Interne Ermittlung im Fall Gil Ofarim: Zweifel durch Zeugen
Ein interner Untersuchungsbericht weckte Zweifel an den Antisemitismusvorwürfen Gil Ofarims. Nun sind neue Details daraus bekannt geworden.
Nun sind neue Details aus dem internen 118 Seiten langen Untersuchungsbericht der Anwaltskanzlei Pauka & Link bekannt geworden. Wie die Wochenzeitung Die Zeit berichtet, habe keine*r der befragten Zeug*innen eine antisemitische Beleidigung in der Hotellobby gehört. Niemand habe mitbekommen, dass über Ofarims Davidstern-Kette gesprochen wurde.
Die Betreibergesellschaft des Leipziger Westin Hotels hatte die Anwaltskanzlei beauftragt, das Geschehen in der Hotellobby vom 4. Oktober zu rekonstruieren und ein Gutachten zu erstellen. In die Untersuchung sind sowohl von der Staatsanwaltschaft übermittelte Informationen eingeflossen als auch Interviews mit dem beschuldigten Rezeptionisten, mit anwesenden Mitarbeiter*innen, Gästen und weiteren Zeugen. Zusätzlich wurden die Videos der Überwachungskameras von einem auf Bild- und Videoforensik spezialisierten Sachverständigen ausgewertet.
Bereits vorigen Mittwoch teilte die Hotelgesellschaft unter Berufung auf den Abschlussbericht der Kanzlei mit, dass „keine objektivierbaren Anhaltspunkte vorliegen, die es rechtfertigen würden, strafrechtliche und/oder arbeitsrechtliche Maßnahmen gegen den beschuldigten Mitarbeiter zu ergreifen“. Dessen Beurlaubung wurde aufgehoben.
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dauern an
Der Zeit liegt der Abschlussbricht der Kanzlei vor. Dieser stütze sich hauptsächlich auf Aussagen von acht Gästen, dem beschuldigten Mitarbeiter und zwei Kolleginnen, die neben ihm an der Hotelrezeption standen, wie die Wochenzeitung berichtet. Dem Gutachten zufolge sei Gil Ofarims Schilderung der Vorfälle „von keinem der befragten, in der Hotellobby anwesenden Zeugen bestätigt worden“.
Der Musiker habe sich laut Zeug*innenaussagen ungerecht behandelt gefühlt; seiner Meinung nach habe der Hotelmitarbeiter zwei Stammgäste, die hinter ihm in der Schlange standen, bevorzugt behandelt. Daher sei es zum Konflikt zwischen den beiden Männern gekommen. Schließlich habe Ofarim dem Rezeptionisten gedroht, ein Video für Instagram aufzunehmen, das „viral gehen“ werde. So sollen zwei Mitarbeiterinnen und drei Gäste die Szene laut dem Gutachten beschrieben haben, heißt es in der Zeit.
Der von der Anwaltskanzlei beauftragte Sachverständige, der die Aufnahmen der Überwachungskameras des Hotels untersucht hat, kommt laut der Zeit zu dem Ergebnis, dass Ofarim seine Davidstern-Kette mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ nicht sichtbar getragen habe – „weder bei der Ankunft vor dem Haus noch beim Betreten der Lobby, noch an der Rezeption, noch beim Verlassen der Lobby“. Den Anwälten zufolge liege es nahe, dass der Musiker seine Halskette erst draußen vor dem Hotel unter dem T-Shirt hervor gezogen habe.
Gil Ofarim teilte über seinen Anwalt Markus Hennig mit, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und der Kriminalpolizei vorbehalten bleiben sollten. „Ein vom Hotel bezahlter Untersuchungsbericht wird genauso wie zuvor an die Medien gespielte unvollständige Videosequenzen kein Beitrag zur Wahrheitsfindung sein. Die Auseinandersetzung mit dem alltäglichen Antisemitismus erfordert eine ernsthafte Auseinandersetzung“, heißt es in dem Anwaltsschreiben von Dienstag.
Der Bericht der von der Hotelgesellschaft beauftragten Anwaltskanzlei liegt der Staatsanwaltschaft Leipzig vor. Die Kanzlei stelle den Ermittler*innen der Staatsanwaltschaft „sämtliche im Rahmen der Prüfung gewonnenen Erkenntnisse in vollem Umfang zur Verfügung“, sagt Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz gegenüber der taz. „Diese Erkenntnisse werden mit in die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft einfließen.“
Die Staatsanwaltschaft hat ebenfalls einen Sachverständigen beauftragt, die Aufnahmen der Überwachungskameras des Hotels auszuwerten und auf mögliche Manipulationen zu untersuchen. Die Ermittlungen dauern an, zu Zwischenergebnissen äußert sich die Staatsanwaltschaft nicht. Das würde „die noch laufenden Ermittlungen nicht ausschließbar gefährden“, sagt Schulz. Es steht nach wie vor Aussage gegen Aussage.
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