Inhaftierte Antifaschist*in in Ungarn: Maja T. tritt in den Hungerstreik
Seit einem Jahr ist Antifaschist*in Maja T. in Ungarn in Haft, es drohen bis zu 24 Jahre Gefängnis. Nun protestiert T. mit einem radikalen Schritt.

„Ich kann die Haftbedingungen in Ungarn nicht weiter ertragen“, heißt es in einer Erklärung von Maja T. „Hier in Ungarn bin ich in Isolationshaft lebendig begraben. Ich hoffe, bald nach Deutschland überstellt zu werden. Der Hungerstreik ist mein letzter Versuch, ein gerechtes Gerichtsverfahren zu erleben.“
Auch der Vater von Maja T., Wolfram Jarosch, äußerte sich. Immer wieder war er zuletzt in Budapest, im Gericht oder zu Besuch im Gefängnis. „Mein Kind greift zum letzten, verzweifelten Mittel“, erklärt Jarosch. Die Haft in Ungarn sei „so grausam und unmenschlich, dass ich diesen drastischen Schritt nachvollziehen kann und Maja mit aller Kraft unterstütze“. Er mache sich allerdings auch „große Sorgen“. „Keine Aufnahme von Nahrungsmitteln wird schnell lebensbedrohlich.“
„Höchste Zeit, Maja zurückzuholen“
Auch Sven Richwin, der Anwalt von Maja T., kann den Schritt nachvollziehen. „Nach vielen Monaten Isolationshaft und Schlafentzug durch stündliche Kontrollen erträgt Maja die Zustände einfach nicht mehr“, sagt Richwin der taz. „Die Verzweiflung lässt einen sehr traurig zurück. Und sie beschämt die politisch und juristisch Verantwortlichen für die rechtswidrige Auslieferung. Es ist höchste Zeit, Maja zurückzuholen.“
Der Hungerstreik ist die nächste Zuspitzung in einem Fall, der bereits zuvor Wogen schlug. Im Juni 2024 war Maja T. von Dresden nach Ungarn ausgeliefert worden, in einer nächtlichen Hauruck-Aktion. Das Berliner Kammergericht hatte zuvor die Auslieferung genehmigt und auf ungarische Garantieerklärungen vertraut, die menschenrechtskonforme Haftbedingungen zusagte. Eine Eilbeschwerde der Verteidiger wartete das sächsische LKA nicht mehr ab, sondern flog Maja T. mit einem Hubschrauber aus.
Später erklärte das Bundesverfassungsgericht die Auslieferung für rechtswidrig: Das Berliner Gericht habe die Haftbedingungen für Maja T. als nichtbinäre Person „nicht hinreichend aufgeklärt“. Da aber saß Maja T. schon in Budapest in Haft, in einem Gefängnis direkt neben dem Gericht, in einer Zelle, zwei mal drei Meter groß, in weitgehender Isolationshaft.
Seitdem ist der Fall ein Politikum. Unterstützer*innen fordern schon länger die Rückholung von Maja T. nach Deutschland und einen fairen Prozess hierzulande. Aber die deutsche Bundesregierung und das Auswärtige Amt – zuletzt von der Grünen Annalena Baerbock geführt, jetzt von CDU-Mann Johann Wadephul – halten sich bisher bedeckt. Auch seit im Februar der Prozess gegen Maja T. begann und die Staatsanwaltschaft ihre Forderung vortrug: bis zu 24 Jahre Haft.
Das Auswärtige Amt schickt Botschaftsmitarbeitende in den Prozess und äußerte sich zum Auftakt „befremdlich“ über die Vorführung von Maja T. in Ketten. Beteuert wird, sich „intensiv“ für den Fall einzusetzen. Die Anwälte von Maja T. dagegen erklärten, sie bekämen von dem Einsatz wenig mit.
Spontane Kundgebungen in Hamburg und Berlin
Mit dem Hungerstreik steigt nun der politische Druck. Noch für Donnerstagabend kündigten Unterstützer*innen eine Demonstration vor dem ungarischen Generalkonsulat in Hamburg an. Eine weitere soll am Freitag vor der ungarischen Botschaft in Berlin folgen – und dann eine bundesweite Demonstration am 14. Juni in Jena.
