Internationale Automobilausstellung: Weniger Autos und die richtigen
Der Wechsel zum Elektromotor reicht nicht aus für die Verkehrswende. Die Zahl von 50 Millionen Pkws muss deutlich reduziert werden.
W ir brauchen weniger Autos. Nicht nur eine Antriebs-, sondern eine richtige Verkehrswende. Ein ganz anderes Verkehrssystem, das nicht mehr auf dem Individualbesitz von motorisierten Fahrzeugen basiert. Das fordern viele Aktivist:innen völlig zu Recht in dieser Woche, denn die Autobranche trifft sich in München zur Messe IAA.
Autos sind eine ineffiziente Art des Personentransports – zumindest so, wie wir sie nutzen. Fast 50 Millionen Pkws gibt es in Deutschland. Würde das ganze Land auf einmal einsteigen, müsste immer noch niemand auf die Rückbank. Aber es steigt ja nie ganz Deutschland auf einmal ein. Die meiste Zeit parken die Autos, statt zu fahren.
Die Verkehrswende ist aber einer dieser Fälle, in denen die eigentlich stärkere Forderung: weniger Autos statt nur der Wechsel zum Elektromotor, sich vor der de facto stattfindenden Debatte drückt. Für die muss man doch noch einmal zurück zur schnöden Antriebswende.
Was eigentlich längst als ausgefochten galt, holt die FDP gerade noch mal zurück in die politische Arena: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der für die Kindergrundsicherung oder Klimaschutz kaum Geld im Etat übrig hat, will die synthetischen Kraftstoffe massiv fördern. E-Fuels werden mittels Strom aus Wasser und Kohlenstoffdioxid hergestellt. Verbrennt man sie, entsteht nur so viel CO2 wie bei der Produktion gebunden, so die Idee.
5 Euro für ein Liter E-Fuel
Die FDP hat auf EU-Ebene bereits ausgehandelt, dass Autos, die nur E-Fuels nutzen, auch nach dem Verbrenner-Aus 2035 weiterfahren dürfen. Damit nicht genug: Wer seinen Verbrennungsmotor mit E-Fuels betankt, soll nach den Wünschen der Regierungspartei richtig sparen können. Keine Kraftfahrzeugsteuer, E-Fuels-Dienstwagen sollen steuerlich so günstig behandelt werden wie beruflich genutzte E-Autos.
Lindner will sich zudem für einen niedrigeren Energiesteuersatz einsetzen und sogar bei den Kraftstoffen die Mehrwertsteuer streichen. Das Problem: Verbrenner sind auch mit E-Fuels ungesünder, ineffizienter und teurer als E-Autos. Sie verursachen immer noch Abgase. Die Kraftstoffproduktion erfordert etwa fünfmal so viel Strom, wie man bräuchte, um E-Autos vergleichbar weit zu bewegen. Fast 5 Euro soll ein Liter der synthetischen Kraftstoffe kosten.
Es gibt Fälle, etwa im Schiffs- oder Luftverkehr, wo es keine bessere Lösung als E-Fuels gibt. Im Autoverkehr ist die Technologie aber insgesamt unterlegen. Sie nützt allenfalls Porsche-Fahrer:innen mit Auspuff-Fetisch. Wählen etwa manche davon FDP? So ein Zufall: Porsche-Chef Oliver Blume hatte damit geprahlt, dass er während der Koalitionsverhandlungen der Ampelregierung „beinahe stündlich“ per SMS über Pläne zu E-Fuels informiert worden sei – nämlich von Christian Lindner.
Der Sportwagenbauer will seine Flotte nicht vollständig elektrifizieren. Im vergangenen Jahr hat er eine Pilotanlage für E-Fuels in Chile eröffnet. Nun könnte man sagen, es lohne sich nicht, sich an diesem Thema festzubeißen. Wenn E-Fuels nur in der Luxusnische genutzt werden, halten sich schließlich auch die negativen Auswirkungen in Grenzen. Kann man das also nicht pragmatisch hinunterschlucken und der FDP den Sieg gönnen?
Car-Sharing statt ein Auto für jeden
Jein. Wenn öffentliche Förderung im Spiel ist, bekommt das Thema E-Fuels eine neue Dimension. Erstens wäre das Steuergeld an vielen anderen Stellen besser aufgehoben, schließlich brauchen die Porsche-Fahrer:innen es ganz sicher nicht. Und zweitens entspricht es nun mal einer Empfehlung, wenn der Staat etwas subventioniert. In diesem Fall verunsichert das den Löwenanteil der Verbraucher:innen und Märkte, für die die Elektromobilität die eindeutig bessere Lösung ist. Lindners Klientelismus verzögert also die Verkehrswende.
So richtig es ist, weniger Autos zu fordern: Nicht alle Autos sind gleich schlecht. Ja, für E-Autos werden – wie etwa auch für Smartphones und andere Alltagsgegenstände – Rohstoffe gebraucht, bei deren Förderung Konzerne oft die Rechte lokaler Arbeiter:innen und indigener Bevölkerung verletzen. Und ja, sie können in SUV-Größe und damit zu verbrauchs- sowie platzintensiv gebaut sein. Und: Mit dem derzeitigen Strommix ist das Autofahren (noch) nicht emissionsfrei.
Wer E-Autos deshalb verdammt wie Verbrenner, bleibt widerspruchsfrei, macht sich die Hände nicht schmutzig – aber schlängelt sich an einer Debatte vorbei, deren Ausgang Deutschlands Verkehr dreckiger als nötig und noch viel ungerechter machen könnte. Wir brauchen auch in Zukunft Autos. Es werden hoffentlich weniger sein, weil wir sie in sinnvollen Sharing-Modellen nutzen, statt die Städte mit unnötig vielen Blechkisten zu verstopfen. Und sie sollten unbedingt strombetrieben sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin