Sozialstaatskonzept der SPD: Mehr als Geschichtsbewältigung

Die SPD will mal wieder „Hartz IV“ und die Agenda 2010 von Gerhard Schröder hinter sich lassen. Doch reicht ihr Sozialstaatskonzept dafür?

Andrea Nahles tritt auf ein Podium

Noch nie so nah dran an der Abschaffung von Hartz IV – die SPD Foto: dpa

BERLIN taz | „Zukunft in Arbeit“ steht doppelsinnig auf der Stellwand im Willy-Brandt-Haus. Davor sagt eine relativ entspannte SPD-Chefin Andrea Nahles, dass sich alles um „sozialen Zusammenhalt“ dreht. Entspannt ist Nahles wohl, weil die SPD auf einer Klausur das 17-seitige Konzept „Sozialstaat 2025“ beschlossen hat, das die nie vernarbte Wunde Agenda 2010 schließen soll. Hartz IV soll künftig Bürgergeld heißen. Sanktionen sollen fallen. Das normale Arbeitslosengeld soll länger gezahlt werden. Eigentlich hat Nahles zu dem Papier schon am Sonntag alles gesagt. Aber die SPD ist ja nicht gesegnet mit erfreulichen Ereignissen. Also lieber doppelt.

Bisher scheiterten alle Versuche der SPD, die Agenda 2010 zu bewältigen. Martin Schulz entschuldigte sich erst halb für die Agenda, dann ließ er Gerhard Schröder auf dem Parteitag reden. Die SPD war in sich gespalten. „Hartz IV hängt uns wie ein Mühlstein um den Hals“, sagt die Parteilinke Hilde Mattheis. Zehntausende kehrten der Partei seit 2003 verbittert den Rücken, Millionen WählerInnen haben sich abgewandt. Schröders Reformen von 2003 haben das Selbstverständnis der SPD, Partei der kleinen Leute zu sein, nachhaltig ruiniert.

Ist „Sozialstaat 2025“ nun die richtige Therapie? Auffällig ist zweierlei. Anders als früher wird dieser Versuch von allen Flügeln getragen. Auch der rechte Seeheimer Kreis hat, angesichts von etlichen Wahlkatastrophen, begriffen, dass „Weiter so“ nicht hilft. Und: Die SPD betreibt nicht bloß Retro-Aufarbeitung: das Konzept mixt geschickt Reparaturen von – zum Teil selbst verursachten – Schäden mit Ideen für die künftige digitale Arbeitswelt. Die garantierte Rente für schlecht Bezahlte, die 35 Jahre gearbeitet haben, ist der Versuch, Defekte zu minimieren, die Rentenkürzungen und die Ausweitung des Niedriglohnsektors unter Rot-Grün mit verursacht haben. Auch die Verlängerung des normalen Arbeitslosengeldes soll die Ängste vor dem Absturz mildern.

Und noch mehr. Nahles nennt zwei neue Forderungen. ArbeiternehmerInnen sollen das Recht haben, von zu Hause zu arbeiten und zudem in bestimmten Zeiten für Unternehmen nicht erreichbar zu sein. In der digitalen Ökonomie wird Zeitpolitik wieder wichtiger. Die SPD-Spitze hat – jedenfalls auf dem Papier – begriffen, dass sie bei Strafe des Untergangs den Fehler der letzten beiden Koalitionen nicht wiederholen darf: brav regieren und ohne Idee in den Wahlkampf stolpern. Als Nächstes wird die SPD-Spitze sich mit Arbeit und Umwelt befassen, wohl im Herbst mit der Steuerpolitik.

Einigung mit der Union noch offen

Die SPD will zeigen, dass sie nicht bloß Anhängsel der Regierungspolitik ist. Das ist nötig – allerdings ist dieser Kurs keineswegs gefahrlos. Denn das wird kompliziert. Nahles hofft zwar, dass sich die SPD bei „einer Reihe von Aspekten“ mit der Union einigen kann. Aber danach sieht es nicht aus. Nur die Grundrente für Ärmere steht im Koalitionsvertrag – bei 12 Euro Mindestlohn, der Kindergrundsicherung oder Verlängerung von ALG I dürfte die SPD bei der Union auf Granit beißen. CDU-Mann Thomas Strobl höhnt, dass das SPD-Konzept ein „gruppentherapeutischer Linksruck“ sei.

Wenn die SPD in der Regierung bleibt, droht ihr das Image, bloß unverbindlich das Gute zu beschließen,aber real wenig zu tun. „Glaubwürdig“ so die Parteilinke Mattheis, „werden wir erst wieder sein, wenn wir all das auch umsetzen“. Also doch raus aus der Großen Koalition? Das war, so Nahles, „Null-Thema bei der Klausurtagung.“

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