Der Linken-Europaabgeordnete Martin Schirdewan nannte es „erschütternd, dass ein junger Mensch zu einem solch drastischen Mittel greifen muss, um von der Bundesregierung gehört zu werden“. Ein Hungerstreik sei keine symbolische Geste, sondern ein existenzieller Akt, der schwerwiegende gesundheitliche Folgen habe könne, warnte Schirdewan. „Die politischen und juristischen Verantwortlichen dürfen nicht tatenlos zusehen, wie Majas Gesundheit und Leben auf dem Spiel steht, um ein Mindestmaß an einem gerechten Justizverfahren zu erhalten.“ Es sei „höchste Zeit, dass die Bundesregierung Verantwortung übernimmt und Maja zurück nach Deutschland holt – bevor es zu spät ist“.
Auch der Grünen-Abgeordnete Helge Limburg erklärte, wegen der rechtswidrigen Auslieferung von Maja T. seien deutsche Behörden, insbesondere das Auswärtige Amt, „in der Verantwortung für eine unmittelbare Rückkehr nach Deutschland zu kämpfen, mindestens aber für menschenwürdige Haftbedingungen“. Klar müsse sein, „dass Deutschland in diesen Verfahren niemanden mehr nach Ungarn überstellen darf“.
Die Union und SPD aber blieben auch am Donnerstag vorerst still. Das Auswärtige Amt wiederholte auf taz-Anfrage nur, dass man „mit dem Fall befasst“ sei und sich für bessere Haftbedingungen einsetze. Über eine Beendigung der Untersuchungshaft von Maja T. oder eine Ausreise nach Deutschland aber entschieden ungarische Gerichte.
Es sind wohl auch die Vorwürfe, welche die Zurückhaltung begründen. Zusammen mit anderen Autonomen soll Maja T. im Februar 2023 in Budapest mehrere Rechtsextreme am Rande des Großaufmarschs „Tag der Ehre“ angegriffen haben. Alljährlich treffen sich Neonazis aus ganz Europa in der Stadt, um den „Widerstand“ der SS und Wehrmacht 1945 im von der Roten Armee belagerten Budapest zu verherrlichen. Die Attackierten wurden teils schwer verletzt, erlitten Knochenbrüche und Platzwunden.
Nach den Angriffen waren noch vor Ort zwei deutsche und eine italienische Linke festgenommen worden, weitere tauchten ab. Maja T. wurde von Zielfahndern schließlich als Erste im Dezember 2023 in Berlin festgenommen. Ein halbes Jahr später erfolgte die rechtswidrige Auslieferung nach Ungarn.
In Briefen aus der Haft und nun auch in der Erklärung zum Hungerstreik beklagt Maja T. die Haftbedingungen in Ungarn: Es gebe Bettwanzen und Kakerlaken, durch stündliche Kontrollen sei kein Schlaf möglich, es gebe regelmäßig Intimkontrollen. Arztbesuche würden verweigert, es fehle gesundes Essen. In anderen Zellen würden Inhaftierte verprügelt. Fast sechs Monate lang habe gar kein Kontakt zu anderen Gefangenen bestanden, zuletzt höchstens eine Stunde am Tag. Es gehe darum, „bewusst seelischen und körperlichen Schaden hervorzurufen“. Auch kritisierte Maja T., keinen fairen Prozess zu erhalten: „Ich bin bereits verurteilt.“ Zudem gebe es bis heute „keine Wiedergutmachung“ für die rechtswidrige Auslieferung. Niemand sei dafür „zur Verantwortung gezogen“ worden.
Erst beim jüngsten Verhandlungstag am Mittwoch hatte sich die Budapester Staatsanwaltschaft gegen einen erneuten Antrag der Verteidigung ausgesprochen, Maja T. zumindest in einen Hausarrest zu verlegen, was in Ungarn möglich ist. Die Entscheidung, in einen Hungerstreik zu treten, soll bei Maja T. aber schon länger gereift sein.
