Jürgen Trittin über Proteste in Biberach: „Das war ein rechter Mob“
Wegen gewaltsamer Proteste haben die Grünen ihren Politischen Aschermittwoch abgesagt. Auch Jürgen Trittin musste deshalb auf seine Rede verzichten.
taz: Herr Trittin, Sie waren als Redner beim Politischen Aschermittwoch der Grünen in Biberach eingeplant – neben Winfried Kretschmann, Cem Özdemir und Ricarda Lang. Sind Sie im Ruhestand etwa nicht ausgelastet?
Jürgen Trittin: Nee, das war ein Abschiedsgeschenk des Kreisverbands Biberach. Das habe ich sehr gerne angenommen.
Und worüber wollten Sie in Ihrer Rede sprechen?
69, war unter anderem Parteivorsitzender und Fraktionschef der Grünen. Er beendete zu Jahresbeginn 2024 seine politische Laufbahn und legte sein Bundestagsmandat nieder.
Ich hätte darauf hingewiesen, dass in diesen Zeiten erstens ruhiges Kurshalten das Gebot der Stunde für uns Grüne ist. Und dass zweitens zwischen Demokraten eines klar sein sollte: Die Völkischen sind völkisch. Aber sie sind nicht das Volk. Wir sind die Demokratie. Wir machen uns nicht mit Antidemokraten gemein.
Zu Ihrer Rede kam es aber nicht. Wegen aggressiver Proteste vor der Halle haben die Grünen die Veranstaltung abgesagt. Wie haben sie die Situation erlebt?
Aus eigener Beobachtung kann ich dazu wenig sagen – ich bin schon Dienstagabend in Biberach angekommen, habe in der Nacht die Trekker in der Stadt gehört und bin schon relativ früh heute Morgen in die Halle gekommen. Daher habe ich selbst nichts direkt mitbekommen von den gewaltsamen Auseinandersetzungen auf der Straße, bei denen wohl Schlagstöcke zum Einsatz kamen und die Scheibe eines Begleitfahrzeugs der Polizei zerstört wurde. Die Polizei in Biberach hat die Veranstalter dann dringend ersucht, auf die Durchführung zu verzichten.
Aus welchem Spektrum kamen die Protestierenden?
Die Menschen, die ich auf meinem Weg aus der Halle gesehen habe, waren zum kleineren Teil Angehörige des Bauernverbandes. Die sind etwas abseits vom Geschehen sehr friedlich mit Cem (Landwirtschaftsminister Özdemir, Anm. d. Red.) zu einem Treffen zusammengekommen. Vor der Halle standen Rechte mit einem einfachen Anliegen: Die Ampel muss weg und die Grünen müssen weg. Das war ein organisierter rechter Mob.
In der Geschichte Ihrer Partei spielten ziviler Ungehorsam und Blockade-Aktionen lange Zeit auch eine Rolle. Wo liegt da der Unterschied zu den aktuellen Protesten?
Der Unterschied ist einfach: Das eine war gewaltfreier Widerstand. Das andere, in Biberach, waren vorsätzliche Angriffe auf Polizeibeamte und Fahrzeuge. Das hat es in der Geschichte der Grünen nie gegeben. Wir waren immer eine gewaltfreie Partei.
Haben die aktuellen Proteste gegen die Grünen eine neue Qualität oder …
Es sind keine Proteste gegen die Grünen! Wenn eine Veranstaltung eines Ministerpräsidenten, eines Bundesministers und der Vorsitzenden einer Regierungspartei nicht mehr durchgeführt werden kann, weil 200 Leute gewalttätig dagegen vorgehen, dann haben dieser Staat und diese Demokratie ein Problem.
Was muss jetzt passieren?
Ich glaube, dass sich die Polizei in Baden-Württemberg ernste Fragen stellen lassen muss, warum sie nicht in der Lage war, eine Veranstaltung des eigenen Ministerpräsidenten so abzusichern, dass sie durchgeführt werden kann.
Für die Grünen könnte diese Art von Protesten auch in den kommenden Wahlkämpfen ein Problem werden. Wie sollte die Partei damit umgehen?
Noch mal: Es ist kein Problem der Grünen. Was hier passiert, ist ein organisierter Angriff auf die Meinungsfreiheit und auf das Recht, auf Veranstaltungen am Ende des Karnevals zu spotten und zuzuspitzen. Hier sind alle Parteien gefordert, diesen putschistischen Umtrieben einen Riegel vorzuschieben.
Und was machen Sie mit dem freien Tag in Biberach?
Ich stehe jetzt auf dem Münchner Hauptbahnhof. Ich fahre zurück nach Berlin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?