknecht sei gar nicht mehr gegen eine Regierungsbeteiligung gewesen. Kipping will Rot-Rot-Grün stärker in den Fokus rücken: „Wir bereiten diese seit Längerem vor.“

Die Parteispitze hat eine Gesprächsoffensive gestartet und umwirbt derzeit gezielt einflussreiche Grüne und Sozialdemokraten, ihre Bedenken gegenüber der Linkspartei fallen zu lassen. Bodo Ramelow, einziger linker Ministerpräsident, ist ausgesandt, unter seinen LänderkollegInnen für eine gute Atmosphäre zu sorgen. Wichtig wird auch sein, ob Ramelow und Rot-Rot-Grün in Thüringen im Oktober wiedergewählt werden. Einen positiven Stimulus könnte auch die Bürgerschaftswahl im Mai in Bremen geben: Dort bereiten sich die Linken unter Kristina Vogt auf ein Bündnis mit den schwächelnden Sozialdemokraten und den Grünen vor.

Ein Umdenken bei vielen SPDlern

Der linke Außenpolitiker Stefan Liebich sieht es ähnlich wie Kipping. „Ob eine Mitte-links-Regierung möglich wird, hängt nun wirklich nicht an Sahra Wagenknecht“, sagte Liebich der taz. Sie habe immer wieder betont, dass sie dafür offen sei – die Ablehnung sei stets aus der SPD gekommen. „Wenn sich dort etwas bewegen würde, wäre das sehr gut“, sagte Liebich. „Dass es eine Politik der sozialen Gerechtigkeit mit CDU, CSU und FDP niemals geben wird, sollten die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten inzwischen verstanden haben.“ Liebich zählt zu den Reformern in der Linken.

Wichtige SPDler hatten für die Linkspartei lange nur Verachtung übrig. Doch bei vielen SPDlern findet ein Umdenken statt. Die Erkenntnis ist gewachsen, dass die Dauerkoalition mit der Union ins Verderben führt. Angela Marquardt ist seit zwölf Jahren die Geschäftsführerin der SPD-Denkfabrik, eines rot-rot-grünen Thinktanks, der den Gedankenaustausch zwischen PolitikerInnen der drei Parteien organisiert. Diese Bündnisoption sei nie durch Wagenknecht allein verhindert worden, sagte Marquardt der taz. „Für mich sind diesbezügliche Äußerungen Augenwischerei und im Kern falsch.“

Stefan Liebich, Linkspartei

„Ob Mitte-links möglich wird, hängt wirklich nicht an Wagenknecht“

Es brauche mehr als eine Mehrheit im Bundestag oder das Übereinanderlegen von Programmen. „Ein solches Bündnis muss vor allem auch außerhalb des Parlaments zivilgesellschaftlich getragen werden.“ Es komme nur, wenn es gewollt sei und dafür von allen drei Parteien als realistisch beworben werde. Doch die Mehrheit liegt in weiter Ferne: SPD, Grüne und Linkspartei kommen in Umfragen im Moment nur auf 42 Prozent. Die Grünen vermeiden ein Bekenntnis zu einem Koalitionspartner, um unterschiedliche Wählermilieus nicht abzuschrecken. Man setze auf grüne Eigenständigkeit, so das Mantra.

Eine Chance für neue Bündnisse

Doch die Grünen-Führungscrew kann rechnen – und bereitet sich aufs Regieren mit Union und FDP vor. Neulich zeigten Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer in einem harmonischen Doppelinterview, wie gut sie sich verstehen. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner ist ein einflussreicher Netzwerker des linksgrünen Flügels, der Rot-Rot-Grün bevorzugen würde. „Für unsere Demokratie wäre wichtig, eine realistische Machtoption links der Mitte zu haben, damit nicht die einzige Alternative zur Groko Schwarz-Grün ist“, sagte er der taz.

Sahra Wagenknechts Rückzug könne Dinge in Bewegung bringen, so Kellner. „Die Linkspartei hat jetzt die Chance, ihre Zerrissenheit in Bündnisfragen zu klären – und sich neu zu positionieren.“ Ähnlich argumentiert der Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin, ein Wortführer im linken Grünen-Flügel. „Der Rückzug von Frau Wagenknecht könnte für die Linkspartei die Chance eröffnen, eine viel zu lange offene strategische Frage jenseits von alten Blockaden endlich zu beantworten“, sagte Trittin der taz.

Bisher habe es in der linken Bundestagsfraktion, anders als in den Landtagsfraktionen in Thüringen oder Berlin, „keine tragfähige Mehrheit für die Bereitschaft zu regieren“ gegeben, sagte Trittin. „Erst wenn diese Frage beantwortet wäre, kann es überhaupt erst wieder zu anderen Optionen jenseits der großen Koalition kommen.“

Linker Flügel ohne Leitfigur

Der Weg ist für die Linkspartei allerdings noch weit. An der Basis, so ein Linkspartei-Mann, komme Wagenknechts Rückzug gar nicht gut an. Ein schlechtes Zeichen für das Wahljahr 2019. Bei der Fraktionssitzung am Dienstag gab es warmen Beifall der GenossInnen für die Noch-Fraktionschefin. Doch die Harmonie währte nicht lange. Über Medien erfuhr die Fraktion, dass Sevim Dağdelen nicht mehr als Fraktionsvize kandidieren wolle.

Überrascht hat diese Nachricht zwar niemand. Die Wagenknecht-Vertraute ist in der Fraktion umstritten, sie war 2017 nur auf extremen Druck Wagenknechts gewählt worden. Eine Mehrheit hätte sie künftig kaum bekommen. Allerdings ist die Art, diese Info über Bild zu verbreiten, merkwürdig. Beim linken Flügel, der zu Wagenknecht stand und der nun ohne Leitfigur ist, herrscht Aufregung. Bild zitierte eine anonyme Stimme, die „Mobbing-Terror gegen Wagenknecht und Dağdelen“ beklagte. Der Ton wird hysterisch. Vor Plänen für Rot-Rot-Grün scheint es jetzt erst einmal darum zu gehen, die aufbrechenden Grabenkämpfe einzudämmen.

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