Ungarische Justiz will Prozess normal fortführen
Ein Sprecher des ungarischen Stadtgerichts sagte am Donnerstag der taz, der Prozess werde trotz des Hungerstreiks fortgesetzt. Der Richter habe nur dafür Sorge zu tragen, dass Angeklagte ihre Rechte im Prozess wahrnehmen könnten. Die ungarische Staatsanwaltschaft ließ eine Anfrage zunächst offen.
Dabei zeigt sogar das von der Postfaschistin Georgia Meloni regierte Italien, dass man auch anders handeln kann. Als die in Budapest festgenommene Italienerin Ilaria Salis in Briefen aus der Haft die dortigen Zustände beklagte und ebenfalls in Ketten vor Gericht vorgeführt wurde, bestellte die Regierung den ungarischen Botschafter ein. Salis kam daraufhin erst in Hausarrest, dann erhielt sie Immunität, weil sie für eine italienische Linkspartei ins Europaparlament gewählt wurde. Die Auslieferung eines zweiten Italieners wegen der Budapester Angriffe lehnte ein Mailänder Gericht ab. Und auch Frankreich verweigerte zuletzt die Auslieferung eines Beschuldigten, Gino A., nach Ungarn – mit Verweis auf dortige Haftbedingungen und Zweifeln an der Unabhängigkeit der Justiz.
Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) hatte die Auslieferung von Maja T. dagegen für „beanstandungsfrei“ erklärt. Eine Rückholung sei rechtlich unmöglich. Zuletzt hatte das Oberlandesgericht München versucht, Maja T. nach Deutschland zu holen – für eine Zeugenaussagen in einem Prozess gegen eine weitere Linke, der die Angriffe in Budapest vorgeworfen werden, Hanna S. Eine Auslieferung der Kunststudentin hatte Ungarn nicht beantragt, der Prozess gegen sie läuft seit Februar in München. Ungarn aber lehnte eine Überstellung von Maja T. ab – mit Verweis auf den eigenen laufenden Prozess in Budapest.
Bereits im Januar hatten sich dann weitere sieben gesuchte Linke gestellt, denen auch die Angriffe in Budapest vorgeworfen werden. Später stellte sich eine weitere Gesuchte. In all ihren Fällen hatte Ungarn eine Auslieferung beantragt. Die Verfahren wurden inzwischen beim Berliner Kammergericht gebündelt. Die Bundesanwaltschaft hatte sich hier aber bereits gegen eine Auslieferung ausgesprochen und erklärt, es sei „vorrangig“, die Verfahren in Deutschland zu führen.
In einem Fall aber erfolgte diese Ansage nicht: in dem des 21-jährigen Syrers Zaid A., der in Nürnberg aufwuchs. Als Nichtdeutscher, dem eine Tat im Ausland vorgeworfen wird, droht ihm weiter die Auslieferung. Seine Anwälte hatten gerügt, dass für sein Auslieferungsverfahren nicht das Berliner Kammergericht, sondern das Oberlandesgericht Köln zuständig sei, wo sich Zaid A. gestellt hatte. Über die Rüge muss nun der Bundesgerichtshof entscheiden. Bis dahin fällt auch in den anderen Auslieferungsverfahren noch keine finale Entscheidung.
Weitere Anklagen stehen kurz bevor
Und die Bundesanwaltschaft macht noch mehr Druck. In Kürze soll auch eine Anklageerhebung der Bundesanwaltschaft gegen sieben weitere Linke erfolgen – vier von ihnen sitzen ebenfalls in Haft, drei sollen auch in Budapest dabei gewesen sein. Die sieben werden der Gruppe um die Leipzigerin Lina E. zugerechnet, die bereits vor zwei Jahren mit drei Mitangeklagten zu Haftstrafen wegen Angriffen auf Rechtsextreme verurteilt wurden. Alles in allem ist es das massivste Vorgehen der Bundesanwaltschaft gegen die linke Szene seit Jahren.
Und so erklärt sich am Donnerstag Maja T. auch mit allen Antifas solidarisch, die im Budapest-Verfahren verfolgt werden. Und: Der Hungerstreik sei auch eine Forderung, „dass keine weiteren Menschen nach Ungarn ausgeliefert werden dürfen“.
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